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Ein Mensch geht

Plötzlich ist ein Mensch weg, alt und krank und es war sicher Zeit zu gehen und dennoch. Etwas reißt ab. Es ist das Ende einer Geschichte und auch meine Wurzeln werden hier gekappt. Ich spreche nicht von Ästen, denn dieser Mensch war Teil meiner Wurzeln, von denen ich nicht viele habe.

Nicht nur Covid verhinderte in der letzten Zeit ein Wiedersehen. Wurde ich beim letzten Mal erkannt, ja kurz, ich war wieder “meine Kleine”. Das bin ich jetzt nicht mehr, nie wieder werde ich es sein. Nur in meiner Erinnerung. Das schmerzt. Es ist zudem die Verbindung zur Stadt, die ich so liebe und in der ich hier und dort abbiege und dann unter der großen Kastanie parke. Das ist schon lang vorbei, die Kastanie gibt es nicht mehr. Aber es sind meine Winter und Sommer nach 89, als wir endlich zu Besuch kommen durften. Es war das Zuhause abseits des Zuhauses und dieser Ort wurde zu einer Art Heimat, obwohl ich das Wort scheue und meide. Erst jetzt zum Ende des Tages kommt die Nachricht mehr bei mir an. Vermutlich wird es länger dauern, es zu realisieren. Es wird von nun an keinen Besuch im Heim mehr geben. Keine großen Familienfeiern, keine Erinnerungen, die geteilt werden.

Der Lebensmensch ist schon vor ein paar Jahren vorgegangen. Anders als bei ihm, werden wir uns nicht alle treffen dürfen, um uns gemeinsam zu erinnern, anders als bei ihm, werden wir nicht alle zusammen am Grab stehen dürfen und wird uns so das letzte “gemeinsam” entgehen, wie es doch so oft ist, wenn die Fixpunkte in Familien die Erde verlassen. Es kann sein, dass alles anders kommen wird und die Äste dieser Familie werden weiter zusammenkommen und weiter neue Äste und Stämme mit einfließen lassen, wie das bei Veredlungen so geschieht. Wir werden sehen. Für den Moment nur bin ich traurig, so wehmütig, nicht mehr “die Kleine” zu sein und gleichzeitig bin ich dankbar, diesen Menschen und diese Familie gehabt zu haben, ein Teil von ihnen zu sein. Es ist ein Geschenk.

Und doch weiß ich, dass die Ankunft im Bahnhof nicht mehr nur die überwältigenden Gefühle vom 18. November 89 auslösen wird, er wird jetzt gleichermaßen den 4. März 2021 in sich tragen und das Wissen, dass ein Mensch dieser Stadt fehlt.

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