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Buchbetrachtung: Nächstes Jahr in

Im letzten Jahr, als man laut 1700 Jahre jüdischen Lebens feierte, wurde viel publiziert, angestoßen und ausgestellt. So viel, dass man, bzw. ich, nun wirklich nicht alles mitbekommen konnte. Manchmal braucht es Hinweise, wie auf „Nächstes Jahr in“, auf das mich Sharon Adler von Aviva Berlin aufmerksam machte. Wenig später lag das Buch bei mir, nun will ich, da schon der Titel zum morgen beginnenden Pessach passt, zwei drei Worte darüber verlieren.

Das Buch

„Nächstes Jahr in. Comics und Episoden des jüdischen Lebens“ verspricht ein „Panorama jüdischer Geschichte in Deutschland“ und „jüdische Geschichte aus fünf Jahrhunderten“ zu sein. In der Tat ist es ein wilder, sehr unterschiedlicher Ritt durch jüdische Geschichte, nicht nur in Deutschland. Elf Zeichnerinnen und Zeichner haben sich unterschiedlichen Geschichten angenommen, im Zeitgeist als Comic oder Graphic Novel. So unterschiedlich die Geschichten, so unterschiedlich der Stil. Ergänzt werden die Schlaglichter, durch Erläuterungen und Hintergründen im Anschluss an die Zeichnungen. Eine gute Idee: Wirklich nur kurze, als Anregung verstehbare Einblicke in Geschichte, die der Mehrheitsgesellschaft vermutlich mehr oder weniger unbekannt sein sollten. Sie können Inspiration zum weiter Nachlesen und tiefer eintauchen sein. Und sollen es vermutlich auch.

Die Zeichnenden und ihre Arbeiten

Sind in der Mehrzahl keine Jüdinnen oder Juden. Hätte es die nicht gegeben, oder wollten sie nicht?
Simon Schwartz, der die Geschichte der Darmstädter Haggadah erzählt, hat auch die gerade erschienene Hagaddah der egalitären Gemeinde in Frankfurt, erschienen bei Henrich & Henrich illustriert.
Beeindruckend für mich bleibt die Illustration von Mascha Kalékos Gedicht „Kein Kinderland“, die Barbara Yelin vorlegt. Sie illustrierte auch aktuell das Tagebuch des ehemaligen niederländischen Zwangsarbeiters Jan Bazuins samt Spiel.
Sehr schwierig hingegen finde ich den Abschnitt „Blue Notes Records“ von Tobi Dahmen und Chistian Jonathan Lamp. Nicht nur habe ich den Eindruck, dass sie nicht so recht wissen, wohin die Geschichte führen soll, sie kommen auch nicht ohne das „N-Wort“ auf Plakaten aus. Nun kann man argumentieren, dass das historisch sei … aber es sind keine Fotografien, es sind Zeichnungen. Etwas mehr Kreativität hätte ich mir gewünscht.
Die Stile sind sehr unterschiedlich, was, liest man das Buch in einem Rutsch, mitunter etwas verwirren kann. Also lieber eine Pause dazwischen machen. Still und dennoch beeindruckend bleibt die letzte Geschichte, die Gegenwart von Miriam Werner und Moni Port oder auch Aaron von Antje Herden und Marie Hübner, die einer persönliche Geschichte meinerseits berührten.

Die Erläuterungen

Die Erläuterungen bzw. Vertiefungen unterscheiden sich sehr. Sie geben Hintergründe und erklären, so dass Lesende, die keine bis wenig Ahnung von jüdischer Kultur haben, Fragen beantwortet bekommen und sie nicht in den Bildgeschichten erklärt werden müssen. So wird zum Beispiel erläutert, was eine Haggada, was Pessach und der Seder ist. Kurz und knapp, anschaulich. Mehr braucht es wirklich nicht.
Doch leider ist es nicht überall so. So ist es doch ziemlich ernüchtern, dass gerade in den Erläuterungen „Lyrik nach Auschwitz“, die zum Beitrag über/von Mascha Kaléko gehörten, gerade nur eine Frau, Nelly Sachs herausgekramt wurde. Dafür wurde auf allbekannte laut tönende Herren der Neuzeit Bezug genommen. Was ist mit Trude Krakauer, Ilana Shmueli, Lily Brett, Ruth Klüger und Rose Ausländer? Das nur als kleinste Nachhilfe. Ich habe mich wirklich sehr darüber geärgert.
Ebenso geärgert habe ich mich, dass man zwar das Thema jüdischen Widerstand aufgegriffen hat und, was sehr löblich ist, beispielhaft den einer Frau Fanny Azenstarck – allerdings in der Résistance in Frankreich. Wichtig natürlich, dass diese Frauen keine Beachtung in der Erinnerung fanden und finden, dass wichtige Arbeiten ohne Waffe (Nachrichtendienste, Schmuggel etc.), die oft von Frauen ausgeführt wurden, nicht hinreichend gewürdigt wurden und leider auch noch werden. Doch sollte es nicht um Deutschland gehen? Es hinterlässt für mich den Eindruck, dass nicht hinreichend recherchiert wurde oder jüdischer Widerstand, speziell auch jüdischer weiblicher Widerstand in Deutschland, noch immer nicht gesehen wird. Hier fallen mir sehr spontan die (vielen) Frauen in der Herbert-Baum-Gruppe ein: Marianne Baum, Alice Hirsch, Hella Hirsch und all die anderen. So schwer ist das doch nicht.

Fazit

Ich finde die Idee des Buches gut. Doch hinterlässt es etwas Unausgegorenes, Eiliges. Vielleicht hätte etwas mehr Zeit, etwas mehr Recherche und Konsultation dem Projekt gutgetan? Dann wäre es vielleicht nicht im „Jubeljahr“ erschienen, aber hätte etwas mehr Tiefe bieten können, was dem Buch zuträglich gewesen wäre. Dennoch sollte man es nicht beiseite legen. Nur etwas mehr Aufmerksamkeit sei geboten und vielleicht gelingt es ja, wenn man sich anstoßen lässt durch die Geschichten, doch etwas tiefer einzutauchen und vielleicht auch links und rechts des Weges der bekannten Dinge nachzusehen.

Liebe Sharon, ohne die ich nichts von dem Buch wüsste, es bleibt eine Ambivalenz. Ich weiß nicht, ob es die Deine trifft, aber sie ist da.


Nächstes Jahr in
Comics und Episoden des jüdischen Lebens

Hrsg: Meike Heinigk, Antje Herden, Jonas Engelmann und Jakob Hoffmann
1. November 2021
ventil verlag
168 Seiten
25,00 €, derzeit vergriffen


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