Werbung über alles – der Fall Adidas 1972

Mitunter kann es erstaunen, wie doch oft hoch bezahlte Werbeagenturen sich komplett in ihren Aktionen vergreifen. Manchmal ist es schlicht, mit Verlaub, Dummheit. Manchmal aber auch eklatant fehlendes historisches Wissen oder schlicht Ignoranz. Gerade bei deutschen Unternehmen möchte man meinen, sie seien davor gefeit oder würden zumindest ein wenig Sensibilität an den Tag legen.

Oetker schwelgt in Erinnerung an 1933

Eine Tüte Backin Backpulver von Dr. Oetker "Retro Edition des Jahres 1933"

So fiel Oetker jüngst mit einer „Retro Edition“ Ihres Backpulvers auf, in dem sie dessen 125-jährigen Geburtstag feierten. Die geneigten Interessenten konnten nun Backpulver in Designs unterschiedlicher Jahre kaufen: 1893, 1902, 1916, 1933, 1956, 1979, 1986 und 2001. Aufmerksame Beobachter äußerten ihre Verwunderung zur Wahl des Jahres 1933.

Ob etwas geändert wurde? Ich kann es nicht sagen. Mit Sicherheit aber war das kein Einzelfall und das trotzdem Oetker vor Jahren schon die Aufarbeitung der Geschichte des Unternehmens in Auftrag gab und (ohne Öffnung des Familienarchivs) 2013 „Dr. Oetker und der Nationalsozialismus. Geschichte eines Familienunternehmens 1933–1945“ von Jürgen Finger, Sven Keller und Andreas Wirsching herausbringen lies. Ohne Familienarchiv allerdings sind die Forschungen eingeschränkt, ich entsinne mich noch an die unglücklichen Gesichter der Wissenschaftler bei der Buchpremiere. Dennoch ist man schon froh, wenn sich Unternehmen überhaupt mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen – oder so tun.

Ulla Popken und die 18

Oder jüngst erst, als es Ulla Popken, ein Geschäft für Bekleidung in realistischen Kleidergrößen, es als gute Idee empfand, anlässlich der Fußball Europameisterschaft 2024 der Männer in Deutschland ein Fußballtrikot mit schwarz-rot-goldenen Applikationen an Hals und Armen mit und ohne Polokragen und einer großen schwarzen 18 auf der Brust herauszubringen.

Die 18 steht in entsprechenden Kreisen für die Buchstaben AH (Adolf Hitler) und ist sehr beliebt, gern auch mit der 88, was das nun wieder heißt, das werden sie selbst herausfinden. Auf Anschreiben sensibilisierter Kundinnen erklärte man, das sei eben das Gründungsjahr – 1880. Das Trikot gibt es für den interessierten Neu-Nationalsozialisten auch in Schwarz und ohne die verhassten Farben der deutschen Demokratie: Schwarz-Rot-Gold. Suchen Sie einfach nach Fußball bei der Firma oder ihrem Mutterunternehmen jp1880.

Adidas und das Händchen für Judenhass

Nun also ganz aktuell (wieder) Adidas, die mit ihrem Griff nicht ganz so weit in die Geschichte gehen. Zudem haben sie gerade in den letzten Jahren für reichlich Aufmerksamkeit gesorgt, als sie etwas zu lange an ihrem Werbeträger Kanye West festhielten, der tief antisemitisch und verschwörungsgläubig ist. Man sollte denken, in der Werbeabteilung hätte sich etwas getan, es wäre trainiert worden, warum es – sagen wir – ungünstig ist gerade für ein deutsches Unternehmen, das wie nicht nur Oetker in den Nationalsozialismus verstrickt war und von ihm profitierte, mit Antisemiten zu werben. Warum denke ich nur immer, dass man aus Fehlern klug würde?

Dieser Tage nun ist zu lesen, dass Adidas es als gute Idee empfindet, mit einer Wiederauflage von Schuhen der Olympischen Spiele 1972 an den Markt zu gehen. Schließlich sind ja jetzt wieder Olympische Sommerspiele. Zeit also, sich an die guten alten Zeiten zu erinnern? Es ist vielleicht nur merkwürdig, vielleicht auch gedankenlos mit Schuhen zu werben von Spielen, während derer 11 israelische Olympiateilnehmer, 11 von 14 durch ein Attentat der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ ermordet wurden.

Nun wissen wir, in Deutschland braucht vieles länger, erst 2022 mit Nancy Faeser wurde die Schuld Deutschlands durch das eklatante Versagen eingestanden, 2023 eine Historiker:innenkommission eingesetzt. Das sei angemerkt, da das Thema 1972 demnach erst 2022 wieder groß durch die Medien ging, vor zwei Jahren also zum 50 Jahrestag dieses Anschlags.

Jetzt nur 9 Monate nach dem 7. Oktober 2023 also findet es Adidas passend, nicht nur mit Schuhen zu werben, die symbolisch für das grausame Attentat an Olympiateilnehmenden durch Terroristen steht, nein, sie suchen sich zudem ein Gesicht aus, das, sagen wir vorsichtig, nicht gerade eine projüdische/-israelische Einstellung hat. Mit Bella Hadid entschied man sich für ein palästinensisches-amerikanisches Modell, um für diese Schuhe zu werben. Ernsthaft? Wirklich?

Hadid ist nicht dafür bekannt, dass sie eine der versöhnlichen Stimmen in dieser Themensphere ist. „From the River to the Sea“ gehört zu ihrem Repertoire, ebenso wie die wiederholte Falschbehauptungen, dass Almog Meir Jan, kürzlich befreite Geisel der Hamas, doch schließlich einen Geburtstagskuchen von seinen Geiselnehmern erhielt. Also alles doch gar nicht so schlimm. Familie Hadid ist bekannt für antisemitische und antiisraelische Rhetorik, gerade auch bei Vater Hadid, von dem sich Bella trotz eigener Äußerungen gegen Antisemitismus nicht distanziert – sie steht aber eben auch für 60 Millionen Follower:innen auf Instagram. Hochinteressant für Werbesponsoren und offenbar höhere Priorität als Anstand.

Resümee: Außer in Israel wird also eine Person das Werbegesicht für Schuhe sein, die zu Spielen getragen wurden, die immer für die Ermordung Unschuldiger stehen, eine Person, die auch heute die Massaker der Hamas an der Zivilbevölkerung Israels relativiert.

Ist das nur Ignoranz oder schon Kalkül? Im letzten Jahr soll Bjørn Gulden, Chief Executive bei Adidas noch behauptet haben, dass Kanye West, das ja alles gar nicht so meinte. Nicht nur ich habe Fragen.

Hätte man nun also, wenn man meint, die Schuhe der Todesspiele wieder auflegen zu müssen und das Jahr 1972 damit zu feiern nicht auch andere Gesichter finden können. Vielleicht auch welche, die sich aktiv für ein „Zusammen“ einsetzen. Klar, damit gehen keine 60 Millionen einher.

Niemand sagt zudem, dass man nur ein Gesicht bezahlen muss. In Israel wird die Kampagne schließlich auch mit zwei Personen laufen, Noa Kirel und Anna Zak. Warum also nicht ein israelisch-palästinensisches Doppel, das wäre ein Statement gewesen – aber ja, die 60 Millionen.

Warum also konnte man niemanden finden, der sich für die zivile palästinensische Bevölkerung einsetzt, ohne antisemitische Rhetorik und ohne Verharmlosung des jüdischen 9/11 des 7. Oktobers 2023? Warum überhaupt muss man neun Monate nach den unermesslichen Morden überhaupt so eine Wahl treffen? WARUM?

Egal ob positiv oder negativ, Hauptsache, sie sprechen über Dich.

Aus Marketingsicht ist nun allerdings passiert, was dem Marketingmenschen gefällt: Aufmerksamkeit – diese noch zusätzlich zu den 60 Millionen Instagrammer:innen des Werbegesichtes. Was für eine Reichweite!

Konsequent wäre jetzt allerdings nur eines: Davon auszugehen, dass es hier nicht um ein Versehen, sondern um konkrete Absicht mit einer konkreten Aussage ging: Der Aussage, warum man auch weiter an West festhielt, obwohl das Unternehmen schon länger über dessen Gesinnung bescheid gewusst haben soll. Man lässt schlicht andere für sich sprechen. Well played, Adidas. Das nächste Mal bitte eine Auflage der Schuhe von 1936. Dann brauchen Sie nicht mehr so drumherum reden.

Wieder zurückrudern?

Ein Sprecher des Unternehmens sagte wohl gestern: „Wir sind uns bewusst, dass Verbindungen zu tragischen historischen Ereignissen hergestellt wurden – auch wenn diese völlig unbeabsichtigt sind – und wir entschuldigen uns für jegliche Verärgerung oder Leid, die dadurch verursacht wurden. Aus diesem Grund überarbeiten wir die Kampagne.“

Irgendwann muss es vorbei sein mit hoch bezahltem „Ups, war doch gar nicht so gemeint“ – vor allem, wenn man gerade einen Skandal ähnlicher Art hinter sich brachte.

Die Erinnerungszeremonie der Opfer von 1972 in Paris im Abseits

Dass nun auch die Erinnerungszeremonie für 1972, die nach Tokyo auch in Paris stattfinden soll, nicht mehr wie geplant im Pariser Rathaus, sondern irgendwo außerhalb stattfindet, ist nur noch ein Tropfen auf dem Geschmäckle, das in den letzten Monaten immer bitterer wurde. Wurde zunächst versucht, das mit Sicherheitsaspekten zu begründen, teilte das Olympische Komitee nun mit, dass sie die nötigen Sondergenehmigungen nicht mehr bekommen würden. Also abschieben.

Es wird schwieriger, an das Gute zu glauben, an Menschenverstand, Mitgefühl, Sensibilität und ohne schwarz-weiß. Gut, dass dank Thomas Bach die Spiele sowieso nur noch eine Farce sind, geprägt von Macht, Geld und Politik und nichts mehr von dem übrig ist, was sie sein sollten. Doch vielleicht hatten sie schon 1936 ihre Unschuld verloren, wenn nicht dann spätestens 1972.

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