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Ein jüdischer Friedhof als Kriegsgräberstätte? Der Fall Havelberg. Und ein Erfolg.

Schon vor acht Jahren schrieb Chajm Guski über die Verwendung des christlichen Kreuzes zur Markierung von Sterbedaten in der Wikipedia. Das Dilemma: Das Zeichen ist mehr als unpassend, wenn es sich um muslimisch oder jüdische Menschen dreht. Das Design der Wikipedia hat sich geändert, dennoch taucht die unbedachte Verwendung immer wieder auf. Neulich in Havelberg wurde ich erneut deutlich daran erinnert.

Havelberg ist ein schöner Ort an der Havel in Sachsen-Anhalt, idyllisch könnte man es dort nennen, umgeben von Natur – einfach schön. Ich bin gern in der Gegend. Den Ort dominiert der Havelberger Dom, der – irgendwoher muss der Name ja kommen – auf einem Berg liegt.

Die jüdische Geschichte der Stadt ähnelt der vieler anderer Städte: Frühe Besiedlung, Pest, Vertreibung, Wiederansiedlung, Schoa, Ende des jüdischen Lebens in der Region. Die ehemalige Synagoge befand sich in einem Hinterhof direkt am Marktplatz, den Hof kann man problemlos betreten. Schon seit Jahrzehnten erinnert am Haus eine Tafel an sie, am 9. November werden, wie überall in Deutschland, Blumen niedergelegt. In der Nähe der Stadt lag einst ein Hachschara-Lager, von dem die Gebäude noch existieren, und auch der jüdische Friedhof ist erhalten und gepflegt. Doch bevor man auf den 1894 angelegten Friedhof kommt, wird es, nun ja, sehen Sie selbst:

Ein Foto von einem Hinweisschild. Das Schild ist braun, links sind drei Kreuze und es ist mit Jüdischer Friedhof beschriftet. Links davon kann man einen Pfad erkennen, sonst dichter Bewuchs mit Bäumen.
Hinweisschild zum jüdischen Friedhof Havelberg. Foto: Teja Begrich

Das zuständige Ordnungsamt hat hier ein Hinweisschild zum Friedhof aufgestellt. Zunächst erst mal sehr gut und leider nicht selbstverständlich. Doch als Vorlage verwendete man das Zeichen für eine Kriegsgräberstätte. Es kommt zudem nicht von ungefähr, dass auch der Volksbund das Zeichen (mit mehr Kreuzen) als Logo hat.

Ein jüdischer Friedhof ist keine Kriegsgräberstätte. Es ist ein Friedhof.

Das Zeichen der drei Kreuze ist nicht nur unpassend, da hier keine christlichen Menschen bestattet sind, es ist doppelt fehl am Platz, da es sich in dieser Version um drei Kreuze handelt „Also wie Golgata oder was?“ wie Teja Begrich, Dompfarrer zu Havelberg, anmerkte.

Die merkwürdigen Klebereste, die sich quadratisch um die Havelberger Kreuze befinden, sind der unermüdlichen Museumsleiterin des Prignitz-Museums Antje Reichel, zu verdanken. Sie erinnert nicht nur unbeirrt an die Prignitzer jüdische Geschichte, sondern klebt regelmäßig einen Davidstern über die Kreuze.

Ein braunes Hinweisschild mit weißer Schrift in metallener Fassung. Links ist ein schwarzer Davidstern auf weißem Untergrund angeklebt. Die Schrift daneben lautet: Jüdischer Friedhof.
Überklebtes Hinweisschild am Friedhof Havelberg. Foto: Ruth und Heiner Knester

Teja Begrich berichtete, dass schon versucht wurde, das Ordnungsamt zu überzeugen, das Schild auszuwechseln. Das wurde abgelehnt, es sei zu kompliziert. Auch eine Version ohne Zeichen sei zu aufwendig.

Eine Bildrecherche indes ergab, dass das einzige Hinweisschild auf einen jüdischen Friedhof mit Kreuzen in Deutschland sein dürfte. Andere Gemeinden haben schlicht weiße Schilder ohne Symbole oder aber, wie die Stadt Lahnstein das bekannte braune Schild mit einem Davidstern. Es geht also doch.

Ich vermute, dass viele dieser falschen Verwendungen schlicht unbedacht sind. Doch spätestens, wenn es Hinweise gibt, dass etwas nicht richtig ist, sollte es geändert werden. Das sieht das zuständige Ordnungsamt bisher anders – leider.

Ich habe in der Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe nachgefragt, ob der Friedhof, der Teil der Gedenkstätte ist, mit so einem Zeichen markiert sei. Schließlich ist es im weitesten Sinne eine Art Kriegsgräberstätte. Hier liegen Menschen unterschiedlicher Religionen bestattet, die beim Massaker in der Feldscheune Isenschnibbe Gardelegen ermordet wurden. Ihre Gräber wurden von den amerikanischen Alliierten zum Militärfriedhof erklärt. Es gibt solch ein Zeichen nicht. Das dortige Amt stellt grundsätzlich keine dieser braunen Schilder auf und verwendet lieber neutral weiße, die im Fall Gardelegen auf die Gedenkstätte als Ganzes aufmerksam machen.

Es ist demnach keine Sache des Bundeslandes, sondern wie so oft persönlicher Befindlichkeiten. Leider geht es wie so oft nicht um die Menschen, um die es grundlegend gehen sollte: Die ehemaligen jüdischen Bürgerinnen und Bürger Havelbergs und der Menschen, die sich für ihre Erinnerung einsetzen.

Eine bundesweit einheitliche Regelung scheint nicht zu existieren, wäre aber angebracht – gerade für Menschen, die Regeln dem gesunden Menschenverstand vorziehen.


Nachtrag April 2023

M. Salomon war so nett, mir nach einem eigenen Besuch in Havelberg nochmal zu schreiben und zu sagen, dass es jetzt einen Davidstern – professionell angebracht gäbe. Also E-Mail an Teja Begrich, Dompfarrer zu Havelberg. Der hatte tatsächlich schon Bilder für mich gemacht und schreibt, dass es nach dem Artikel hier doch in Initiative der Stadtverwaltung (und einem weiteren Gespräch von ihm mit dem Ordnungsamtleiter) Verständnis gab, der Zustand geändert wurde und jetzt bespielhaft ist. Danke an die Stadtverwaltung Havelberg und natürlich auch Teja, dass er da nicht locker lies.

Ein jüdischer Friedhof als Kriegsgräberstätte? Der Fall Havelberg. Und ein Erfolg.
Beschilderung des jüdischen Friedhofs Havelberg im März, 2023, Foto: Teja Begrich
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9 Kommentare

  1. Wie wäre es den Schildertausch, z. B. über Spenden, und abgesprochen mit der Gemeinde, selbst in die Hand zu nehmen? Ich würde mich auch organisatorisch beteiligen.

    • Eine jüdische Gemeinde gibt es ja nicht mehr. Ich weiß aber, dass Teja Begrich und Antje Reichel da nicht locker lassen werden. Dieser Text ist hoffentlich etwas Unterstützung dafür. Ich leite es aber mehr Hilfsangebote sehr gern weiter!

      • Oh, ich meinte die Ortsgemeinde zu der das Ordnungsamt gehört – nicht eine jüdische Gemeinde.

  2. M Salomon M Salomon

    Hallo Juna,

    vielen Dank für deinen Beitrag! Ich hoffe, dass dieses furchtbare Schild bald geändert wird und freue mich dass du und Teja Begrich und Antje Reichel da aktiv sind!

    Ich bin zufällig bei der Ahnenforschung auf deinen Blog gestoßen. Meine 2 Fragen zuerst und dann zu meinem Hintergrund:

    1. Ist der Friedhof einfach betretbar? Hier in Berlin haben jüdische Friedhöfe ja oft Öffnungszeiten oder sind nur nach Anmeldung für die Nachkommen der dort begrabenen zugänglich (Adass Yisroel Fiedhof in Weißensee).

    2. Sind dort Grabsteine für die Familie Salomon?

    Zu mir: Meine Familie und ich recherchieren momentan zu unseren jüdischen Vorfahren, den Salomons. Meine Großmutter (geborene Salomon) erinnert sich wohl aus ihrer Kindheit in der Region auf einem jüdischen Friedhof gewesen zu sein und dass dort viele Salomons begraben wesen sein. Sie ist leider keine zuverlässige Quelle. Wir dachten immer, dass das in Perleberg oder Lenzen gewesen sein muss, weil die Familie und v.a. die protestantisch-preußische Seite dort gelebt hat. Über Google haben wir aber jetzt einen Verweis auf eine Familie Salomon in Sandau gefunden, die wohl zu der jüdischen Gemeinde in Havelberg gehört hat. Deshalb die Frage ob auf diesem Friedhof Grabsteine für die Salomons erhalten sind.

    Ich hoffe das ich diese Frage hier auf deinem Blog stelle — Ich will in 2 Wochen (leider an einem Samstag) mit meinen Eltern in die Region fahren und sicherstellen, dass wir den richtigen Friedhof finden.

    Vielen Dank!

    • Liebe/r M, oh, das weiß ich nicht mehr. Toll aber, dass Du auf Spurensuche gehst. Es standen nur noch wenige Steine und eine Gemeinde gibt es ja nicht mehr. Der Friedhof ist frei zugänglich, ich wäre da sicher ohne Teja vorbeigefahren. Er liegt etwas versteckt hinter Bäumen. Teja erzählte, dass die dortigen Kleingartennutzer gut auf den Friedhof aufpassen. Ich würde da ruhig mal bei Frau Reichel im Museum fragen, die weiß am besten bescheid oder Teja. Mit ganz herzlichen Grüßen! Juna

      • M S M S

        Wir waren jetzt vor ein paar Wochen dar und das Schild wurde geändert! Sieht auch offiziell aus, farblich passend übermalt und mit Davidsstern.

        Von meinen Vorfahren ist dort wohl leider niemand begraben, die lagen wohl alle auf dem komplett zerstörten Friedhof in Lenzen.

        • Ganz ganz herzlichen Dank für das Update, gut zu wissen – obwohl übermalt? Vielleicht zögert das die Änderung heraus, da ein ganzes Schild gewechselt werden müsste. Ich werde mal nachfragen. Danke für den Hinweis.

          Schade, dass es nicht dieser Friedhof war. Aber es klingt doch so, dass es einen Schritt weiter gehen konnte in der Suche? Ich hoffe es sehr.

          • Salomon Salomon

            Es sah so aus als sei das Schild offiziell übermalt worden, also das es gar nicht getauscht wird. Ein Bild kann ich hier leider nicht posten, aber es sah proffessionell gemacht und deshalb amtlich aus.

          • Ich habe oben schon ein Bild im Beitrag selbst 😊 Teja war so nett.

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