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Nach dem Gespräch

Es ist immer so in Gesprächen, dass mir hinterher noch so viel einfällt, was ich sagen wollte, sagen sollte und es blieb ungesagt. Ganz besonders ist das so, wenn die Zeit begrenzt ist. Heute war ein solches Gespräch, für das ich dennoch sehr dankbar bin, da es mich sehr bereicherte. Ich bin auch dankbar, weil es mir doch zeigte, was mir fehlt in diesem Coronajahr: der Austausch. Nun ist es nicht so, dass ich mit niemandem spräche. Doch sind die Gespräche anderer Natur. Es geht letztlich immer um Corona, es geht um Öffnungsszenarien, es geht um Ängste, Impfstrategien, Hoffnung, Krankheit und Tod.

In den letzten Jahren hatte ich das Privileg, sehr viele Gespräche führen zu dürfen. Nicht immer waren sie erfreulich. Manchmal wurde es laut. Oft war ich erschöpft und desillusioniert und hatte genug und wollte “das Spiel” nicht mehr mitspielen. Dann gab es wieder diese Tage, in denen mein „nicht das, was Sie erwarten“ geradezu gewünscht wurde. Ich denke da an die Stolpersteinkonferenz in Berlin oder an das Gedenken in Gardelegen. Doch wirkliche ehrliche Gespräche, am besten noch in geschützten Räumen, die fehlen. Gespräche, in denen ich weniger „die Jüdin“ als Juna sein darf und kann. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin dankbar für all die Gespräche, sie waren und sind eine Bereicherung für mein Verständnis. Wenn ich es nicht auch gern machen würde, wäre ich nicht dabei.

Heute nun sprachen wir darüber, wie wir “mitspielen” oder es nicht sollten. Nun gibt es einen Unterschied zwischen jenen, die institutionell oder parteilich gebunden sind und jenen, die es nicht sind, und es gibt einen Unterschied zu jenen, die davon leben (müssen) und denen, die es nicht tun. Ich bin nicht gebunden und froh darüber. Ich kann reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist und wie ich in diesem Moment empfinde. Was für ein Geschenk!

Ich werde das Gespräch heute hier nicht wiederholen. Man wird es Ende Februar nachhören können.

Es geht mir in diesen meinen Gedanken hier vielmehr um die Erkenntnis, was mir doch derzeit intellektuell fehlt. Mir fehlen eindeutig solche Gespräche, mir fehlt der Austausch mit Menschen, die ihre Geschichten und Sichten erzählen – abseits des Coronaalltags und ich merke, ich sollte mich mehr darauf konzentrieren und solche Gespräche suchen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich in den letzten Monaten kaum noch fähig war, einen Gedanken zu Papier zu bringen. Warum ich nicht verstand, dass die Tastatur da so unberührt blieb. Meine Gedanken waren woanders. Sie waren in der Arbeit, in der Sorge um liebe Menschen und in der Organisation des Alltags. Ich habe Glück, mir fallen die Einschränkungen verhältnismäßig leicht, ich habe ein regelmäßiges Einkommen. Es geht mir also gut. Mein Wunsch aber, das doch von allen Türmen ausgerufenen Mehr an Zeit für die Bücher zu nutzen, die nicht abends vor dem Schlafen gelesen werden können (Ich denke hier besonders an meinen Stapel von Rabbi Heschel oder die jüdischen Streitschriften, die ich mir extra bestellte, weil ich auf Zeit und Muße dafür hoffte.) Liegen weiter unberührt. Was mir bleibt, ist ein schlechtes Gewissen und Enttäuschung, dass mir diese Zeit nicht geschenkt wurde. Sie warten nun wohl auf den nächsten Spätsommer im Süden, in dem die Tage aus Sonne und Büchern bestehen wird. Oder wer weiß, wir werden noch ein paar Monate in diesen Situationen leben, vielleicht kommt er dann auch, diese meine Lesezeit.
Ich meine, irgendwo auch bei Hannah Arendt gelesen zu haben, dass man eben doch diese Gespräche braucht, um das Gehirn zum Denken warm zu halten. Und selbst, wenn ich es nicht bei las, so merkte ich heute noch intensiver, dass dies bei mir der Fall ist. In den Gesprächen mit Menschen sammle ich meine Gedanken, werde angeregt, andere Positionen anzudenken. Nur, wenn ich das haben kann, kann ich schreiben, muss ich schreiben. Das fehlt mir sehr. Ich bin daher froh, dass Chajm und ich voraussichtlich wieder etwas mehr Zeit für den Podcast finden können und dankbar für die Menschen, die dort mit uns plaudern wollen.

Das Gespräch heute bleibt bei mir für den Moment und Tage und wird mir Gedanken bringen, Überlegungen und Bewertungen. Nicht zuletzt bin ich dankbar, weil es doch eines in mir auslöste: Den Drang, mich an mein Schreibgerät zu setzen und diese, meine Gedanken in Worten zu sortieren – und dies ist nicht der einzige Text, den ich heute schreiben konnte.


Foto: Duke University Archives Graduate and Professional Student Picnic, 2001 via photopin (license)

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