Es ist einer dieser Momente, in dem ich keine Worte habe und doch schreiben muss, heute an diesem 20. Februar 2020. Ein normaler Tag wie es schien. Im Büro alles wie immer … wie es schien. Die nächste Eröffnung rückt näher. Alles im Fluss, wie es schien.
Mittagspause. Nachrichten scannen. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Terrorismus. Worte die bedeuten sollten, dass ein Mensch, der sich erhaben fühlte über andere, ein Mensch, der denkt, er darf entscheiden, wer es wert sei zu leben, heute über das Leben von 11 Menschen entschied, über das Leben ihrer Familien, ihrer Freunde und einer Stadt. Wieder ein Mensch mit einem „Manifest“. Alle vier Monate ein rechter Terroranschlag. Morde an Menschen. Und dazwischen: Wir haben ein Problem mit Linksextremismus. Wirklich?
Nach den NSU Morden, nachdem endlich klar war, wer beseelt von einem Herrenmenschentum anderen Menschen das Leben nahm, nachdem Familien gedemütigt wurden, nachdem all das geschah und bekannt wurde, hätte dieses Land es besser wissen müssen.
Als Walter Lübcke im Juni 2019 ermordet wurde, hätte dieses Land es besser wissen müssen.
Als im Oktober 2019 in Halle versucht wurde, jüdische Menschen an Jom Kippur zu ermorden und dafür zwei Unschuldige starben, hätte das Land es besser wissen müssen.
Heute, als elf Menschen ermordet wurden, wird es wieder niemand besser wissen. Wird es wieder nach den Reden, die man dann hält, so werden wie immer. Innenminister werden noch immer etwas von Linksextremen faseln, was sie für eine Bedrohung seien, und die Menschen, die auf den Listen der Rechtsextremisten stehen, die nicht in die Schemata der selbst ernannten Herrenmenschen passen, werden weiter um ihr Leben fürchten müssen.
Heute, im Jahr 2020 wird dieses Land es noch immer nicht besser wissen. Heute im Jahr 2020 lese ich noch immer das Wort „Fremdenfeindlichkeit“, wenn Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ermordet werden. Ich sehe wieder, dass versucht wird zu erklären, dass man wieder den Blick mehr auf den Täter wendet als auf jene, deren Leben er nahm. Und ich beobachte mich. Hier heute in dieser Mittagspause, in der Hanau kein Thema war. Vielleicht die Kolleginnen und Kollegen noch nichts mitbekamen, wie ich bis zum Mittag. Ich beobachte mich, dass ich es nicht ansprechen kann, weil ich keine Worte habe und doch eigentlich sprechen möchte. Ich beobachte mich, wie ich mich hilflos fühle, wenn. Ich beobachte mich, wie ich mich hilflos fühle, wenn ich an meine Freundinnen und Freunde S. und J. und E. und F. und wie sie alle heißen denke und doch einfach nur etwas tun will. Ich beobachte mich, wie ich so hilflos bin und so viel mehr reagiere, als im Oktober, als ich wie betäubt war über Tage. Heute hier an meinem Schreibtisch sitze ich und weine. Ich habe nicht geweint im Juni, nicht geweint im Oktober, ich weine im Februar. Hilflosigkeit, Resignation und Trauer und der Moment, in dem ich nicht mehr höflich sein kann. Ich wünschte, ich hätte etwas tun können. Ich wünschte, ich hätte die Menschen schützen können. Nie soll jemand erleben müssen, dass andere über ihre Lebensdauer entscheiden. Nie soll jemand Hass erfahren müssen. Und doch erfahren wir ihn, jeden Tag, immer und immer wieder, sind höflich und zeigen Dankbarkeit für die Gesten…und warten fast darauf, dass man wieder unsere Leben nimmt.
Noch ein Termin, dann muss ich nach Hause, ich muss zuhause sein. Kann nicht mehr Alltag machen. Kann nicht mehr fragen, wann Ihr endlich begreifen werdet. Ihr werdet es nicht tun. Solange der Hass hier kein Straftatbestand, Hassverbrechen es in deutschen Gesetzbüchern nicht gibt, wenn noch immer gefragt werden muss „War das jetzt wirklich „fremdenfeindlich“, „rassistisch“, „antisemitisch“?“. Der Hass ist so sehr Alltag geworden, dass sein Ausmaß, trotz all der Morde, so übermächtig erscheint, dass man wohl keinen Anfang findet. Dabei wäre es doch so einfach. Nur, was nicht im Herzen ist, das findet sich auch nicht in der Tat.
Den Blick nach rechts zu wenden und den Kampf gegen den rechten Terror als oberste Priorität dieses Landes festzuschreiben, nicht nur auf Papier, sondern im Herzen der Menschen, wäre ein Anfang. Ich will in einem Land leben, in dem niemand Angst um sein Leben haben muss, weil er nicht in das Schema einiger passt. Im Moment sind wir sehr weit davon entfernt.
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