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Was ist anders an dieser Nacht? Überlegungen zu Pessach.

Was ist an dieser Nacht anders als an anderen Nächten? Nichts, nicht für mich, oder doch? Ich habe keine Familie, keine Kinder, niemanden, an denen ich Traditionen weitergeben könnte. So ist Pessach für mich immer eher ruhig. Ruhig, wie ich es bevorzuge. Haggadah im Bett, auch, wenn viele sich hier die Haare raufen mögen, es ist schön, kann schön sein – für mich ist es das.
Ich bin kein Gruppenmensch. Ohne Zweifel kann ein Seder wirklich schön und bereichernd sein, er kann auch Stress sein, Stress für introvertierte Menschen allemal. Stress aber auch in einem ganz und gar unjüdischen Umfeld immer wieder zu sagen: ich muss heute früher weg, morgen komme ich später und habe eventuell, ziemlich sicher, einen Kater. Stress pünktlich zum Seder zu kommen, weil eben noch etwas „noch ganz kurz“ im Büro zu erledigen war. Ja, vielleicht sollte ich strenger werden, sollte es mehr betonen, sollte mein Jüdischsein (mehr) einfordern. Nur ich bin so nicht. Es ist anstrengend und irgendwie wünsche ich mir einfach auch, dass es nach all den Jahren selbst gesehen oder beachtet würde.
Stress ist es auch für mich, einen Abend mit Fremden verbringen zu dürfen. Ich genieße den Augenblick und die Begegnungen sehr, bin danach allerdings auch k.o. – nicht nur wegen des reichlichen Essens und Alkohol. Viele Menschen ziehen gerade daraus Energie, vielen Menschen zu begegnen, viel zu reden, mich kostet es Energie. So ist es nun mal. Ich habe gelernt, damit umzugehen und zu leben – vor allem aber, mehr auf mich zu achten. Schließlich hat so zu sein auch Vorteile: jetzt zum Beispiel.

Und dennoch war ich lange Jahre nicht mehr so sehr in Pessachstimmung, wie in diesem Jahr. Woran das liegt? All die Möglichkeiten, die sich (plötzlich) eröffnen, Möglichkeiten, die nicht nur Menschen wie mir sehr entgegenkommen.

In Israel gibt es eine Initiative, man möge seinen Sedertisch ans Fenster oder auf den Balkon schieben und so den Abend zusammen verbringen: עם אחד – שולחן אחד – ein Volk, ein Tisch. Eine wunderschöne Idee, wie ich finde, doch wäre man hier wohl eher einsamer Rufer im Walde – oder doch nicht?

Auf Instagram gibt es schon seit einiger Zeit sehr einfallsreiche und humorvolle Aktionen in Vorbereitung auf Pessach. Vom gemalten Sederteller bis zu Stopmotion-Filmchen, die die z.B. Plagen erklären. Einfach wunderbar! Nach und nach erfährt man von Online Sederim, allen voran die Jüdische Gemeinde Hanau. Es passiert so viel jüdischerseits, das hoffentlich weiter geführt wird, wenn die Synagogen und Gemeindehäuser wieder öffnen werden. Möglichkeiten, die Türen öffnen, ohne Türen zu öffnen und vielleicht auch eine Möglichkeit sein können, jüdisch-religiösen Leben zu erleben, entdecken oder einfach mal mit anderen Augen zu sehen, ohne sich anzumelden, ohne durch Sicherheitskontrollen zu gehen, oder sich abgewiesen zu fühlen. Ich genieße diese Zeit und Tage sehr.

Gleichzeitig ertappe ich mich immer wieder bei dem Gedanken, dann, wenn man wieder darf, also nächstes Jahr, vielleicht doch einen Seder zu improvisieren. Einfach so, gemeinsam entdecken, sich gemeinsam durch die Ordnung zu wurschteln und einfach nur einen schönen, durchaus lustigen, Abend zusammen zu haben, mit selbst gemachter Haggadah, mit anderen Geschichten und vielleicht auch vegetarisch oder gar vegan? Es gibt so viele Möglichkeiten, so viele Wege, die wir gehen können. Vielleicht wäre das auch einer für mich. Y., wärst Du dabei?

Morgen aber werde ich ohne Kater ins Büro fahren, die Matzot irgendwie hoffentlich nicht komplett zerbröselt in die Brotbüchse gestopft und ich werde sie essen, in der Sonne im Museum, als wäre alles wie immer und nichts anders als an anderen Tagen. Es wird wieder Frohe Ostern und nie Chag Sameach gewünscht werden. So ist es nun mal. Doch nicht nur in dieser Nacht, sondern in diesen Tagen und Wochen, bin ich in diesem Jahr von einem anderen Gefühl getragen: Ein größeres Gefühl von Verbundenheit und viel weniger Gefühl von Einzelkämpferin in einer nichtjüdischen Welt.

לשנה הבאה בירושלים oder besser לשנה הבאה לכולם


Ich möchte Danke sagen: den vielen jüdischen Gemeinden und Institutionen, die sich jetzt auch ins Digitale wagen, danke den wunderbaren Jewy Louis Comics, Baseberlin, צוזאמן ברלין und Insta.jews und all den anderen, den jüdischen Museen, einfach allen, die es möglich machen, Pessach und Jüdischkeit zu fühlen, ohne durch Sicherheitskontrollen zu gehen, und vor allem ohne anderer Menschen Gesundheit zu gefährden. Ihr und Sie seid einfach wunderbar!

Foto: Personalisierte Haggada vom BureauBlumenberg

 

Ein Kommentar

  1. Erwin Chudzinski Erwin Chudzinski

    Chag Sameach, Frau Grossmann und an alle, die Pessach feiern.

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