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Rettet Hamburgs Reformtempel – oder was von ihm übrig blieb.

Ein Stich fuhr mir ins Herz, als ich die ersten Bilder sah: Autowerkstätten wo einst gebetet wurde. Die Nische, in der der Aaron ha Kodesh stand, zugemauert, die Apsis nur noch mit wenigen Bruchstücken des Stucks, der sie einst zierte steht frei. Wo heute eine Durchfahrt zu den Werkstätten ist, zierten einst die Worte „Gesegnet, der da kommt im Namen des Ewigen.“. Nur mit viel Fantasie kann man auf diesem Hinterhof erkennen, was hier einst stand: der Tempel Poolstraße in Hamburg.

Hier, am Ort eines der wenigen Zeugnisse des Reformjudentums in Deutschland ist nicht viel geblieben, doch das könnte man ändern – noch.

Die Ruine des bedeutenden Gebäudes deutsch-jüdischer Geschichte, steht wie viele andere jüdische Gebäude in Städten auf einem Hinterhof und verfiel Jahr für Jahr vor sich hin. Ein Privatgelände, das nun verkauft werden soll. Auch in Berlin gab es ähnliche Geschichten von „wiederentdeckten“ Hinterhofgebäuden – mit gutem Ausgang. Die Poolstraße könnte ein Ort sein, der die Geschichte des Reformjudentums in Deutschland nicht vergessen lässt. Vor allem aber, sollte die Stadt handeln, damit der Schmerz beim Anblick der Überreste nicht mehr so stark ist. Von 1844 bis 1931 beteten hier etwa 300 Familien bevor sie in einen Neubau in der Oberstraße, der heute als Sendestudio des NDR genutzt wird, umzogen. Das Gebäude in der Poolstraße wurde 1943/44 durch Bombenangriffe schwer zerstört, was blieb sind die beiden, bis heute gebliebenen Mauern.

Es darf verwundert gefragt werden, warum die Stadt, die nach dem Anschlag von Halle so laut tönte, Millionen für einen Bau ausgeben zu wollen, den man in seiner Größe realistisch nicht braucht, erst aufgefordert werden muss, zu handeln. Sollte es nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit sein, hier tätig zu werden? Die Reste der eigenen Geschichte zu retten und sie einem würdigen Zweck zuzuführen?

Hamburg, dieses Mal enttäuschst Du mich sehr.

Der Verein, der sich für die Rettung des Baus und die Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit einsetzt, braucht Unterstützung und ruft nun weltweit zu Unterschriften auf, meine haben sie. Wenn sich mehr Menschen finden, wäre nicht nur ich sehr dankbar. Eine E-Mail mit Namen, Ort an hamburg-tempel@gmx.de reicht schon. Auf der Seite des Vereins können Sie mehr zu Geschichte des Tempels erfahren.

Helfen Sie mit, damit dieses Stück Geschichte nicht verschwindet. Noch kann man es retten.

Rettet Hamburgs Reformtempel - oder was von ihm übrig blieb.Rettet Hamburgs Reformtempel - oder was von ihm übrig blieb.


Fotos: Oben die Reste der Apsis, Florian Quandt, Unten Außen- und Innenansicht des einstigen Tempels, Bildarchiv IGdJ.

8 Kommentare

  1. Ich kenne die Ansicht life, weiß um die historische Bedeutung…, gehöre keiner Religion an, verfolge die Diskussion in HH, bei der auch ein Wiederaufbau der
    Grindelsynagoge laut zur Debatte steht.

    Kann es sein, das es auch hier, wie bei anderen gesellschaftlichen Fragen um Deutungshoheit geht, um Macht und Einfluss geht?

    Aus meiner Sicht, steht der libererale Weg, dessen Wiege ich ich in Hamburg sehe, beim Zentralrat, den ich für einseitig parteinah halte, dort auch für erfolgreich, als einen der kaum beachtet wird.

    Ich hoffe, das ich irre.

  2. Rene Netter Rene Netter

    Hallöchen, Gibt es in Hamburg denn eine angemessene Anzahl an reform Juden? Es wäre zwar toll den Temple zu erhalten und wiederherzustellen und einer Gemeinde zur Verfügung zu stellen aber letztendlich ist es nur Gebäude und viel wichtiger wäre es wenn in Deutschland die Diskriminierung von Juden mal aufhören würde. ich bin in Deutschland (bei Hamburg) aufgewachsen und es war nie sicher als Jude erkennbar zu sein und ist es auch noch heute nicht. Noch schöner wäre es wenn sie das Eigentum aller meiner Vorfahren die im Holocaust ermordet wurden wiedergeben würden bzw. diese erst garnicht konsequent vernichtet hätten. Anyway, schöne Grüsse aus der Diaspora, Rene

    • Nun ja, es geht, wenn Sie beim Verein nachlesen, nicht darum, eine Synagoge für liberale bzw. Reformjuden zu errichten, sondern eher ein Kultur- und Begegnungszentrum, gern auch mit Museum, zu schaffen. Dazu wäre der Ort in der Poolstraße historisch durchaus geeignet. Es geht um die Rettung der Gebäudereste – in welcher Form auch immer. Wenn man gleichzeitig ein Mahnmal abreißen will, um eine Synagoge für eine jüdische Ausrichtung darüber zu bauen, die man in seiner Größe nicht braucht, darf man schon fragen, wo die Prioritäten lesen. Genau für die Idee, die auch Sie haben, wäre ein Begegnungszentrum sicher dienlicher.

  3. Ich halte viel von einem Kultur- und Begegnungszentrum, wenig von einem Neubau mit historischer Fassade, für den ein Mahnmal weichen soll, weil nichts mehr ist, wie es mal war.

    Anders als heute gefordert, hatte die einstige Synagoge auch keine Tiefgarage, was mir in einer Zeit, in der für nachdenkliche Menschen, das Auto als Auslaufmodell gilt und das jetzige Mahnmal inmitten von Fußgängerzonen liegt.

    Mir scheint, es ist gerade in, in Deutschland neue Synagogen zu errichten, auch mit öffentlichen Mitteln. Ist das angesichts der Folgekosten (Gebäudeunterhaltung z. B.) auch nachhaltig?

    Ich sehe nicht, das die Zahlen der Gemeindemitglieder wachsen, wenn es mehr und größere Räume gibt. Bei Kirchens werden auch aus ökonomischen Gründen längst Gemeinden zusammengelegt. Als ich hier vor gut zwanzig Jahren einzog, gab es im Umfeld drei evangelische Gemeinden, inzwischen sind sie zu einer fusioniert.

    Ich vermute, ähnliche Entwicklungen stehen auch jüdischen Gemeinden bevor. Natürlich ist das schwieriger, da die Anzahl der Glaubenden geringer, die die Nähe zu einer Gemeinde suchen.

    • Auch hier sind Ihre Vermutungen richtig: Die Gemeinden schrumpfen. Viele wissen schon heute nicht mehr, was sie mit den großen unter Pomp geöffneten, Häusern machen sollten, bzw. wie sie betrieben werden sollen: Betriebskosten, Personal, etc.

      Auch, wenn man sich politisch damit schmücken kann, sei es nun Hamburg oder Potsdam oder Magdeburg. Es sollte immer zunächst überprüft werden, ob ein Neubau wirklich gebraucht wird, ob in diesen Dimensionen etc. und wie man sie finanzieren sollte.

      Zu den Tiefgaragen: Wäre man genau, dürfte man fragen, warum gläubige Juden an Feiertagen, an denen sie die Synagoge besuchen, Tiefgaragen brauchen, ist doch Autofahren nicht gestattet.

      Ich glaube, das grundsätzliche Problem besteht im Irrglauben, dass große Synagogen, mehr jüdische Menschen hervorzaubern, die diese nutzen würden. Die Realität aber ist, wie Sie schon vermuteten, eine andere und kann durchaus ähnlich der „bei Kirchens“ betrachtet werden.

  4. Wenn schon das »progressive movement« in Deutschland nahezu (»nahezu« weil ich vielleicht die zündende Kampagne verschlafen habe) gar kein Interesse für diesen Ort der eigenen Geschichte zeigt, wie sollte man dann andere (die »ideologisch« weiter weg sind) davon überzeugen, da konkret zu handeln?

  5. Shraba Shraba

    Anti & semitisch: Vielen Dank für diesen Podcast. Ich hatte bis heute noch nicht von ihm gehört und er gefällt mir. Weiter so. Zum Interview mit Miriam Rürup: ich fand das Thema sehr interessant, und hatte von diesem Tempel noch nie gehört und auch nicht gewusst, dass er der erste Reformtempel überhaupt in Deutschland gewesen ist. Ich möchte aber noch ein paar Dinge ergänzen. Zum ersten scheint mir, dass Miriam Rürup die deutsche Vorkriegsorthodoxie mit der haredischen Orthodoxie, wie sie heute häufig in den heutigen Medien als „normalorthodox“ präsentiert wird, gleichsetzt. „(…) ikonografisch sind es die sehr orthodoxen Juden, die holzschnittartig für die deutsch-jüdische Geschichte stehen“. Ich würde gerne wissen, was sie mit „sehr orthodox“ meint, Ich hatte zudem bislang den Eindruck, klischeehaft wird das deutsche Vorkriegsjudentum viel mehr mit dem liberalen Judentum gleichgesetzt (was an sich nicht so falsch ist, denn das liberale Judentum war in der Tat sehr stark, wie man am Beispiel der vielen liberalen Berliner Synagogen sehen kann, oder dem großen Tempel in München und dergleichen). Das orthodoxe Landjudentum hatte sich aufgrund der großen Landflucht schon sehr aufgelöst, und die Neoorthodoxie hatte sich am Ende primär in den größeren und großen Städten gehalten. Aber sowohl die Gemeindeorthodoxie als auch sogar die Neoorthodoxie könnte man aus einer heutigen Perspektive als „nicht sehr orthodox“ bezeichnen, denn im Vergleich mit dem haredischen Judentum unserer Zeit war die Neoorthodoxie geradezu liberal. Auch bereitet mir die Idee, dass „der Tempel für ein anderes Verständnis von jüdischer Identität (steht)… und dass „Tempel“ den Ausdruck für „wir sind angekommen“ darstellt einiges Unwohlsein. Sowohl die Neoorthodoxie als auch die Gemeindeorthodoxie waren ja in Deutschland mehr als „angekommen“, wovon der Ritus zeugt, verschiedene halachische Ansichten und auch, weil das ebenfalls als Argument gebracht wurde, die Musikkultur in der Neoorthodoxie. Auch wurde der Zionismus eher bekämpft als unterstützt. Und … die Frauen. Der Tempel scheint sich in nichts von einer neoorthodoxen Synagoge unterschieden zu haben, wo die Frauen auf einer Empore sassen, und keine „Sichtblende“ hatten (Rav Breuer nennt diese kritisch „Turban“), und so sehr wohl sahen, was unten vor sich ging. In der Einheitsorthodoxie sangen Frauen wohl oft mit der Menge mit*. Mir scheint Miriam Rürup hat hier leider keine genaue historische Kenntnis (dafür aber mehr Bauchgefühl) wie das Leben der deutschen Vorkriegsorthodoxie tatsächlich ausgesehen hat.Und last not least: interessant finde ich auch, dass der distanzierende Begriff „Jüdisches Leben“ von einer Jüdin benutzt wird. Für mich ist dieser Begriff ein Unwort, das meist von Nichtjuden benutzt wird, die mit dem Wort „Jude“ (oder Jüdin) Schwierigkeiten haben. Sprechen wir auch von „muslimischem Leben“ oder „christlichem Leben“, wenn wir von MuslimInnen oder Christen sprechen? Aber abgesehen davon: spannendes Thema, danke dafür.

    *“(…) um ihnen zu ermöglichen, von oben zu sehen (רמב׳׳ם,הל׳ בית הבחירה); Rav Breuer erwähnt in seinen Büchern, dass Gitter verwendet wurden, und man kann dies in Breuers Shul in Washington Heights heute noch sehr schön sehen. Und übrigens auch auf historischen Aufnahmen orthodoxer Synagogen, z.b. der Adass Jisroel, Berlin). Was Singen in Gemeinschaft angeht, s. Responsa Sedirei Esh 2:8, Singen in Gruppen (wobei die Tshuva nicht sehr akzeptiert war). Und btw der Chor in neoorthodoxen Synagogen, was gibt es Angekommeneres ;) )

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