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Das KZ Sajmište in Belgrad – unscheinbar am Wegesrand

Eine Reise nach Belgrad. Nicht zum Sightseeing, doch etwas Zeit war, die Altstadt zu erkunden und ein seltsames Gefühl zu bekommen. Ein Turm, der etwas auslöste. Ein monumentales Denkmal, mit einer erst wenige Wochen alten englischsprachigen Inschrift: Das KZ von Belgrad.

Wir spazierten über die Save, ein breiter Fluss, kurz bevor sie in die Donau fließt. Wir die Ufer Beton, ein neues Viertel wurde errichtet, beliebig wie in jeder Großstadt dieser Tage, austauschbar. Die Brücke wackelte bei jedem Auto, die Straßenbahnen rasten hinüber und der Blick zurück auf den Teil, der erst nach dem Krieg zu Belgrad gehören sollte, war grüner, bevor die Stadt in die für den Ostblock üblichen Plattenbauten überging. Kurz vor der Brücke war ein Turm, seltsam, verfallen, mich an einen Funkturm erinnernd. Er war ein Solitär, umgeben von Bäumen, nicht mehr war zu sehen.

Die Belgrader Altstadt, eine Mischung aus sozialistischer ambitionierter Architektur und Perlen aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts erzählten Geschichte – wenn man hinsah. Es war heiß, die Stadt ist auf Hügeln erbaut, Zeit zurückzukehren. Eine andere Brücke, ein anderer Blick, entlang der Save am unbeschatteten unbebauten Ufer, an dem noch die Reste eines Parks zu erkennen waren. Der Sozialismus hatte auch hier seine typischen Spuren hinterlassen, Spuren die nun übersehen wurden, manches doch noch bepflanzt, das meiste aber zerbrochen und überwachsen war. Irgendwo weiter vorn ein großes Monument. Noch ein Rest der sozialistischen Erinnerungskultur? Zwei Schilder gaben Auskunft, seit wenigen Wochen, wie das Datum zeigte, auch auf Englisch. Das Denkmal wurde Mitte der 90’er Jahre errichtet, ganz ohne Beschriftungen, wie nachzulesen ist. Hier befand sich das KZ Sajmište. Die Inschrift ist seltsam, abweisend. Sie hinterlässt ein merkwürdiges Gefühl. Irgendetwas stimmt hier nicht.

Wir gehen weiter. Das Berufsauge sieht Baracken, teils sind noch Holzwände zu sehen. Sie könnten noch aus dieser Zeit stammen. Sie wurden wiederverwendet, abgebaut, woanders aufgebaut. Wir kennen das – auch, wenn sie bei uns im Land immer mehr verschwinden. Es lässt mich nicht los.

Am nächsten Tag bin ich allein unterwegs. Ich erkunde Neu-Belgrad. Die Kamera dabei. Die unpolierten rohen Gebäude erzählen Geschichten. Ich habe Zeit und lasse mich treiben. Am Tag zuvor hatte ich etwas gelesen. Gelesen vom alten Messegelände, das mit Pavillons verschiedener Nationen aufwartete. Es ist seltsam, dass ausgerechnet der deutsche Pavillon noch wohlerhalten ist. Andere lassen nur noch erahnen, wie sie einst aussahen. Schöne klare Architekturen waren es einst. Mit gutem Blick gelegentlich zu erkennen. Manches weiter in Nutzung. Hier wurde das KZ eingerichtet, in den Gebäuden der Ausstellungen. Zum Mord an den Juden, Sinti und Roma nutzt man Gaswagen, erschoss sie weiter weg. Später, als niemand mehr zum morden übrig war, wurde es zum „Anhaltelager“, von hier wurden die Häftlinge zum Zwangsarbeitseinsatz deportiert.

Die Gebäude tragen die Erinnerung. Die Pavillons und Baracken stehen, sind bewohnt. Nach dem Krieg wurden hier Baubrigaden zum Bau neu Belgrads untergebracht, Künstler lebten und leben hier. Die Bedingungen sind menschenunwürdig – bis heute. Die Menschen leben dort, weil sie keine Alternative bekommen. Sie wissen um den Ort und seine Geschichte – und tragen für seinen Erhalt einen Anteil.

Mittendrin ein weiteres Denkmal, kleiner. Ich verstehe nicht, was dort steht. Erfahre, dass das Denkmal aus den 70er-Jahren stammt und wie im Sozialismus üblich, kein Wort über Juden, über Sinti oder Roma. Doch es steht. Ich werde beobachtet, als ich es ansehe. Werde beobachtet, als ich fotografiere, – immer bedacht, nicht die Menschen zu zeigen. Hier mehr als an anderen Orten. Ich las davon, wie sie verurteilt wurden, dafür, wo sie leben – und wie sie leben.

Ich erwarte nicht, dass hier eine große Gedenkstätte errichtet wird, wie es in Deutschland üblich wäre. Ich weiß, dass es Initiativen gibt, hier ein Museum zur Geschichte zu errichten und vor allem weiß ich um die Schwierigkeiten der Abwehr der Beteiligung an Shoa und Porajmos. Ich weiß um die Besatzung, um die Schuld der Deutschen, um die Beteiligung und Nutznießenden vor Ort – und ich weiß, dass Nationalismus nie half. Und diesen spürte ich bereits stark auf dem Weg vom Flughafen in den Bemerkungen unseres Fahrers, der mehr als deutliche Worte für sein Land fand. „Der Kosovo ist serbisch“ stand auf der zweiten oder dritten Brücke über der Autobahn. Ich las es noch öfter in kyrillischen und lateinischen Buchstaben. Es ist dieses Gefühl, dass ich mitnahm, die Ambivalenz und die zu erahnende Schönheit einer Stadt, die andere Probleme hat. Geld für Erinnerung wird man hier nicht finden. Es muss wie überall übrig sein.

Nach diesem Tag ging es wieder weg aus der Stadt, die mich doch nicht loslassen will. Es blieb keine Zeit für das jüdische Museum, die Spuren jüdischer Geschichte, die noch sichtbar sein sollen. Vielleicht kehre ich irgendwann zurück.


Viele meiner Informationen bekam ich von dieser empfehlenswerten Seite, die einen guten Überblick gibt: https://www.starosajmiste.info/de/index.html.

Natürlich gibt es einige weitere Quellen, die neben Wikipedia Auskunft geben.

Sehr wichtig für mich auch die Interviews, die mehr über den Ort erzählen – und auch von den heutigen Bewohnenden und ihrer Situation:

Playlist mit 17 Filmen zum Ort – auf Deutsch.

Beitragsfoto: Zentraler Turm im Winter vom Blog starosajmiste.info – blog

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