Im Gegensatz zu vielen Menschen, die in den letzten Tagen und Wochen durch die deutsche Medienlandschaft geistern und ihre Meinung dazu kundtaten, was Rassismus sei – durchweg natürlich als nicht Betroffene, oft weiße sehr priviligierte Männer, bin ich angesichts dessen nur eines: fassungslos. Mehr und mehr erkenne und erlebe ich diesen merkwürdigen Impuls von Nichtbetroffenen, diejenigen nicht zu befragen, die auf die Frage, was Rassismus sei und wann er beginnt, als einzige Auskunft geben könnten bzw. deren Aussagen zu anzuzweifeln, meist in der Art: „Das habe ich noch nicht erlebt, ich glaube das nicht.“ Im Übrigen ein Impuls, der auch in Zusammenhang mit Antisemitismus gern geweckt wird.
So diskutiert man allen Ernstes, wie rassistisch Tönnies ist, ob überhaupt und definiert sich merkwürdige Rassismustheorien zusammen. Fakt ist: jemand der sich rassistisch äußert, ist rassistisch. Da gibt es keine Diskussion, keine Fragen, nichts. Im Fußballfall bekommt man als Strafe drei Monate Urlaub und ein „böser Junge du“. Es ist niederschmetternd und entmutigend. Zum Glück gibt es in diesem Fall die Fans, die die Sache doch etwas anders sehen und hoffentlich dabei bleiben. Schon den Gedanke „hoffentlich“ zu denken, ist entsetzlich.
Ai Weiwei erzählt etwas später, dass er Berlin verlassen will, das die Freiheit hier nicht die ist, die er erhoffte. Seine Erfahrungen in der etablierten Berliner Kulturszene, die sich politisch gern duckt und nicht Stellung bezieht, kann ich nur bestätigen. Er erzählt aber auch z.B. von Erlebnissen mit rassistischen Taxifahrern. Leser zweifeln es an „Da muss ja mehr passiert sein, kann ich mir nicht vorstellen.“ Es ist auch dies, dieser immer wieder kommende Impuls, dieser glücklichen priviligierten Menschen, die das nie erleben müssen. Das ist wunderbar. Nur, wir haben mehr als genug Bürgerinnen und Bürger, denen es nicht so geht. Menschen, deren Haut und Haar ungefragt berührt werden, die gefragt werden, ob sie in den Ferien „nach Hause führen“, obwohl sie Deutsche sind, Menschen die schlicht nicht dem Blond und Blauäugig entsprechen, das offensichtlich zu viele als „deutsch“ definieren. Diese Menschen sind da: man muss sie nur fragen. Man muss sie vor die Kameras holen für Kommentare und Nachrichten, muss ihnen zuhören und nicht geradezu bevormundend für sie sprechen wollen. Es ist dieses immer und immer wieder ÜBER Meschen sprechen, statt MIT ihnen. Dieses immer wieder von oben herab und ohne sich der eigenen priviligierten Position bewusst zu sein. Deshalb werde ich diese Frage oben nicht beantworten oder vielleicht doch: Für mich beginnt Rassismus, wenn ein davon betroffener Mensch sagt, das ist für mich Rassismus. Diese Schwelle ist für jeden unterschiedlich und es obliegt nicht mir, das zu werten. Es obliegt mir nicht nur nicht, es gehört sich nicht. Der Anstand verbietet es.
In den letzten Jahren habe ich immer wieder diese ungläubige, abwertende Reaktion erlebt: „Das habe ich noch nie erlebt, das kann so nicht gewesen sein.“ Durchweg natürlich von nichtjüdischen Menschen. Inzwischen habe ich die Geduld verloren, wenn ich es höre. Es macht micht wütend, wie es mich wütend macht, wenn Zeitschriften ihr stereotypes Bild von Juden veröffentlichen und trotz aller (jüdischer) Kritik gutheißen und schlicht und einfach nicht verstehen wollen, was es heißt, mit einem Stereotyp abgebildet zu werden, gegen das man versucht anzukommen. Ein mühseliger Kampf, steckt dieses Bild doch so tief, noch immer. So wie bei Herrn Tönnies das Bild, das er Afrika hat, tief steckt, tief verankert ist. Die Stimmen der Getroffenen, sie werden abgetan. So wie auch die Stimmen der Sinti und Roma abgetan wurden, ob eines durch sie als rassistisch eingetuften Fernsehberichts. Und hier, hier schließt sich der Kreis: Rassismus/ Antisemitismus/Diskriminierung beginnt, wenn die, die dadurch betroffen sind sagen, hier beginnt es. Hinsehen, zuhören, in sich gehen und nachdenken, bevor man seine Meinung kundtut. Wir priviligierten weißen Menschen haben das Glück, vieles nicht erleben zu müssen. Wir können aber dieses Privileg einsetzen, um denen zu helfen, die es nicht haben. Wir können für einen Moment schweigen und zuhören. Wir tun es nicht.
photo credit: rawEarth CloseTheCamps_30Days_Day2_IMG_1231-1 via photopin (license)
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