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Buchbetrachtung: Die Notaufnahmeschwester von Ingeborg Wollschläger

Liebe Ingeborg,

vor einer Woche las ich Dein Buch. Ich begann es am Morgen und schlug es am Nachmittag zu. Seit dem überlege ich, wie ich am besten darüber schreibe, denn das will ich, schreiben darüber. Und da Du etwas Besonderes für mich bist, schreibe ich diesen Brief, den alle lesen dürfen, die mögen. Dies ist also keine Buchbetrachtung im üblichen Sinne hier, denn leicht könnte man mir Voreingenommenheit vorwerfen. Es ist persönlicher. Und vielleicht geht man mit Freundinnen doch noch etwas kritischer ins Gericht?

Wir warteten darauf, schon vor einem Jahr freute ich mich, um dann zu erfahren: Veröffentlichung verschoben. Ja sapperlot! Es folgte Post an den Verlag und eine Antwort, die mir sagte, ich müsse mich ein ganzes langes Jahr noch gedulden! Und dann, endlich im März 2020, warten auf die Post, die inmitten Corona nicht kam. Dann endlich war „Es“ da, nur um mir dann wieder gemopst zu werden. Geduld, Geduld und ein giggeln und vorlesen bis ich es endlich selbst lesen konnte.

Bis soweit war, verschenkte ich es, erzählte davon. Ganz voreingenommen. Denn wer Deine Blogtexte kannte, wusste, dass Du schreiben kannst. Noch immer aber frage ich mich, WIE Du das Buch auch noch neben all dem, was Dein Leben füllt, schreiben konntest. Ich bin überzeugt, Deine Tage sind länger als die Tage anderer Menschen.

Seltsam ist es auch, was alles passiert ist seit diesem kalten dunklen Tag in Berlin, als wir uns das erste Mal trafen. Meine Güte! Hättest Du das damals gedacht, als sie uns nicht mehr ins Haus ließen, so oft wir auch auf die messingumrahmte Klingel drückten?

Aber nun, endlich im April konnte ich das lesen, auf das ich so lange wartete: Dein Buch, Deine Notaufnahmeschwester. Deine Worte auf Papier.

Dir gelang es, auf diese Seiten das zu bannen, was ich so an Dir mag und schätze: Deine Liebe zu Menschen, Deine Liebe zu Worten und auch und vor allem, Deine Liebe zu Deinem Beruf, der es nun nicht mehr ist. Vielleicht ist das auch Dein Geheimnis, Du bist früh genug gegangen, um diese Liebe – trotz allem – in Dir behalten zu können. Ich bewundere Dich sehr dafür: für Deinen Mut, für Dein Springen in kalte Gewässer im neuen Beruf, der uns zu Kolleginnen werden ließ.

Ich war froh, dieses Buch lesen zu können. Froh, über ein anderes Leben ohne Nazis, alte oder neue, lesen zu können. Das klingt komisch, ich weiß. Ich lebe in einer seltsamen Blase, die mir so selten bewusst wird. Dennoch fand ich so viele Parallelen in unseren Berufen. Dabei sollte man doch denken, was haben Museen und Krankenhäuser gemein? Absurder Gedanke, oder? Ich erkannte viel wieder, in Deinen Menschenbeschreibungen: Patienten, die auch Gäste im Museum hätten sein können, ich erkannte viel wieder, als Du über Kolleginnen und Kollegen sprachst, die wohl überall sonst so oder so ähnlich wieder auftauchen. Und ich lernte so viel und bin glücklich vor allem, dass Du einer Profession eine Stimme gegeben hast, ganz ohne Bitterkeit und dennoch mit deutlicher Kritik. Ganz ehrlich denke ich, dass dieses Buch in jedem Krankenhaus liegen sollte, in jeder Notaufnahme und vor allem in jedem Büro von Ab- und Verordneten. Vor allem aber denke und weiß ich, dass Du helfen wirst, einen anderen Blick auf einen noch immer viel zu unterschätzten Beruf zu lenken.

Mit meinen Notaufnahmeaufenthalten, nicht nur dank diverser Fahrradunfälle, kann ich sagen, es sind die Menschen, wie Du es bist, die mir in Erinnerung blieben. Die mir den Eisbeutel mit Berliner Humor aufs Gesicht drücken, die es doch trotz aller Hektik schafften, mir im Wartebereich zu sagen, alles sei in Ordnung und es sind Menschen wie Du, mit denen ich mich kaputtlachte, als das Lachen doch eigentlich zu sehr weh tat. Und natürlich gibt es da auch „die Anderen“, doch wo gibt es die nicht. Die ersteren aber bleiben im Kopf, die anderen verschwinden in der Erinnerung.

Ich mag besonders an Deinem Buch, dass Du es schaffst, sehr ernste, wichtige Dinge anzusprechen und dennoch ein paar Zeilen später ein Schmunzeln, ein Lachen auslöst. Du hast da wirklich etwas ganz Wunderbares geschaffen, liebe Ingeborg. Ich würde das nicht sagen, wenn es nicht so wäre. Das weißt Du hoffentlich. Danke, dass Du das in Deinen 30-Stunden-Tagen auch noch zu Wege brachtest. Danke auch für Dein Vertrauen, unsere Gesprächen und überhaupt.

Nur eines noch: Was kommt als Nächstes? Kein Druck, natürlich nicht, nie. Ein Hörbuch! Das wäre noch das Tupferl….

Und wenn das ganze jetzt endlich vorbei sein wird, sollten wir es endlich wieder schaffen, uns nicht nur am Telefon zu treffen – jetzt, wo wir doch sogar Wochenenden haben! Ich wünsche es mir.

Deine Juna


Die Notaufnahme von Ingeborg Wollschläger sei jedem zur Lektüre zu empfehlen, nicht nur, wenn man gerade Patient ist, vielmehr, wenn man es nie war. Es ist ein Gewinn für Menschen, die einen Blick in andere Berufe, andere Leben bekommen möchten, ungeschönt und dennoch flüssig und amüsant zu lesen. Ein Buch, das gerade jetzt helfen kann, auch nur zu erahnen, was Menschen in der Pflege derzeit leisten.

Die Notaufnahmewester. Ein Alltag zwischen Leben, Tod und Wahnsinn.
Ingeborg Wollschläger
256 Seiten
Penguin Verlag
10,00 € auf Papier
ISBN: 978-3-328-10480-3

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