Vor gut einer Woche durfte ich auf der Berliner Stolpersteinkonferenz ein paar Worte sagen. So, wie Da danach gefragt wurde, hier nun die (in etwa) Rede im Blog. Es ist nicht die letztendlich gehaltene Rede, in etwa aber sollte es stimmen. Ich sammelte zu Beginn meine Gedanken, schrieb sie auf, kürzte, ordnete um und fügte Dinge während des Redens ein, anderes ließ ich weg. Aber nun ja, hier also der aufgeschriebene Stand:
„Es ist ein Akt des Bösen, den Zustand des Bösen als unvermeidlich oder endgültig zu akzeptieren.“Rabbi Abraham Joschua Heschel, 1932
Das Judentum ist eine Religion, die Vergangenheit nicht vergisst. Jedes Jahr lesen wir die Tora einmal und jedes Jahr fragen wir, was wir daraus heute lernen können. Die Geschichte ist nicht voll von freudigen Ereignissen. Es geht um Tod, Krieg und Hoffnung. Und wir sollen lesen, lernen und interpretieren, wieder und wieder von Generation zu Generation. Le D’or va d’or. Wir leben in der Gegenwart. Wir leben heute. Oder um es salopp zu sagen: Sie wollten uns töten, wir haben überlebt, lasst uns essen.
Juden schauen in die Zukunft. Gerade am vergangenen Feiertag Tischa B’av an dem an die Zerstörung des Tempels gedacht wird. Wird das deutlich. Wir schauen in die Zukunft und fragen, was wir tun können, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Tikkun Olam – die Welt reparieren. Nicht umsonst lenkten wir unseren Blick in den letzten Jahren nicht nur lesend zum Satz: „Und einem Fremdling sollst du nicht kränken und ihn nicht bedrücken; denn Fremdlinge wart ihr im Land Mizrajim“. 36 Mal ist in der Tora davon die Rede, man solle Migranten lieben, nur ein einziges Mal wird übrigens vom viel zitierten Nachbarn gesprochen. Das gefällt nicht jedem. Die Bedeutung der Unterstützung jener, die nicht vom ersten Tag an zur eigenen engen Welt gehören, ist Essenz. Städte wurden zerstört mit ihren Menschen, jene, die den Fremden halfen blieben am Leben. Schon damals wurden vermeintlich Fremde ausgeschlossen, schon damals war es so wichtig, dagegen aufzustehen, dass es in die Schriften aufgenommen wurde. „Wir huldigen einem Gott, der mit Ungerechtigkeit unversöhnlich ist.“ sagte Rabbi Rick Jacobs letzte Woche. Auch wir müssen unversöhnlich sein.
Keine Sorge, ich halte keine Bibelrede.
Dank der sozialen Medien ist es einfach geworden zu sehen, was wir sonst in unseren Welten nicht sehen würden, nicht sehen wollen. Und dennoch wird weggesehen, relativiert, abgetan. Spätestens nach #Metwo sollte die deutsche Öffentlichkeit fähig sein, das Ausmaß des Alltagsrassismus zu begreifen. Sollte… Über Tage konnten wir lesen, wenn wir wollten. Es waren unzählige Geschichten, die durch das Netz schwebten. Was wir auch sehen konnten, war die Reaktion aus Teilen der Mehrheitsgesellschaft, die in aller Wucht losbrach. #Metwo hat etwas verändert. Ich hoffe, ich weiß es.
Ein befreundeter Rabbiner, fragte mich Anfang des Jahres, ob ich, als wir uns kennenlernten, dachte dass ich in 20 Jahren durch Deutschland reisen würde, um Menschen zu erklären, was Antisemitismus heute ist, wie er aussieht, sich anfühlt. Ich habe gelacht. Nein, das habe ich nicht. Ich würde viel lieber anderes machen, über anderes geschrieben haben und schreiben. Doch jetzt ist die Zeit, wie sie ist.
Erst kürzlich mussten wir ernsthaft erklären, warum ein Bild von geflohenen osteuropäischen Juden im Berlin der 20 Jahre im Kaftan, Schwarzen Hüten, langen Bärten, eine Darstellung, die in ihrer Stereotypie fast nur noch vom Stürmer getoppt werden kann, keine Bebilderung für ein Geschichtsheft über deutsches Judentum sein kann und darf. Wir mussten erklären, uns rechtfertigen. Jüdische Kritiker wurden von Mitarbeitenden des Verlages in unterirdischer Weise angepampt. Entschuldigungen, die mit „wenn/falls wir jemanden beleidigt/getroffen haben beginnen, können nicht nur mir gestohlen bleiben. Sie sind unehrlich.
Nur Tage später wurde bekannt, dass aus demselben Haus eine „Dokumentation“ über Sinti und Roma gesendet wurde, die durch den Zentralrat der Sinti und Roma als klar rassistisch eingestuft wurde. Auch das wurde abgetan, man redete sich raus. Zuhören will man nicht, man weiß es besser als jene, die es betrifft. All das nur wenige Wochen nach einem Artikel über eine angebliche jüdische Verschwörung im Bundestag. Jetzt geht es nur mit den Schwaben: Es hat ein Geschmäckle.
Es ist kein Einzelfall. Zum Glück gibt es aber auch einige wenige, die zuhören, fragen und es besser machen.
Ich möchte eine Woche erleben, in dem es keine Nachrichten dieser Art gibt. Es tut etwas mit Menschen, auch, wenn sie nicht persönlich das Ziel sind. Es tut weh und das nächste Mal, ist man womöglich selbst das Ziel. Selbst Menschen, die sie bis dahin wenig mit ihrer Herkunft identifizierten, fühlen sich durch die stetigen Angriffe stärker verbunden. Ist das gut? Es sollte bessere Gründe geben. Greift man einen jüdischen Menschen an, so trifft das alle jüdischen Menschen.
Wir sind keine Maschinen, wir haben Leben. Wir haben Jobs, Hobbys, Leidenschaften. Unser Leben sollte sich nicht um Antisemitismus drehen müssen. Manch einer will seine Kinder großziehen, will einfach nur sein. Das ist schwer geworden.
Wir in Deutschland wissen, was es heißt, wenn Grenzen geschlossen werden, wir wissen was Lager bedeuten, wir in Deutschland sollten es wissen. Wir sollten die Fähigkeit besitzen, Zusammenhänge zu ziehen, Lehren aus dem, was geschah. Und die Lehre heißt nicht, wir weihen ein neues Denkmal ein und legen einmal jährlich Blumen nieder. Die Lehre ist auch nicht, auf andere Länder mit dem Finger zeigen und im eigenen Land blind sein. Rassismus und Antisemitismus ist hier mitten unter uns. Man muss keine KKK-Kapuze, kein Auschwitztattoo, keine 88 als Ohrring tragen. Man ist die freundliche Mutter des anderen Kindes im Kindergarten, die sich darüber aufregt, dass „türkische Kinder“ in der Gruppe sind, es ist der Kollege, der rassistische Witze über den anderen Kollegen macht, der andere Geburtstagsgast, der der Meinung ist, dass Israel am Antisemitismus schuld sei. Es ist um uns, in uns und wir müssen uns wehren.
Im vergangenen Jahr lernte ich dank meines Buches Deutschland kennen. Ich durfte in alle Ecken des Landes fahren und über diesen alltäglichen Antisemitismus sprechen. Während der dutzenden Veranstaltungen lernte ich engagierte Menschen kennen, die sich gegen den stärker werdenden Wind stellten, wie z.B. der Buchhändler in Tuttlingen, die Mitarbeiterin der Caritas in Chemnitz, den Leiter des Jugendzentrums in München. Ich las und sprach in Schulen, Bibliotheken, Kirchen, Volkshochschulen und Rathäusern. Ich sprach in großen Hallen, in kleinen Cafés. Ich bin dankbar für die Möglichkeiten. Die positiven Abende aber kann ich an einer Hand abzählen. Das Interesse war groß, der Drang abzuwehren, herunterreden, abzutun größer.
Der Taxifahrer lässt sich auf der Fahrt zum Veranstaltungsort darüber aus, dass die Juden ja jetzt genug Geld bekommen hätten, dass er genug hat, dass seine Kinder jetzt noch zahlen müssen.
Aber wir waren auch schon mal in Auschwitz.
Ein Mann steht mit den Worten auf, dass es so eine Veranstaltung nicht geben könne, wenn es nicht einen Antisemiten im Raum gäbe und das würde er jetzt übernehmen.
Aber morgen verlegen wir neue Stolpersteine.
Der Andere steht auf und ruft, er fühle sich durch alle äußeren Zeichen provoziert, sei es der Turban des Sikh, das Kopftuch der Muslima oder die Kippa des Juden. Alles gehöre verboten.
Aber die jungen Leute sollten verpflichtend in Gedenkstätten.
Mehrere Personen versteifen sich darauf, dass die „Juden schließlich Jesus umgebracht hätten“ und deshalb passiert das alles.
Aber wir planen neue Stolpersteine für die Stadt.
Mir wird die Beschneidung vorgeworfen, praktischerweise gleich noch weibliche Beschneidung mit dazu. Wenn ich schon mal da bin.
Aber ich habe am Denkmal Blumen niedergelegt.
Immer wieder wird mir erklärt, am Antisemitismus sei nur Israel schuld.
Aber ich habe letztes Mal auch Stolpersteine geputzt.
Und wenn nicht Israel, so sind es doch die Muslime, die Migranten in Deutschland, die eine Bedrohung sind.
Nein, sind sie nicht. Verkauft sich nur besser.
Ich sollte ziemlich oft gehen und ziemlich oft, also immer wusste man, wohin ich gehen soll und würde. Schön, dass andere für mich denken und Reiseempfehlungen aussprechen. Frau Chebli und viele andere hier kennen solche „Reiseempfehlungen“ selbst genug. Es ist interessant, wohin man uns verortet. Seltsamerweise nie dahin, wohin wir gehören, wo wir zuhause sind: Deutschland.
Ein Mann erzählt auf einer Veranstaltung von Antisemitischen Erlebnissen seiner Töchter in der Schule und der Nichtreaktion der Schulleitung. Es wird abgetan als Einzelfall. Die, die man erniedrigt, verlassen die Schule, die die erniedrigen, lernen, dass sie es ungestraft tun können. Die Narben, die aus solchen Erlebniswunden entstehen, sie bleiben ein Leben lang. Ich weiß, wovon ich spreche.
Man fragt nach dem Grund für Antisemitismus und Hass Es gibt keinen Grund für Hass PUNKT. Ich diskutieren darüber nicht.
„Ja, aber wir haben Angst“ höre ich aus dem Publikum, eine unbestimmte wage Angst. Es macht mich wütend. Niemand fragt Menschen, die vermeintlich nicht ins Bild passen, ob sie Angst haben. Sie sind der Gewalt ausgesetzt, sie müssen es, sie haben keine Wahl.
Wieso habt Ihr keine Angst, wenn Demokratiefeinde unser Land zurückwerfen wollen in Zeiten ohne gleiche Rechte für Alle. Davor müsst Ihr Angst haben und dagegen müsst Ihr aufstehen.
Was würden die Menschen denken, deren Namen auf den Stolpersteinen, auf Gedenktafeln stehen, wenn sie wüssten, dass heute wieder jüdische Menschen in der Öffentlichkeit angegriffen werden aus einem einzigen Grund: jüdisch sein. Wann hört man den Überlebenden zu, die seit Jahren warnen, die sich erinnert fühlen. Wenigstens denen.
Es geht nicht darum, wie viel Erinnerung man schafft, wie viele Steine man verlegt, wenn das Heute ausgeblendet wird. Erinnerungsarbeit kann ein Teil sein, dem Hass heute zu begegnen. Sie ist es nicht in dem Maße, in dem wir es uns wünschten. Bei manch einem mag ein Gedenkstättenbesuch funktionieren, bei anderen wiederum nicht.
Die Zahlen für Berlin und Brandenburg in Sachen Antisemitismus sind gestiegen. Für 2018 verzeichnet der RIAS, für Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf mit 226 Vorfällen die meisten Übergriffe. Das sind die Bezirke mit den meisten Stolpersteinen in vierstelliger Anzahl. Natürlich gibt es zwischen beidem keinen Zusammenhang. Das wäre absurd. Genauso absurd aber erscheint mir aber die die offensichtlich sehr aktive sichtbare Erinnerungsarbeit und gleichzeitig die überaus große Wegschaukultur.
Stolpersteine verlegen lassen, Gedenktafeln anbringen ist keine Lösung. Es macht einen nicht zu einem besseren Menschen, es ist keine Feelgoodkur, es darf es nicht sein. Nicht umsonst heißt es in der jüdischen Community, nicht mehr ganz so hinter vorgehaltener Hand, dass einem in diesem Land die toten Juden lieber sind, als die lebenden. Wir werden heute angegriffen, wieder. Manchmal möchten wir nur, dass man uns zuhört, wirklich zuhört, uns fragt, was man tun kann. Selbst, wenn wir keine Lösung haben, wäre das ein Zeichen, dass man es versuchen will und nicht, dass man wieder besser weiß, was gut für uns ist. Und ja, herrje, Juden freuen sich nicht unbedingt, über Einladungen zu Shoagedenken, Klezmerkonzerten und Israeltagen. Und stellen Sie sich vor, wir lesen mitunter lieber einen guten Krimi als die neueste Publikation zur Shoa.
Wir haben andere, alltägliche, aktuelle Probleme und Sorgen. Wir sind nicht beruflich jüdisch. Dass das nicht so einfach ist, bloggte der Journalist Richard Schneider erst kürzlich:
„Da bekam ich doch glatt eine Mail eines deutschen, nichtjüdischen Bekannten, was ich als „Jude“ zu Jeffrey Epstein sage. Hallo??? Geht’s noch? Bin ich ein Psychiater?? Epstein ist Jude. Ich auch. Also muss ich dazu Stellung nehmen – dachte sich wohl dieser nette Nichtjude, der sich selbstverständlich nicht als Antisemit sehen würde. Aber weil ich Jude bin, soll ich mich dazu verhalten müssen? Hey, an alle da draußen, die Ihr ähnlich denkt: Bin ich Euer aller Psychiater?“
Erinnerungskultur, Gedenkstättenbesuche und auch Stolpersteine sind heute zum Reflex geworden. Wenn wir dahin gehen, haben wir etwas gemacht, etwas entgegengesetzt. Zu oft wird über Streitigkeiten um Fördergelder vergessen, worum es wirklich geht, gehen sollte. Möglichkeiten werden verspielt, weil die eigene Eitelkeit im Weg ist.
Und ich frage: Was haben Sie und wir getan für die Menschen, die heute vor verschlossenen Grenzen stehen? Für die Frau, deren Name nie genannt wird, weil sie nur die „Polin ist, die bei uns putzt“, was haben Sie getan für die Frau, der auf dem Weg zum Freitagsgebet, ihr Kopftuch heruntergezerrt wird, was für den Mann, dem unterstellt wird, dass er die Liebe seines Lebens nur heiratete, um in Deutschland bleiben zu können? Was haben Sie getan, dass Menschen nicht mehr im Meer ertrinken. Was dafür, dass unsere Grenzen offen für Flüchtende sind, damit sie nicht wie einst die jüdischen Menschen Europas vor verschlossenen Grenzen standen, zurückgewiesen worden und starben? Wann haben wir das letzte Mal nicht zuerst an uns gedacht?
Manchmal denke ich, auch die Erinnerungsindustrie sollte eine Weile innehalten und jeder darin sollte sich ausschließlich mit dem hier und jetzt befassen. First revue yourself, otherwise you are not able to help others.
Ich sah und sehe sehr viel Unwissen, sehr viel Hilflosigkeit, zu viel unbegründete irrationale Ängste, zuviel Abwiegelung, zuviel Ablehnung vermeintlich Fremden, zuviel unreflektierten weißen priviligierten Egozentrismus. Und ich werde mich nicht damit abfinden. Ich sehe die Menschen, die die Dinge ändern wollen, es müssen mehr werden. Mehr Menschen, die bereit sind, Kurven zu gehen, andere Wege ohne ihre gewohnten Privilegien.
Am besten aber hat das, was ich sagen will, Julia ausgedrückt:
Foto: Mahnmal Gleis 17, Juna Grossmann, Mai 2017, Rollei 35 TE auf Kodak Gold 200
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