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Transgender im Judentum

„Wie steht das Judentum eigentlich zu Transgender?“ Ja, wie eigentlich? Wie so oft ist die Antwort auf die Frage: Es kommt darauf an.

Selbst habe ich mir die Frage nie gestellt. Für mich gilt der Mensch. Nur der.

„Da erschuf Gott den Menschen in seinem Ebenbilde, in dem Ebenbilde Gottes erschuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie.“* Ein Satz, der so oder so interpretierbar ist und sein wird. Judentum wäre nicht Judentum, wenn das nicht geschähe und es auch hier unterschiedliche Meinungen gäbe.

Fakt ist: Genau das passiert. In der Orthodoxie bleibt man das, wozu die Geschlechtsteile bei der Geburt einen Menschen scheinbar zuordnen. Wenn man die nun aber endlich nicht mehr hat? Macht in diesem Falle nichts. Noch 2012 urteilte ein Bet Din, dass wohl eine der prominentesten jüdischen Transgendermenschen noch immer zu einem Minjan (also dem Quorum von 10 Männern, die in der Orthodoxie für einen G’ttesdienst anwesend sein müssten) gezählt würde. Sharon Cohen, besser bekannt als Dana International, war zu diesem Zeitpunkt schon sehr lange das was sie ist: eine Frau. Doch Judentum wäre nicht Judentum, wenn sich nicht auch in der Orthodoxie ein paar Dinge bewegten. So konnte man im letzten Monat Mike Moskowitz, einem orthodoxen Rabbiner bei Unorthodox zuhören, der sagt, dass Identität ist, sie ist keine Wahl.

Für das liberale Judentum hatte im vergangenen Jahr Gerald Beyrodt einen Beitrag veröffentlicht, den ich an dieser Stelle ans Herz legen möchte. Man findet ihn hier: Rafael heißt: Gott heilt. Transsexualität im Judentum. Hinzuzufügen gibt es nichts.

Die Dinge ändern sich, wie sie sich über die Jahrtausende ändern, manches langsam, anderes schnell und vielleicht gibt es sie irgendwann überall nicht mehr: die Trennung von Männlichem und Weiblichen, vielleicht kehren wir zum Anfang zurück, zum Menschen.
Vielleicht aber ist es auch gut für Menschen, die Wahl zu haben, sich zu entscheiden, welchen Weg sie gehen möchten. Wenn wir die verschiedenen Wege nur akzeptierten, ohne einander schaden zu wollen.

Der Mensch sucht sich nicht aus, ob er weiblich, männlich, beides ist, sie sucht sich nicht aus, ob helle oder dunkle Haut und Haare, sie suchen sich nicht aus, wen sie lieben und noch weniger sucht Mensch sich aus, ob das Äußere zum Inneren passt.

Wir leben in einer Zeit, in der wir die Chance hätten, Menschen in falschen Körpern oder unbestimmt zuzuordnenden Geschlechtern, nicht mehr zu diskriminieren. Wir hätten die Chance, frei sein zu dürfen und frei lassen zu dürfen. Die Wissenschaft hat uns so weit vorangebracht, wir wären in der Lage so viel zu verstehen. Und dennoch scheint es, als würden wir genau jetzt zurück gehen. In eine Welt in der es nur schwarz und weiß, männlich und weiblich gibt. Eine Welt, in der nicht nur ich nicht leben will.


*SEFER NETIVOT HASCHALOM. Die Tora nach der Übersetzung von Moses Mendelssohn, Revision 2015, Hrsg: Annette Böckler

photo credit: gruntzooki Nongendered toilet sign 2, Electronic Frontier Foundation, California, USA via photopin (license)

Ein Kommentar

  1. Christian Christian

    Großartiger Blog! Bin froh ihn gefunden zu haben. Danke, dass du dich diesen wichtigen Fragen annimmst.

    :)

    Herzliche Grüße,

    Christian.

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