Eine Buchbetrachtung zu Walter Rothschilds „Rabbiner Dr. Erich Bienheim. Eine persönliche Biographie“.
Das Seltsame an Fluchtgeschichten ist, dass man gemeinhin davon aus geht, dass nach der Flucht alles gut ist. Ist es das wirklich? Die Geschichten und Biografien enden meist mit der Flucht. Schon in der Ausstellung „Heimat und Exil. Emigration der deutschen Juden nach 1933“ im jüdischen Museum Berlins las man nicht nur gut verlaufende Lebenswege. Dennoch war es die erste Ausstellung, die sich explizit dem „danach“ widmete. Ich entsinne mich noch der Korrespondenz mit Überlebenden, froh, darüber sprechen zu dürfen. Die Geschichten reichten vom „Glück gefunden“ bis „das Herz gebrochen“. Alles war dabei, selten wird gesehen.
So ist es auch bei der von Walter Rothschild geschriebenen Biographie zu Rabbiner Dr. Erich Bienheim. Auf der Seite der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten findet man gar eine Biografie zu Bienheim. Sonst gibt es wenig über ihn zu erfahren. Und das war wohl einer der Auslöser, warum Rothschild dieses Buch schrieb, das in der Tat sehr persönlich ist. Persönlich, da Bienheim einer seiner Vorgänger an der Synagoge Bradford war und persönlich, da auch Bienheim sowohl in Darmstadt als auch später in England nicht die positivsten Erfahrungen machte.
Daher ist diese Biografie keine neutrale Darstellung eines Menschen, der, wie man im Buch erfährt, trotz seiner langen Dienstzeit in Bradford nicht gesehen und kaum erinnert wurde. Es ist ein Mitfühlen mit einem Menschen, dessen berufliches Leben vielversprechend begann am Rabbinerseminar zu Berlin und der alles verlor. Ein Mitfühlen, das uns oft fehlt, sehen wir eben nicht hin.
Bienheim war kein brillanter, bekannter Theologe oder Philosoph. Mir selbst sagte der Name nichts, bevor ich das Buch im Katalog von Hentrich und Hentrich sah. So war Bienheim auch niemand, der bereits ein breites weltweites Netzwerk hatte, der den Neuanfang im Ausland erleichterte. Er war ein ganz normaler Rabbiner in Deutschland, in Darmstadt, der gezwungen wurde, das Land zu verlassen, nachdem er im KZ Buchenwald interniert war.
Diese Biografie ist ein Buch der Realität, wie wir sie nicht sehen wollen. Wir sehnen uns nach Happy End, nach Rettung, nach alles wird gut. Doch manchmal oder vielleicht auch oft? Ist der erzwungene Neuanfang in einem Land, in dem man ursprünglich nicht leben wollte, eben kein Happy End. Ein Gedanke, den wir auch heute, in Blick auf Geflüchtete beibehalten sollten. Manchem Menschen mag es gelingen, vielen aber auch nicht. Wir müssen auch das sehen, darüber sprechen und sie als Realitäten sehen. Das Buch „Rabbiner Dr. Erich Bienheim. Eine persönliche Biographie“ könnte einen Teil dazu beitragen.
Dr. Walter Rothschild
Rabbiner Dr. Erich Bienheim
Eine persönliche Biographie
216 Seiten
ISBN: 978-3-95565-356-9
Erschienen: 2020
19,90 €
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