Der vergessene Fotograf Max Halberstadt

Nun gut, zugegeben, so ganz vergessen ist er nicht mehr. Schließlich gab es 2021 im Museum für Hamburgische Geschichte eine Ausstellung zu Max Halberstadt über die auch schon musermeku etwas schrieben. Inzwischen ist ein umfangreicher Band im Hirmer Verlag erschienen, zu dem ich einige Gedanken mitgeben möchte.

Die Ausstellung in Hamburg habe oder konnte ich nicht sehen. Es war 2021, die Dinge noch immer sehr wackelig und man beschränkte doch vieles aufs eigene Umfeld. In dieser Zeit entdeckte ich als Ersatz Ausstellungskataloge wie zum Beispiel „Entdeckungen“ von Benjamin Katz, der im Martha Herford ausstellte. Nun also zusätzlich mit zeitlicher Verzögerung: Der Fotograf Max Halberstadt in einem sehr umfangreichen, konsequent zweisprachigen Band in Deutsch und Englisch, der der Ausstellung folgt, aber Ruhe zur Betrachtung der sehr unterschiedlichen Arbeiten gibt.

Aufbau

Das Buch ist in mehrere leicht trennbare Abschnitte unterteilt, zwei Lesebändchen unterstützen das Lesen in Episoden. Nach den üblichen Vorreden, einer Einführung und seinem Kapitel zum Leben und der Arbeit Max Halberstadts, kann man sich nach 100 Seiten auf weiteren 200 Seiten in Fotokapiteln ganz der Arbeit des einst so bekannten Fotografen widmen. Auffällig hier: Die Vielseitigkeit. Trotz allem arbeitete sich Halberstadt ein besonderes Merkmal heraus, für das er geschätzt wurde: Kinderfotografie. Die ist, ohne die heutige Mittel, nicht ganz so einfach gewesen. Aber auch eine Dokumentation des jüdischen Friedhofs Altona ist dabei und natürlich, wie auch sonst, die Portraits vom Schwiegervater Sigmund Freud. Max Halberstadt konnte mit seiner Familie nach Südafrika fliehen und in seinem Beruf weiter arbeiten – ungewöhnlich. Doch die Strapazen forderten seinen frühen Tod. Das Ende des Krieges und was aus seinem Werk wurde, erlebte er nicht mehr bzw. musste es nicht erleben.
Das letzte Kapitel in diesem Teil ist das für mich persönlich spannendste und eigentlich schon ein eigenes Buch wert:

Das Vergessen

Das bekannteste Bild oder besser Bilder sind wohl jene Sigmund Freuds mit Zigarre in verschiedenen Varianten, aber auch das Porträt Max Liebermanns gehört dazu. Wie also kommt es, dass die Bilder bekannt sind – der Fotograf aber nicht. Das Kapitel „Auslöschung jedweder Erinnerung“ geht dem nach. Es ist mehr als ein reines Vergessen, es ist ein bewusstes, geplantes und konsequentes Vergessenmachen bis weit nach dem Krieg. 1955 stellte die Witwe des Fotografen einen Antrag auf Wiedergutmachung. Was folgte war ein Kampf mit den Behörden. Doch auch an anderer Stelle wurde gekämpft: Die Bilder Halberstadts wurden regelmäßig verwendet, ohne seine Urheberschaft kenntlich zu machen. Und das nicht von unbedarften Privatleuten, sondern Historiker:innen, renommierten Verlagshäusern und mehr. Absicht? Das Buch listet reichlich Beispiele mit den jeweiligen Bildangaben auf, wie und auf welche Weise Halberstadts Werk unterschlagen wurde. Für mich persönlich, das wichtigste und lehrreichste Kapitel.

Kaufen?

Nicht nur für Interessenten der Hamburger Lokalgeschichte, sondern auch jene, die sich für klassische Fotografenarbeit interessieren, ist dieses Buch zu empfehlen. Ich erlebe immer wieder, dass nicht mehr im Bewusstsein ist, was es einst hieß, Fotograf zu sein, welches handwerkliche Können, aber auch welche Bandbreite nötig waren, um sich einen Ruf machen zu können. Es scheint ein anderer Beruf gewesen zu sein.
Mit „Der Fotograf Max Halberstadt“ befinden sich nun drei umfangreiche Bände zu jüdischen Fotograf:innen, die fast vergessen waren in meinem Besitz: „Die Fotografinnen Nini und Carry Hess“ und „Julius Frank„. Auch 80 Jahre nach der Befreiung sind noch nicht alle Geschichten erzählt und alle Namen wieder bekannt – nicht nur in der Fotografie. Ich hoffe, es folgen mehr.


Der Fotograf Max Halberstadt
Hg. Uwe Franzen, Wilfried Weinke
Hirmer Verlag
ISBN: 978-3-7774-4498-7
Euro: 49,90
Ausstellung: 6. Mai 2021 – 2. Januar 2022


Disclaimer: Ich bekam den Katalog freundlicherweise durch den Hirmer Verlag zur Verfügung gestellt.


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