Als vor einigen Wochen die neue Bundesregierung vereidigt wurde, ging nicht nur durch den Presseblätterwald ein Raunen: Es legten doch Menschen ohne die Formel „so wahr mir G’tt helfe“ ihren Eid ab. Es war nicht das erste Mal und immer scheint es eine Schlagzeile wert zu sein. Auf Twitter echauffierten sich vorrangig professionelle Christ:innen darüber, dass die Formel nicht genutzt wurde. Das verwirrte mich. Eine Suche nach den Hintergründen.
Woher kommt die Formel?
Das Grundgesetz regelt mit Artikel 56:
„Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“
Artikel 56 – Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG)
Dieser Artikel findet zudem für die Vereidigung der Mitglieder der Bundesregierung, der Wehrbeauftragten und der SED-Opferbeauftragten Anwendung. Satz 2 ergänzt:
Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.
Nationalsozialismus
Doch wie sah es vorher aus? Wurde die Formel als Abgrenzung zum Nationalsozialismus eingeführt, um sich wieder auf „höhere Werte“ zu beziehen? Das wäre nicht ungewöhnlich. Der Eid für Beamte lautete damals beispielsweise:
„Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“
Deutsches Beamtengesetz vom 26. Januar 1937
Auch hier konnte man die Gottesformel weglassen, wenn man Bedenken hatte:
„Erklärt der Beamte, daß er Bedenken habe, den Eid in religiöser Form zu leisten, so kann er ihn ohne die Schlußworte leisten.“
Es ist also keine Abgrenzung gewesen. Selbst nationalsozialistische Beamte beriefen sich auf G’tt.
Weimarer Republik
Wie weiter zurück? Werfen wir einen Blick in die Weimarer Verfassung. Ich entsinne mich an den Personalfragebogen Walther Rathenaus, der die Frage nach der Religion wie folgt beantwortete „Diese Frage entspricht nicht der Verfassung“. Doch wie lautete die Eidesformel in der ersten deutschen Republik?
„Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die Verfassung und die Gesetze des Reichs wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“
Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig.
Die Verfassung des Deutschen Reichs („Weimarer Reichsverfassung“) vom 11. August 1919
Wie ich mich entsann, eine wirkliche Trennung von Staat und Religion. Eine Trennung, die zwar heute proklamiert wird, aber doch je nach Bundesland alles andere als vorhanden ist – wie auch nicht im Grundgesetz. Verfassungshistoriker:innen können möglicherweise Auskunft geben, warum man sich mit dem Grundgesetz nicht näher an die Verfassung der Weimarer Republik annäherte. Es würde mich interessieren.
DDR
Der Vollständigkeit halber sei hier die einzige Eidesformel der DDR-Verfassung zitiert, die ich auf die Schnelle finden konnte. Dass hier keine religiöse Formel vorhanden sein würde, war im Vorfeld klar:
„Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, die Verfassung und die Gesetze der Republik wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“
Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949
Von Interesse wird es an anderer Stelle: Im Abschnitt zu Religionen und Religionsfreiheit heißt es u.a.:
„Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden.“
Die heutigen Bundesländer
Die Formulierung „So wahr mir Gott helfe“ ist interessanterweise nicht Bestandteil aller Amtseide in den Bundesländern, nur Bayern, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und das Saarland haben sie in der Formel – bei allen darf diese weggelassen, in Bayern durch eine andere ersetzt werden. Vier von 16 Bundesländern nutzen sie fest. Warum ist sie vereinbartes Element in den Amtseiden der Bundesbehörden? Schauen wir zum Nachbarn Österreich, so ist man dort näher an Trennung von Staat und Kirche. Die G’ttesformel gibt es nicht, man kann aber sie hinzufügen.
So weit ein kurzer Ritt durch die Formulierungsgeschichte. Doch was mich ernstlich irritierte, war die Empörung aus Reihen von Christinnen und Christen, dass die religiöse Formel nicht abgelegt wurde.
Die Sache mit der Religion: Christentum
Meine Verwirrung war deshalb so groß, da ich einmal etwas anderes lernte. Eine der wenigen Dinge, die ich aus dem Konfiunterricht mitnahm (Ich besuchte diesen interessehalber Anfang der 90er.) war genau dieses Thema: Man darf diese Formel als gläubige Christin oder Christ nicht sagen. Ich erinnere mich daran so lebhaft, da wir intensiv darüber diskutierten. Es muss 1990 oder 91 gewesen sein, wir lebten in einem Land, das neue Gesetze bekam und sich mit ihnen auseinandersetzte – auch in der Kirche, auf jeden Fall in dieser. Pfarrer S. beharrte immer wieder darauf, dass man es nicht dürfe, und die Teenager:innen im Raum waren verwundert bis skeptisch, da dies doch im Grundgesetz stünde und wieso hat man dort Dinge eingefügt, die Christ:innen doch verboten seien? Wie viele unserer Unterrichtseinheiten waren wir politisch, doch diese war die intensivste – zumindest in meiner Erinnerung. Bis jetzt habe ich nicht mehr darüber nachgedacht. Es stand für mich fest und ohne Zweifel.
Was war der religiöse Grund, den Pfarrer S. anführte? Ich vermute es war die Bergpredigt Jesu:
„Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße, noch bei Jerusalem, denn es ist die Stadt des großen Königs! Auch bei deinem Haupt sollst du nicht schwören; denn du kannst kein einziges Haar weiß oder schwarz machen.“
Matthäus 5,33-37
Bis ich vor ein paar Wochen das Bohei um religiöse Formel ja oder nein wahrnahm, ging ich davon aus, dass es für Christ:innen hierzulande selbstverständlich sei, dass sie dem folgen, und eben nicht auf G’tt schwören. Ich irrte, wie es schien und wundere mich darüber. Verständlicherweise kann man hier argumentieren, wie es Angela Merkel einst tat, dass
Umfrage Humanistische Aktion, 1994
„… Die Formel „… so wahr mir Gott helfe“ macht uns Menschen bewußt, daß all unser Handeln und Bestreben fehlbar und begrenzt ist. In diesem Bewußtsein muß es unser Ziel sein, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. …“
doch geht das nicht anders, oder steht Jesus dann indes nicht so hoch? Roman Herzog soll sich dahingehend geäußert haben, dass Menschen, die die Formel sprechen „den rechtlichen Bindungen des Grundgesetzes eine weitere, für ihn besonders verpflichtende, hinzufügen“. Immerhin hat er schon den Widerspruch angemerkt zwischen einem weltanschaulich neutralen Staat und seinen Dienern, die doch nicht so neutral sind.
Eid und Schwur im Judentum
Schon Jesus bezog sich in der oben zitierten Bergpredigt auf „die Alten“. Grob gesagt, soll man nicht schwören, da man nie weiß, ob man seinen Schwur halten kann.
»Folgendes hat der Ewige befohlen: Wenn ein Mann dem Ewigen ein Gelübde tut oder einen Eid schwört und sich zu einer Enthaltung verpflichtet, dann darf er sein Wort nicht brechen; genauso, wie er es ausgesprochen hat, muss er es ausführen.“
4. Buch Moses 30, 2-3
Können wir das? Kaum. Man kann es sich wünschen, es anstreben, es tun und erreichen? Gerade in der Politik erscheint es eher ein Hohn, blicken wir auf die Wahlversprechen, von denen man im Allgemeinen schon ausgeht, dass sie nicht gehalten werden. Von Stoßgebeten und versuchten Handeln a la „Wenn Du mir da jetzt raushilfst, dann werde ich nie wieder Schokolade essen“ brauchen wir nicht erst anfangen.
Chajm hatte 2008 einen Artikel zum Thema in der Jüdischen Allgemeinen geschrieben, auf den ich hier gern verweise, da die Komplexität dieser Frage im Judentum nur ein Copy and Paste meinerseits sein kann. Selbstverständlich gibt es noch weitere Artikel zum Thema Eid und Schwur im Judentum, doch dieser trifft meine Gedanken am ehesten.
Eidesformel persönlich
Für mich war und ist es konsequent, dass ich eine solche Formel nie spreche – schon in den USA beim morgendlichen Gelübde auf die Fahne sorgte ich für Verstörung, da ich es nicht tat, nicht nur, da es nicht mein Land war, es kam etwas zu viel G’tt darin vor.
Ich könnte behaupten, es habe etwas mit meinem religiösen Leben zu tun. In der Tat ist das Wissen, eine weitere Bestätigung und oft genug die leichtere Antwort. Doch es wäre nicht der wirkliche Grund. Dieser ist es meine tiefe Überzeugung, dass Religion und Staat nicht vermischt werden dürfen. Erst recht nicht in solchen Formeln.
Fazit
Warum man nicht die eindeutige Trennung der Weimarer Verfassung wieder aufgenommen hat, ist mir ein Rätsel. Persönlich würde ich mich wohler damit fühlen. Wenn ich in Gerichtssälen und staatlichen Schulen, in Rathäusern und Amtsstuben Kreuze sehe, aber gleichzeitig Frauen verboten wird, Lehrerinnen, Staatsanwältin oder Richterin zu werden, weil sie ein Kopftuch tragen, ist etwas falsch und unehrlich. Möglicherweise sollten wir mit den Eidesformeln beginnen und es wieder halten, wie wir es einst versuchten, G’tt aus dem staatlichen Spiel lassen und den es den Menschen und ihrem Gewissen offen halten.
Foto: Lydon B. Johnson während seiner Vereidigung nach dem dem Mord an John F. Kennedy, 1963, Public Domain
Dies ist ein natürlich sehr subjektiver Text, er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich würde mich sehr freuen, wenn es wissende Ergänzungen und Betrachtungen gäbe, ganz besonders auch von anderen religiösen Ausrichtungen.
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