Der Krieg auf Glas – Edward Kaprov im Schweizer Kameramuseum

Ein Schwarz-weißes Foto, im Vordergrund scharf, ein altes Paar, ein Mann und eine Frau. Der Mann an den Arm um die Frau gelegt, sie lehnt an ihm. Im HIntergrund Ruinen. eine Heizung steht frei in der Luft, gehalten von einem Rohr.

Es ist dunkel unter dem Dach, niedrige Holzbalken, schwarze Wände. Ein kleiner Raum mit Bildmacht. Es sind die Arbeiten des israelischen Pressefotografen Edward Kaprov, die dieser 2022 mit einer Großformatkamera im Ambrotypieverfahren aufnahm.

Die Fotografien sind keine Aufnahmen des „entscheidenden Momentes“, des „decisive moments“, wie er spätestens seit Henri Cartier-Bresson gepredigt und im geradezu ikonischen „fallenden Mann“ von Robert Capa seinen Kriegsausdruck findet. Kaprov entschied sich bewusst dagegen. Es sind gestellte Fotografien, mit den Menschen vor Ort, vor den Ruinen von Häusern, vor den Ruinen ihrer Leben. Es sind die Bilder der Soldaten, die schon da mit wenig alles verteidigen. Hier lenken keine Farben ab, keine sterile Überschärfe der digitalen Fotografie. Die Schärfe des Objektives liegt auf den Menschen allein, auf den Kindern in den Ruinen und auf denen, die nicht mehr am Leben sind. Hier in diesen kleinen dunklen Raum auf dem Dachboden des Schweizer Kameramuseums scheint sich alles zu verengen, mit der Sprache, die keine Worte braucht: Die Unmenschlichkeit der Kriege.

Vor zwei Tagen nahm ich teil an einer Onlineveranstaltung der UN zu „Fotografie als Widerstand in der Shoah“. Als Motivation der Fotograf:innen wurde der Willen zum Beweis für die Grausamkeiten genannt. Ich bin unschlüssig. Konnte man in diesen Situationen so weit denken, als Amateur:in? Oder ist es nicht mehr, die Bannung auf Zelluloid, um es selbst zu betrachten, zu verarbeiten und am Ende glauben zu können, dass es wahr war? Was wissen wir schon, die wir keine Kriegsfotografen sind? Edward Kaprov sagt:

„Mit dem Auftauchen der ersten fotografischen Beweise konnte die Menschheit die begangenen Verbrechen nicht mehr ignorieren, aber die Kriege endeten nicht. Diejenigen, die sie gestern verursacht haben, verurteilen heute andere, um morgen ihre Gewalt zu rechtfertigen.“

Edward Kaprov

Er entschied, in diesen Krieg nicht nur mit seiner üblichen Ausrüstung zu gehen, sondern mit dem System, das die ersten Bilder eines Krieges lieferte: dem Ambroverfahren. Dies ist ein Nassplattenverfahren, das quasi Positive liefert, legt man die Platten auf dunklen Untergrund. Dazu kaufte er in Deutschland einen alten Van und baute ihn als Labor um. Nassplatten müssten direkt entwickelt werden, man kann sie nicht aufbewahren und warten, bis man Zeit für ihre Entwicklung hat. Es ist ebenso ein Verfahren, das gänzlich der Realität der Front widerspricht: Man muss die Platten beschichten, die Kamera aufbauen, einrichten, fokussieren, die Platte einlegen und vor allem: Das Motiv muss mehrere Sekunden still halten – an der Front, während nahe Explosionen zu hören und zu spüren sind. Kaprov entschied sich für diese Methode, da er die Abwertung der Fotografie als Medium sieht. Warum dann also nicht langsam?

Edward Kaprov selbst wurde in der Sowjetunion geboren und ging Anfang der 90er-Jahre nach Israel. Er arbeitet als freischaffender Fotograf. In seiner künstlerischen Arbeit beschäftigt er sich mit Grenzen, Kriegen – und den Menschen in ihnen. Weitere Arbeiten und Projekte sind auf seiner Website zu finden.

Diese Ausstellung ist in der Schweiz zu sehen, dessen Unterstützung der Ukraine sich nach eigener Aussage auf Grund von Neutralität auf humanitäre Hilfe beschränkt. Nur hier, ist der Staat eher nicht sehr hinterher, vergleicht man die Ausgaben des ebenfalls „neutralen“ Österreichs. Vorgeblich übertreffen die Privatspenden mehr als die staatliche Beihilfe des angegriffenen Landes. Hoffentlich wenigstens das.

„Wir müssen immer Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer.“

Elie Wiesel

Zu empfehlen, zugegebenermaßen nicht für empfindsame Menschen und daher auch mit Altersbeschränkung versehen ist passend zur Ausstellung eine Dokumentation von arte, genau über die Arbeit an diesen Fotografien. Zu sehen sind die Menschen auf den schwarz-weißen Bildern, was sie denken, fühlen und verstehen – oder eben nicht verstehen können.

Ukraine: A Photographer in Wartime I ARTE.tv mit (Altersbeschränkung)

„Sie können hier unsere Befreiung durch Russland filmen. Es hat uns von allem befreit, von allem befreit, was wir uns im Laufe unseres Lebens aufgebaut haben.“

unbekannte Frau im Film

Es ist mir nicht bekannt, ob die Ausstellung den Ukrainegipfel Mitte Juni in der Schweiz im Blick hatte, als sie geplant wurde. Es wäre ein Zeichen gewesen. Doch sie stellt in jedem Fall einen Grund dar, das Museum zu besuchen. Mitten in Vevey am Genfer See. Das Museum selbst zeigt eine große Sammlung an alter Fotografieausrüstung, die allerdings für Nerds wie mich, leider nichts Herausragendes bereit hält.


Edward Kaprov. La guerre sur verre
23. Mai – 18 August 2024
Schweizer Kameramuseum
Die – So 11 – 17:30 Uhr
Mo an Feiertagen
Eintritt: 9 CHF, ICOM Karten werden akzeptiert.
Französischkenntnisse von Vorteil.


Foto: © Edward Kaprov, Anatoliy Michailovich with his wife Vera Sergeevna at ruins of thier house that was bombed out in March 2022.


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