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Der Tag der Befreiung und mein Hadern

Es ist der 8. Mai, der Tag der Befreiung wie es heißt in Deutschland. Ich habe mir nie Gedanken gemacht über die Begrifflichkeit, ich mache sie mir immer mehr. Tag der Befreiung war immer so ein Tag, wie Gründung der Republik, er war eben da… da mit Paraden, denen man fern blieb. Mit nelkenschwenkenden Menschen und ebensolchen Blumen aus Plastik oder Papier, billig, zerfallend schon am Ende des Tages.

In den letzten Jahren, als diskutiert wurde, welchen zusätzlichen Feiertag man den Berliner*innen angedeihen lassen wollte und war dies der erste Tag, der mir einfiel, den ich relevant genug fand. Unglücklicherweise gibt es selbst in Berlin einige Feiertage in dieser Zeit, so wurde er außer acht gelassen und ein Tag, zwei Monate vorher erwählt.

Was mich hadern lässt ist nicht der Inhalt des Tages, es ist die Begrifflichkeit, eine Begrifflichkeit, die so viel in sich birgt und so selten betrachtet wird, wie auch ich es nicht tat.

Tag der Befreiung. Wer wurde befreit? Die Gefangenen, Versklavten, Internierten, die Versteckten, die Widerständigen ja, doch „die Deutschen“ allgemein? Wurden die befreit oder besiegt? Schaut man auf die Geschichte dieses Tages als Feiertag in beiden Teilen Deutschlands, sieht man, dass es nicht immer so einhellig war – oder ist. Schaue ich heute herum, was geschrieben und gedacht wird, so möchte man meinen, es sei der Tag der Befreiung aller Deutschen gewesen, bejubelt und begrüßt damals. Doch das war es nicht. Wir sehen es nur so, weil wir wissen, was kam. Es war der Tag der Niederlage, der Kapitulation. Die Menschen in diesem Land waren nicht gezwungen zu diesem Land und diesen Taten, sie wurden nicht in Haft genommen. Es war ihre Wahl. Es war ihre Wahl durch Wahlen, es war ihre Wahl durch Mitlaufen, ihre Wahl durch Schweigen, durch Wegsehen, durch Bereichern, Ignorieren, Denunzieren, Versklaven, Demütigen, Morden. Und dann das Ende dieser Nation, die sich doch größer und besser fühlte, deren Menschen mehr sein sollten als alle anderen. Wovon also waren sie befreit? Von sich selbst?

Es ist ein Irrtum, Trugschluss und viel zu oft, schaut man heute hin, Selbstbetrug. Die Menschen waren keine unschuldigen Opfer und sie waren es noch weniger danach. Die Chance auf einen Neubeginn wurde vertan, als die alten wieder eingesetzt wurden in ihre Posten und Pöstchen, als die, die nicht dem Hass dienten, wieder vertrieben wurden aus Gerichten, Verwaltungen, Schulen und Universitäten, weil die Angst vor einem möglichen Kommunismus größer war als der vor Nazis in den entscheidenden Stellen des besiegten Landes.

Wir feiern diesen Tag heute auf die eine oder andere Weise. Doch wir sollten uns nicht selbst betrügen. Es war der Tag der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation – und es war der Tag der Befreiung für die Verfolgten. Es sollte ein Tag der Demut und der Dankbarkeit sein. Dankbarkeit jenen gegenüber, die ihr Leben ließen für eine Welt in Freiheit und Demokratie. Dankbar sein für das unschätzbare Glück, dass wir heute in einem Land wie diesen leben dürfen. Und wir sollten demütig sein, weil eben nicht alles vorbei ist, nie vorbei war. Der Gedanke, dass Deutsche mehr wert seien als andere, er ist nicht weg, er ist da und und zu sehr verbreitet, als das wir allzu viel feiern sollten und dürfen. Danke sagen und verantwortlich sein, verantwortlich für die Geschenke, die wir bekamen, für diese Chance und den Frieden seit so langer Zeit, das ist mein 8. Mai – ohne Demonstrationen und ohne Nelken und ohne tamtam.


Bild: American Cemetary Normandy „Omaha Beach“ 2017, Canon Demi EE17 Halbformatkamera auf Fuji Pro 400 H, beschnitten


 

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