Eigentlich will ich nur fotografieren. Das denke ich oft, öfter noch, wenn mir wieder alles zu viel ist. Zu viel ist es mir oft, zu oft. An alle Ecken wird gezogen und gezerrt und ich müsste nein sagen, wäre mir das Verantwortungsbewusstsein nicht im Weg.
Was hilft, ist das Fotografieren, einen Film einlegen, alles einstellen. Ruhe, Entschleunigung, sehen, entdecken. Doch es wird mir schwieriger, schwieriger vor allem in meiner Stadt, die doch nicht mehr die meine ist. Wir haben uns arrangiert, wie alte Freude, die eine gemeinsame Geschichte teilen und uns gemeinsam an sie erinnern. Wir erinnern uns gern gemeinsam. Doch im heute sind wir fremd geworden.
Ich habe lange gebraucht zu begreifen, warum ich in Berlin so selten die Kamera herausnehmen. Ich schaue um mich und sehe Oli Grimm, der die Menschen fotografiert, was ich nicht kann und nicht will, ich sehe B., die die Pflanzen und Tiere beobachtet und in poetischen Nahaufnahmen auf geliebte Bilder bannt oder eben Dr. Waumiau, von dem ich die Porträts am meisten schätze, auch wenn er lieber die Stadt zeigt. Sie laufen herum durch die Stadt und finden ihre Motive und ich? Mich interessiert sie nicht.
Doch was ist es, was mich hindert? Kurz gesagt, Berlin interessiert mich nicht. Es ist uninteressant geworden. Ich glaube, es war Sven Marquardt, der das, was ich womöglich suche, die Schönheit der Vergänglichkeit nannte. Diese Schönheit, die nur wenige sehen. Und diese Schönheit ist in einer Stadt wie Berlin fast gänzlich verschwunden. Man muss sie suchen, sehr suchen. Die Vergänglichkeit hat hier keinen Raum. Die Vergänglichkeit, in der einst Kreativität ihren Raum fand, in der man sich probieren konnte. Das ist vorbei. Die Stadt lebt nur einen Schatten von dem, was sie einmal war, ein Gerücht, ein Echo, das nie so kraftvoll seil kann wie der Ruf, aus dem es hervorging.
Die Häuser dieser Stadt erzählen keine Geschichten mehr, wie die Menschen, die Geschichten durch ihr Sein und ihren Anblick erzählen, weniger wurden. Die Häuser sind poliert, die Makel beseitigt, die Geschichten überputzt, wie es bei den Menschen immer mehr der Fall ist. Es brauchte kein Instagram, um glattgebügelt zu werden. Es reicht, den Zauber der Vergänglichkeit und dessen Kraft nie kennengelernt zu haben und ihn zu schätzen. Ja, es war marode, es verfiel, und doch lebten Menschen darin, auch glücklich. Und gehört nicht das Sterben zum Leben hinzu – das Sterben auch von Häusern? Darf nichts mehr seine Narben, Risse, Wunden zeigen? Muss alles perfekt und harmonisch daherkommen an einem Ort, der das nie war? Und der nun ist, wie überall, anonym in ewig gleichem Design?
Manchmal sieht man sie noch, die Wunden der Stadt, auch die Spuren des Krieges, selten, man muss wissen wo, und sie lesen können. Das Neue Museum, die Kugellöcher auf der Museumsinsel, an den Kirchen der Stadt. Den letzten Hof in der Rosenthaler erhielt man in seinem Verfall, damit die Menschen wenigstens noch eine Ahnung davon haben können, wie es einmal war. Das geschulte Auge erkennt, dass auch er eine Fassadenreparatur hinter sich brachte. Das ungeschulte Auge sieht den Verfall – und mit Glück den Zauber in ihm und dass einst in Berlin, zumindest nicht in dessen Mitte, nie das Geld regierte.
Eigentlich will ich nur fotografieren und bin traurig, dass ich es hier nicht kann. Zwei Tage Belgrad im letzten Monat haben mich ein wenig daran erinnert mit seiner Altstadt, mit seinen Brüchen, die irgendwann verschwunden sein werden, doch die so viel erzählen, die Nischen bieten und auch Laufsteg.
Ich wünschte, ich könnte hier in Berlin herumstromern auf verbotenen Wegen, die heute verschlossen sind, doch ich bin zu spät geboren. Die Kamera ist dabei – immer. Doch worauf soll ich sie richten in einer Stadt, die aussieht wie jede andere? Und eigentlich will ich nur fotografieren und suche die Schönheit der Vergänglichkeit, in der nichts vergänglich sein darf, in einer Stadt, die eine Fremde wurde, eine Stadt, die mich nicht interessiert und ihre Geschichten abgeben musste an den Putz, an Glas, Stahl und Glas. Und heute nur noch ein Double anderer ewig gleicher gesichtsloser Städte ist und zugleich ein Schatten ihrer selbst.
Foto: Juna Grossmann, Belgrad Hochhäuser, Juni 2022, Olympus Pen F, Ilford FP4+ in Caffenol CMrs
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