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Der Duft des Brotes

Auf dem Weg zur schrecklichen Schule gab es eine kleine Bäckerei. Privat. Noch mit einer Einrichtung, die wohl den letzten Krieg überlebte. Man roch in der Straße, wenn gebacken wurde. Gegenüber des alten Gefängnisses mit den hohen Mauern. Ob W. auch dort war? Er galt in der DDR als „asozial“, er arbeitete nicht regelmäßig, konnte es nicht. Er war alkoholkrank, betäubte damit, was er an seinem Leben nicht ertrug. Ich verstand nicht, warum man jemanden einsperrte, der niemandem außer sich selbst schadete. Ob er wohl dort hinter diesen Mauern war? Ich kann ihn nicht fragen. Der Alkohol zerstörte ihn. Der Staat zerstörte ihn. Er war ihm und dem Leben darin nicht gewachsen.

Donnerstags stand oft eine eine Schlange vor dem Bäcker eine schmale Treppe hinauf, donnerstags gab es beim Bäcker, so er Mehr hatte, frisches rundes Brot: Mops. Ganz klein und knusprig und noch heiß, wenn die Schule vorbei war. Ganz anders als das übliche Brot, das in den Geschäften zu bekommen war. Die Kruste war knusprig, dunkler, innen war es von einem anderen grau, eher braun. Ich freute mich auf dieses heiße Brot an Donnerstagen. Es ließ mich den Tag in der Schule überstehen. Im Arm hielt ich es auf dem Weg nach Hause, ganz sacht. Manchmal konnte ich es nicht aushalten und knibbelte am Rand, holte das duftige heiße Innenleben heraus. Es war ein kleines Gefühl von Himmel. Manchmal blieb nur noch wenig übrig vom Brot, wenn meine Mutter abends nach Hause kam. Das war nicht schlimm. Wir waren nie Brotesser. Oder Abendbrotesser wie andere Familien, die zusammen um den Tisch saßen. Ich kann mich an die von ihr zu Blumen geschnitzte Radieschen erinnern und Rührei. Die Donnerstage waren nicht mehr ganz so schlimme Tage. Es gab den Mops, es gab die Wärme, den Geruch und die Farbe in einer Welt, die so grau war. Das heiße Brot konnte man auch auf die blauen Flecken und Striemen legen. Fast wie die warme Hand eines Erwachsenen, der tröstet. Doch das gab es nicht an der schrecklichen Schule. Erst abends wieder, wenn Mama kam. Doch bis dahin war ich allein.

Irgendwann musste ich nicht mehr auf die schreckliche Schule. Die Nähe des Gebäudes und damit die Straße der Bäckerei mied ich auf Jahre. Zu schmerzhaft war es. Noch heute gibt es diesen Schmerz, wenn ich in der Nähe bin. Inzwischen war ich wieder auf dem Hof der Schule, auf dem Brutalität und Demütigung Alltag war, ich stahl mich irgendwann auch ins Gebäude, um meine Angst vor dem Ort zu überwinden. Man hatte sich einen neuen Namen gegeben. Die Geschichte war vorbei. All die Lenin- und Marx-Altäre waren verschwunden.

Das Trauma dieser Jahre verschwindet nicht. Geblieben ist der Duft des Brotes, den ich nie wieder fand. Das Wohlgefühl, das damit verbunden war, der Trost. Gerüche vergisst man nicht. Sie prägen uns. Heute war dieser Duft, den ich schon lange nicht mehr suchte, wieder da. Auf dem Markt kaufte ich ein Brot. Es war nicht heiß, es war rund, aber nicht klein. Als ich es zu Hause auspackte, entfaltete es seinen Geruch. All die Erinnerungen waren wieder da. Die Straße, die kaputten Häuser, die Bäckerei mit der kleinen Treppe, die hohe Mauer des Gefängnisses und das Gefühl, jetzt sicher zu sein, bald zuhause. Heute stand ich zuhause und roch am Brot.

Auch die anderen Erinnerungen kamen wieder, die, die immer da sein werden, an die ich immer weniger denke, die mich schon lange nicht mehr beherrschen können. Doch heute merkte ich, dass sie nicht mehr die wenigen guten Erinnerungen dieser Jahre überlagern können. Zumindest nicht den Duft des Brotes. Er ist wieder da und er macht mich glücklich.

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2 Kommentare

  1. jim jim

    „Augenblicksglück“

    Wunderschön erzählt, …

  2. Ein irgendwie anrührendes, irgendwie schönes Bild aus Deiner Kindheit, danke, Juna

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