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Buchbetrachung: Was wir scheinen von Hildegard E. Keller

Reale Personen, die, ob ihrer Themen sperrig erscheinen, per Roman nahe bringen, kann gelingen. Aktuell ist das Buch “Was wir scheinen” von Hildegard E. Keller erschienen. Ich hatte das Privileg, reinlesen zu dürfen, bevor es das Endlektorat erhielt. Danke dem Kaffeehaussitzer dafür.

Dies sei vorangeschickt, denn vieles, was mir womöglich aufstieß, mag sich im letztlich veröffentlichten Buch nicht mehr finden. Ein paar Sachen durfte ich noch nachsehen, die geblieben sind, nicht alles habe ich verglichen.

Der Roman springt zeitlich in Hannah Arendts Leben: der Neubeginn in den USA, die journalistische Arbeit beim Eichmannprozess in Jerusalem und in der folgenden Zeit und ihre letzten Jahre als Witwe. Nah kamen mir persönlich dabei die Passagen beim Prozess und die Anfänge des Exils in den USA. Dazwischen: Nun ja, einige Beschreibungen erschienen mir zu detailliert. Dann und wann zeigte sich vor meinem inneren Auge eine Schreibschule: “Beschreiben Sie sehr genau den Raum und die Dinge, damit sich Lesende selbst im Raum empfinden”. Das war mir gelegentlich zu viel. Ich bin nicht an der Marmeladensorte oder der Handtasche Hannah Arendts interessiert. Andererseits lese ich auch keine Liebesromane. Ich mag es eher spröde. Eine ganz persönliche Präferenz, die niemand teilen muss. Die Details werden nicht in allen Kapiteln so genau ausgearbeitet, vielleicht auch deshalb konnte ich mich nicht daran gewöhnen. Viel mehr fand ich mich beim Überblättern. Bei einer Arbeit mit 576 Seiten, machte mir das nichts aus, und wie ich fand, der Geschichte ebenso wenig.

Gelungen hingegen erscheinen mir die Schilderungen der Freundschaften in ihren Entwicklungen, gelungen auch die Entwicklung bis zum Buch “Eichmann in Jerusalem” und die Konflikte, die damit einhergingen.

Unschlüssig bin ich in in einer Endbewertung. Vermutlich habe ich deshalb einige Zeit gewartet, ein paar Gedanken aufzuschreiben. Ich hätte mir mehr dieser Konversationen mit den Freunden gewünscht, auch mehr von Hannah Arendt als Lehrende, wie es am Ende des Romans zu finden ist. Ein Kapitel, in dem es mir nicht gelang, das Buch wegzulegen und nur einen Buchstaben zu überlesen.

Ich denke daher, man soll selbst lesen. Ich indessen habe meine Arendt-Bücher hervorgekramt, die seit der Uni ungelesen lagen, als es der Philosophie-Dozentin gekonnt gelang, jegliches Interesse an Arendt zu vernichten. Ich habe zudem den lieben Thorsten Martinsen, einem Arendt-Verehrer (Darf ich das so sagen?) geschrieben, damit er mir empfehlen möge, was er als wichtigstes Buch von Arendt empfehlen würde. Er antwortete und schenke mir zudem das schöne Wort “zulesen”.

Damit, so denke ich am Ende, ist alles erreicht, was ein fiktiver Roman über eine reale Person erreichen kann, oder etwa nicht. Was denken Sie?


Was wir scheinen
Hildegard E. Keller
Eichborn Verlag
ISBN: 978-3-8479-0066-5
Hardcover 24€, eBook 16,99 €

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