Nicht erst seit gestern denke ich daran, dass das, was wir gerade erleben anschaulich erklärt, wie es sein kann, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung kein Nazi gewesen sein wollte. Wir sehen anschaulich, wie Mitläufertum und damit Unterstützung von faschistischen Systemen funktioniert. Ich unterstelle, dass sich die Mehrheit der Pandemiegegner:innen (Wie kann man überhaupt Gegner:in einer Pandemie sein? Sie ist da und lässt sich nicht umstimmen.) Nicht selbst als Nationalist:In, als Faschist:In begreift. Sie wähnen sich auf einer „richtigen“ Seite.
War es nicht auch so vor 90 Jahren? Der Feind war damals vielleicht keine Pandemie, es war die vermeintliche „Demütigung durch den Versailler Vertrag“ und mit ihm „die Juden“. Letzteres sehen wir heute wie damals. Es ist erbärmlich und zeigt wieder: ist Bildung wirklich alles? Was hilft Bildung, wenn es nicht im Herzen ist, im Verstand, tief eingedrungen?
Feinde, es braucht Feinde, Feindbilder, um die autoritären Machtstrukturen von Diktaturen etablieren zu können. Der Feind natürlich steht immer außen, er kommt nicht aus den eigenen Reihen, wie es die neuen Nazis tun. Der Feind kommt von draußen. Gelang es nicht, das Feindbild ab 2015 in Form von schutzsuchenden Menschen zu etablieren, so hat man jetzt einen vermeintlichen Clou gelandet: Ein Virus. Noch weniger verständlich, noch besser nutzbar und noch viel besser in alte Muster von Verschwörungen einbaubar. Das ganze wird nun als Kampf um eine Freiheit verkauft, die letztlich nur in Unfreiheit führt. Doch soweit zu schauen, das können und vor allem wollen jene, die nicht nur gestern offen mit Nazis mitlaufen nicht. Ach diese Déjà-Vus.!
Sie treibt diese Sehnsucht, gegen irgendwas „Widerstand“ zu leisten, sei es nur einem einfachen Hilfsmittel, das Menschen vor einer Krankheit zu schützen, die wir noch immer nicht vollständig verstehen und die Leben kostet, Familien zerstört. Sie leisten Widerstand dagegen, dass sie ein Mal nicht in den Urlaub ins Ausland fahren können, sie leisten Widerstand dagegen, dass wegen ihnen Menschen ihre Existenz verlieren, weil sie durch sie ihre Geschäfte und Restaurants wieder schließen oder gar nicht erst wieder öffnen können. Diese unerklärliche Sehnsucht nach Widerstand, die nur dann nicht auftaucht, wenn es darum geht, Menschen vor Rassismus zu schützen, sich für einen konsequenten Umweltschutz einzusetzen, vielleicht wirklich einmal ein Risiko einzugehen. Das, was dort passiert ist kein Risiko, es ist wie oft ein Mitmarschieren mit einer Masse, deren ideologische Gesinnung egal ist, weil es um „die Sache“ geht. Diese Sache ist es jetzt Menschenleben zu gefährden, nur damit man ohne ein Stück Stoff vor Mund und Nase ein paar Minuten in ein Geschäft gehen kann. Sie kämpfen dafür, dass Menschen, die gesundheitlich bereits eingeschränkt sind, einer tödlichen Gefahr ausgesetzt werden, bzw. kein würdiges Leben mehr leben können, da sie sich noch mehr isolieren müssen, als sie es schon tun. Sie kämpfen dafür, dass es keinerlei Empathie gibt, keine Wissenschaft nur Hörigkeit irgendwelchen vermeintlichen Führern gegenüber, die sagen, was sie hören wollen. Allen Fakten zum Trotz.
Mir fiel auf, dass viele Menschen, die dort auf dieser „Demonstration“ interviewt waren, davon sprachen, dass sie ja niemanden kennen, der an Corona erkrankt sei oder sie es gar selbst bekommen hätten. Es erinnerte mich an die vielen Gespräche, die ich zu Antisemitismus und Rassismus führte: Nur, weil sie es nicht sehen, nicht erleben müssen, heißt es nicht, dass es nicht da ist. Und es heißt auch nicht, dass es weniger tödlich ist.
Wer mit Nazis marschiert, wer meint, dass das keine Rolle spielt, hat nicht verstanden, wie Faschismus funktioniert. Sie, die sie dort mitlaufen, Sie, die Sie auch nur Sympathien für die hegen, die dieses lächerliche gefährliche Schauspiel gestern ablieferten, Sie gehören dazu. Sie sind keine Außenstehenden mehr. Sie sind die, die Faschismus unterstützen, ihn tragen und sagbar und lebbar machen. Sie sind die Täter:innen unserer Zeit. Sie geben denen Rückenwind und Unterstützung, die die Freiheit, in der wir leben dürfen, gefährden. Und sie werden es sein, die sagen, sie hätten von nichts gewusst.
2. September 2020: Ich erlaube mir, die Analyse „Für Freiheit – und Antisemitismus? Verschwörungsmythologische Tendenzen in der Corona-Krise“ von Michael Blume, Beauftragter des Landes Baden-Württemberg gegen Antisemitismus, beizufügen. Er hat sie am 31. August 2020 verfasst. Die Analyse ist als PDF bei der Konrad-Adenauer-Stiftung hinterlegt.
Foto: Juna Grossmann, Juli 2020, Oberschöneweide words on the door (license)
Schreibe einen Kommentar