Die neue Sonderaustellung „Roads not Taken. Oder: Es hätte auch anders kommen können“ erregt Aufmerksamkeit. Nicht ohne Grund, ist die Idee doch bisher noch nicht musealisch versucht worden: Tatsächliches zentralen Ereignissen deutscher Geschichte werden Alternativen gegenübergestellt. Eben Wege, die nicht genommen wurden.
Historisch rückwärts beginnt die Ausstellung mit dem letzten großen Ereignis deutscher Geschichte: November 1989 und arbeitet sich über weitere 13 Stationen bis zum Jahr 1848. Quasi von Revolution zu Revolution. Wer nun erwartet, dass man vorgegeben bekommt, was die Entscheidungen geändert hätten, der wird sie dort nicht finden – denn wie sollen wir wissen, was wäre wenn gewesen? Auch Kurator:innen von Museen können das nicht wissen, sie können aber sehr wohl die Optionen, die es gegeben hat darstellen. Das versucht die Ausstellung.
Gestaltung
Wer sich ein wenig in Museumsarchitektur auskennt, erkennt, dass es sich hier um eine Arbeit von chezweitz handelt. Die großen Räume des Untergeschosses werden in einzelne thematische Abteile unterteilt. Große Wände, die meist sparsam bespielt sind, geben den Takt vor.
Was vor allem auffällt: Es gibt verhältnismäßig wenige Objekte, die, die es gibt, erscheinen teils verloren im Raum. Sie sind nicht zentral, nicht exponiert, wie aber zum Beispiel gleich zu Beginn eine Couchgarnitur aus dem Regierungsbunker, die fast spielerisch theatralisch inszeniert wurde.
Man könnte fast meinen, die Kurator:innen – darunter ungewöhnlich viele Sammlungsleiter:innen, hatten Spaß, mal zu zeigen, was sie haben – oder, was man sonst eben nicht so passend zeigen kann. Geplant waren ursprünglich weniger als die Hälfte der nun wenig bemerkbaren rund 500 Objekte. Wurde hier jeder Zinnsoldat gezählt?
Wer etwas näher an die Wände geht, dem kann es mitunter schwummerig werden – so erging es mir. Die Dokumente und Illustrationen sind trapezförmig verändert worden, sodass man, steht man an dem dafür vorgesehenen Punkt im Raum, einer optischen Täuschung unterliegt. Tolle Idee – allerdings fiel mir nach Gesprächen mit anderen Ausstellungsbesuchenden auf, dass das nicht bemerkt wurde. Auch, dass es unterschiedliche Ebenen gibt, ist nicht so leicht ersichtlich. Tipp daher: Unbedingt die Einführung lesen, sonst versteht man die Gestaltung nicht.
Spielerische Aspekte
Auch in dieser Ausstellung gibt es, wie inzwischen üblich im DHM mindestens ein haptisches Brettspiel und andere interaktive Elemente. Es kann viel geblättert und recht wenig geklickt werden. Der große Klick allerdings kommt ganz zum Schluss: Am Ausgang der Ausstellung wird man schlagartig von 1848 wieder ins Jahr 1989 geschleudert – in einen auch optisch wenig zum Rest der Ausstellung passenden Raum. Hier kann man in gemütlichen Sitzecken das Spiel „Herbst 89 – auf den Straßen von Leipzig“ spielen. Eine tolle Idee – allerdings erscheint der Raum wie ein Appendix am Ende noch schnell hinzugefügt, statt ihn 1989 mit einzubauen – hatte man Angst, dass es einem die Show stiehlt? Das Spiel übrigens kann man hier auch kostenlos zu Hause spielen.
Barrieren
Ebenso zum Ausstellungsdrehbuch des DHM gehören die inzwischen bekannten inklusiven Stationen, sowie das Leitsystem am Fußboden. Zudem gibt es spezielle Führungen. Auf der Website kann man dazu mehr erfahren.
Originale
Wer noch den echten Nußbaum sehen will, der hat nur wenig Zeit. Natürlich muss er nach ein paar Monaten entfernt werden. Ersetzt wird er durch das gleiche Motiv, hinterleuchtet.
Überhaupt erfuhren wir beim Rundgang, dass man so wenige Objekte verwendete sei darin begründet, dass man sie schließlich nicht so lang, also bis 24. November 2024 zeigen könne. Das ist etwas verwunderlich und darf keine Begründung sein. Die Variante mit dem Nußbaum-Gemälde ist ein typisches Beispiel dafür, wie man in Ausstellungen Originale zeigen kann, um sie dann durch Platzhalter zu ersetzen. Doch sollten Kurator:innen ihre eigene Liebe und Begeisterung zu Originalen nicht generell auf Ausstellungsbesuchende übertragen. Klar, meint man, ein Original umgäbe eine unfassbare Aura – ich erinnere mich da an die Original Eichmann-Prozessakten, die voller Begeisterung inszeniert wurden – aber letztlich nur ein Turm von Akten waren. Also kurz: Lieber eine gute Reproduktion als gar kein Objekt zeigen. Am Ende ist es wichtiger, eine Geschichte erzählen zu können, statt sie mangels Darstellung gar nicht erzählen zu können.
Begleitprogramm
Das Begleitprogramm sieht nicht nur Führungen für verschiedene Zielgruppen anbietet, sondern zum Beispiel ein Programmwochenende am 21. und 22. Januar, als auch einzelne Vorträge zu den unterschiedlichen 14 Stationen vorsieht. Für mich ganz persönlich interessant, die zur Ausstellung gehörende Filmreihe des Zeughauskinos zu alternativen historischen Erzählungen im Film vorsieht.
Kosten
Obwohl die Ausstellung quasi die große Ersatzausstellung bis zur Wiederöffnung der Dauerausstellung ist, die ohne Eintritt besuchbar war/sein wird, zählt Roads not Taken als Sonderausstellung und ist ab 18 Jahren kostenpflichtig. Natürlich gibt es die üblichen Ermäßigungen und auch das DHM macht beim Museumssonntag mit.
Grübeleien
Seit ich die Ausstellung besuchte, arbeitete es in mir. Daher konnte (und wollte) ich nicht direkt darüber schreiben. Ich schwanke zwischen Anerkennung und „Das hättet Ihr besser hinbekommen“.
Anerkennung für den Mut, dieses Experiment zu wagen. Doch letztlich war es keine Idee, die aus dem DHM selbst geboren ist, sondern kam von außen, von Dan Diner, und das merkt man der Ausstellung doch an. Es ist wie eine Auftragsarbeit ohne die Seele, die man zum Beispiel bei Robert Muschalla und seiner „Sparen“ – Ausstellung spürte. Irgendwie fehlt etwas, irgendwie spürte ich eine Leere, ich kann sie nicht benennen, nicht greifen. Vielleicht ist es eben doch so, ein Grandseigneur gibt eine Idee vor – und andere führen es aus. Nur eben nicht ganz so frei – da da immer etwas Großes darüber schwebt, etwas Großes und Schweres. Und seien wir ehrlich, das ist eher Normalität statt Ausnahme.
Sicher ärgert es mich, wenn man Ausstellungsgestaltung nur verstehen – und nutzen kann – nachdem man eine Erklärung gelesen hat. Das geht besser. Vielleicht ist das ein erster Schritt, dass das DHM, das ja nun nicht irgendein Museum ist, doch auch über seine eigene Scheu springt. Die Ausstellung jetzt kann nur ein Anfang sein.
Vielleicht zeigt der Erfolg, glaubt man den Gruppenanmeldungen, ist die Ausstellung bereits jetzt ein Erfolg, dass man auch als deutsches Museum Mut beweisen kann, dass es Aufgabe von Museen sein sollte, gesellschaftliche Fragen aufzuwerfen und sie nicht immer mit sicheren Antworten zu versehen. Wer, wenn nicht Museen, hat die Kompetenz und die Mittel?
Mehr Mut, das wünsche ich für die Zukunft dem DHM – und anderen Museen. Viele sind schon mutiger.
Fazit
Würde ich die Ausstellung empfehlen? Ja, um sich einfach die Alternativen, die es gegeben hätte vor Augen zu führen. Gerade im Geschichtsunterricht lernt man gewöhnlich nur, was war und nicht, was hätte sein können. Es bedarf mehr, sich darüber zu informieren und dafür ist die Ausstellung ein guter Ausgangspunkt – doch sollte man hier nicht stehen bleiben, sondern selbst weiter fragen. Ich vermute zudem, dass Lehrkräfte sehr in Versuchung sind, hier ihre Klassen quasi abzugeben und im Schnelldurchlauf Deutsche Geschichte erklärt zu bekommen. Das ist ein Trugschluss.
Extra für die Ausstellung anreisen muss man nicht. Bei der Laufzeit ist es allerdings nicht so unwahrscheinlich, dass man sowieso einen Berlinbesuch plant, da kann man sie durchaus mitnehmen, Stichwort Museumssonntag.
Roads not Taken. Oder: Es hätte auch anders kommen können
Deutsches Historisches Museum Berlin
9. Dezember 2022 – 24. November 2024
Eintritt ab 18 Jahre: 8 €, ermäßigt 4 €
ICOM- und Museumsbundkarten werden akzeptiert
Öffnungszeiten: täglich von 10-18 Uhr, Donnerstags bis 20 Uhr
Beitragsfoto: Streichholzschachtel „Um des Friedens willen / Deutsche an einen Tisch!“ Deutsche Zündholzanstalt Coswig, DDR, 1951 © Museum für Stadtgeschichte, Templin
Alle weiteren Fotos sind eigene Schnappschüsse.
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