Meine Kindheit war geprägt durch den wachsenden Rechtsextremismus in der DDR, durch Neonazis, die prügelnd durch die Straßen liefen und einen Staat, der all das ausblendete, verneinte, ignorierte. Man vertuschte die Überfälle auf Homosexuelle, auf Linke. Und als man spätestens beim Überfall auf die Besucher des Konzerts in der Zionskirche im Oktober 87 nichts mehr vertuschen konnte, waren es die „Anderen“, waren die Nazis natürlich aus dem Westen gekommen. Bei uns, da wo alles sicher war, gab es sie nicht – so sagte man. Und wusste gleichzeitig, dass es eine Lüge war. Eine Lüge, die dem Wachsen und Weiterwachsen bis nicht zuletzt zum NSU Vorschub leistete. In meinen letzten Schuljahren war ich umgeben von Mitschülern, die offen rechts waren. Die Ihre Propaganda im Unterreicht verbreiteten und umgeben von einem Schweigen und Abtun der Lehrer:innen dort – auch, als ein Mitschüler fast tot geprügelt wurde. „Das war ja vor der Schule, nicht in ihr“. Wir wussten, wer die Täter waren. Kurz danach wechselte ich die Schule. Es waren die 90er. Man ließ gewähren. Dachte, es wäre eine Phase und schon damals, in meinen jungen Jahren dachte ich, das wird nicht so sein. Jetzt muss man nicht ignorieren, nicht vertuschen und doch tat man es. Man tut es bis heute. Tut ab, vergisst, vergisst zu schnell. Wie viel auch ich schon wieder vergessen hatte, sah ich, als ich in eben jener Zionskirche im April die Ausstellung „Immer wieder? Extreme Rechte und Gegenwehr in Berlin seit 1945“ besuchte. Eine Ausstellung, die erstaunlich wenig Medienresonanz in Berlin und auch sonst erhielt. Eine Ausstellung, deren Wichtigkeit offensichtlich mehr als unterschätzt wird. Macht man sich selbst zur Zielscheibe, wenn man sie in den eigenen Räumen zeigt, wenn man darüber schreibt? So scheint es fast.
Können Sie sich noch an die Familie Baltruschat erinnern? Buchhändler in Marzahn? Ich hatte sie vergessen und schäme mich dafür. Hatte vergessen, dass er Baltruschat seinen Arm verlor bei einem Anschlag auf seinen Buchladen. Und gleich musste ich an Herrn Ostermann in Rudow denken, dessen Auto brannte…Es ist eben nicht vorbei. Auch zwanzig Jahre danach ist nichts vorbei. Oder erinnern Sie sich noch an Nguyen Van Tu, der 1992 von Skinheads ermordet wurde? Erinnern Sie sich noch an die von Neonazis zerstörte Baracke 38 in der Gedenkstätte Sachsenhausen? An all die Anschläge auf Gedenkorte in Berlin? Machen gestohlene und zerstörte Stolpersteine in der Stadt noch Schlagzeilen? Die Proteste gegen die Wehrmachtsausstellung? Erinnern Sie sich? Und nicht zuletzt die offenen Drohungen an den Privatwohnungen von Aktivist:innen in und außerhalb der Politik.
Der Mensch vergisst, er vergisst zu schnell, umso wichtiger sind Ausstellungen und Publikationen wie diese von apabiz und dem Aktiven Museum. Die Ausstellung ist, geprägt durch ihre Helligkeit, vielleicht auch Leichtigkeit, die man im ersten Moment vermutet und schildert sachlich die Entwicklung der Rechten in Berlin seit 1945. Sie lässt Ostberlin nicht aus und erklärt die dortigen Umstände für die, die sie nicht kennen. Sie erinnert und beschämt und ist so wichtig. Wichtig an Tagen, wenn Politiker zum Mord an Walther Lübcke sagen „Das haben wir seit den NSU-Morden nicht mehr für möglich gehalten.“, schon der Mordversuch an Henriette Reker vor nicht einmal vier Jahren durch einen Rechtsextremen scheint vergessen, und vor allem all die Morde durch den NSU – von denen wir wissen – scheinen vergessen und mit ihnen die Opfer. Die Schlamperei während Ermittlungen und Prozess scheinen vergessen. Und wieder, wieder wurde nichts gelernt, weil nichts gelernt sein will.
Wenn die Berichte zum Fall #Lübeck zutreffen, dann war es kaltblütiger rechtsextremer Mord. Das haben wir seit den NSU-Morden nicht mehr für möglich gehaltenen. Es ist furchtbar und schreit nach rückhaltloser Aufkläring & Bestrafung. https://t.co/34VQfOcjAj
— Peter Altmaier (@peteraltmaier) June 17, 2019
Die Ausstellung ist ab heute Abend bis 16. Juli im August Bebel Institut im Wedding zu sehen mit einem Begleitprogramm, das sich lohnt. Es wird hoffentlich nicht der letzte Ort sein und es wird hoffentlich mehr Aufmerksamkeit geben.
Zur Ausstellung gibt es einen handlichen ebenso gestalteten ausführlichen Katalog für nur fünf Euro und eine kostenlose herunterladbare pädagogische Handreichung.
Disclaimer: Ich bin nicht aufgefordert oder gebeten worden, diesen Beitrag zu schreiben. Ich bin überzeugt von der Bedeutung dieser Ausstellung und ihrer Qualität und gleichsam entsetzt, wie wenig Notiz davon genommen wird. Ein Synonym dafür, wie wir alles ausblenden, was mit rechter Gewalt zu tun hat?
Schreibe einen Kommentar