Zum Inhalt springen

Jom Kippur in Südafrika

Fast eine Woche später erscheinen meine Gedanken, die ich in den Tagen nach Jom Kippur aufschrieb. Grund war, dass ich dieses und dieses hier zu verdauen hatte. Doch es soll auch schöne Geschichten dieses Tages geben. Dies ist die meine kleine.

Alles ist anders in diesem Jahr. Auch Jom Kippur. Ich bin nicht am Meer wie sonst. Ich meide Gruppen und habe so auch aus diesem Grund keine Karte für die Feiertage in diesem Jahr in Berlin. Was also tun? Die World Union of Progressive Judaism kündigte einen „Yom Kippur Marathon“ an. So bezeichneten sie die Linksammlung der beteiligten Gemeinden, die auf diversen Portalen streamen würden. Allerdings hatte ich Probleme mit den beiden deutschsprachigen Angeboten. Auf der vergeblichen Suche nach der eben noch vorhandenen Live-Stream-Ankündigung auf Youtube sah ich in den Empfehlungen, dass bereits ein Stream einer Gemeinde seit kurzem lief. Die Uhrzeit passte. Geklickt. Dabei. Ich las auf den eingeblendeten Logos: Ich war in Südafrika gelandet. Ein kleiner (schon jetzt umwerfender) Chor aus fünf Personen sang gerade. Und plötzlich ein bekanntes Gesicht: Rabbiner Adrian Schell.

Adrian absolvierte seine Rabbinatsausbildung in Potsdam als einer der Ersten dort – und bloggte darüber. Sehr bald nach seinem Studium verabschiedete er sich Richtung Südafrika. Dann und wann gab es noch einen Blogpost. Er schien sich wohlzufühlen, angekommen zu sein und vor allem: seinen Weg gefunden zu haben.

Manche Menschen sagen, es gibt keine Zufälle. Was also war mein Ankommen zum Kol Nidre bei Adrian in der Gemeinde in Südafrika?

Ich erwartete einen einfachen Stream, wie wir sie in den letzten Wochen und Monaten kennengelernt hatten. Es war mehr. Schaltungen zu Gemeindemitgliedern, die einzelne Passagen lasen, lösten sich ab mit dem Chor, der mich tief anrührte, wie auch die Worte, die Adrian für dieses Jahr fand. Selten war ich so sehr bei mir, nachdem ich die Synagoge verließ – oder den Rechner wieder abschaltete. Und selten, vielleicht noch nie, freute ich mich auf den nächsten Tag, freute mich darauf, weiter dabei sein zu dürfen. Und wenn ich schon nicht am Meer sein dürfte, dann doch wenigstens am See. Das Handy war dabei und damit der Stream. Es ist schwer für mich, in Worte zu fassen, was dieses Jom Kippur für mich waren. Ich fühlte mich wohl mit Menschen, die ich nicht kannte. Selbst über den Stream strahlten die Mitglieder eine solche Wärme aus, wie ich sie lange vermisste.

Es stellte sich heraus, dass dieser Jom Kippur der Letzte für Adrian in seiner Gemeinde sein würde. Er geht nach London, zurück nach Europa. Man konnte hören und lesen, dass dieser Abschied für keine Seite einfach sein würde. Doch manchmal muss man vielleicht seiner Liebe folgen. Der Weg zwischen Berlin und London ist doch kürzer. Ich wünsche Adrian, dass es eine gute Entscheidung sein würde, dass er eine ebenso herzliche offene Gemeinde finden oder aufbauen wird – und ich wünschte, es wäre doch Berlin. Vielleicht ja irgendwann. Ich würde mich freuen.

Ich weiß, an Jom Kippur in diesem Jahr werde ich lange denken. Ich hoffe, dass die Erinnerung daran die des letzten Jahres ein Stück verdrängen werden.

Mein Dank geht an die Gemeinde Bet David, den Menschen vor und hinter den Kulissen, Rabbi Adrian Schell und Chayim Schell, dem wunderbaren Chor und einfach nur, dass Ihr die Türen geöffnet habt und Menschen aus aller Welt. Die Videos des Streams für die Hohen Feiertage gibt es hier, für die, die Interesse haben.


photo credit: vpickering Shofar – The Blast DC via photopin (license)

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert