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Die Collection de l’Art Brut

Ganz zu Beginn dieses Blogs schrieb ich einmal über eine Dokumentation über die Sammlung Prinzhorn. Damals las ich auch von der Collection de l’Art Brut in Lausanne. Auf der vergangenen Reise war nun endlich Zeit, einen Museumshalt in Lausanne einzulegen und das Museum zu besuchen.

Was ist Art Brut?

Als Art Brut oder auch Outsider Art wird gemeinhin Kunst von Laien oder im Falle von Lausanne und Heidelberg Kunst von psychisch kranken oder geistig behinderten eingeordnet. Persönlich habe ich ein sehr gespaltenes Verhältnis zu solcher Zuordnung, zeugt sie doch von einer deutlichen Überheblichkeit. Beide Begriffe sind inzwischen umstritten – zum Glück.
Nun ist der Sammler, dem wir dieses Museum verdanken, selbst Schöpfer des Begriffs, es steht demnach nicht zu erwarten, dass sich hier etwas ändern wird.

Sonderausstellung „Anonymes“

Aus dieser umfangreichen Sammlung sowie aus denen der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg und dem Museum für Kriminalanthropologie Cesare Lombroso und dem Museum für Anthropologie und Ethnographie in Turin ist die derzeitige Sonderausstellung „Anonymes“ (Bis 31. Oktober) entstanden. Sie ist den Arbeiten gewidmet, die ohne Signatur, ohne Provinienz gesammelt wurden in Psychiatrien und Gefängnissen. Die Ausstellungsbeschreibung spricht nur im letzten Satz davon, dass diese Ausstellung von der „…massenhaften Einlieferung menschlicher Ausgestoßener in die Anstalten des späten 19. und frühen 20.“ zeugt. Man hätte die Chance gehabt, hier viel deutlicher zu machen, wie mit den Menschen umgegangen wurde – und oft noch umgegangen wird, mit ihren Arbeiten, die vielleicht nie eine Kunstschule gesehen haben müssen, mit den Schöpfenden, die vielleicht auch nie eine längere Schulbildung erhielten aber dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, Arbeiten schufen, die tief berühren. Auch hier wieder eine Arroganz der „Nichtausgestoßenen“ gegenüber den vermeintlich Niedrigstehenden. Zum Glück gibt es in dieser kleinen Ausstellung, die ihren Platz in den ruhigsten Räumen des Hauses fand, ein Kapitel zur bis heute andauernden Suche nach den Künstlerinnen und Künstlern dieser Arbeiten. Ein verständlich schwieriges Unterfangen, das doch bereits von Erfolg gekrönt wurde, und den Menschen, vielleicht zu oft auch erst posthum, die Anerkennung zuteilwerden lässt, die sie verdienen.

Die Dauerausstellung

Die Collection ist in einem entkernten alten Palais zu finden. Die Wände sind dunkel, so dass die Arbeiten, oft sehr farbenreich, eine gewaltige, teils überwältigende Wirkung entfalten. Doch birgt der Bau genau an diesen Räumlichkeiten sein Hauptproblem: Man hört alles, überall. Die Führung im Erdgeschoss hallt bis unters Dach, was zumindest ich als irritierend empfand.

Die Kunstwerke sind nach Art der „Einschränkungen“ sortiert mit einer Beschreibung der Lebenswege der Machenden auf Französisch und Englisch. Darin Hinweise zu Kindheit und vermeintliche Gründe für Einweisungen, teils auch auf ihre Ausbildung. Die Arbeiten kommen aus der ganzen Welt, sind teils wandfüllend, teils klein in Vitrinen untergebracht. Man merkt, dass das Museum mehr Raum braucht, teils ist es sehr eng und manche Arbeiten bräuchten in meinen Augen mehr eigenen Raum. Eigenen Raum im wortwörtlichen Sinne hat Paul Amar, der mit seinen dreidimensionalen farbenprächtigen Muschellandschaften anderen überstrahlen würde. Irritierend war für mich, dass gleich im ersten Satz erwähnt wurde, dass er Jude sei – was weder in den Arbeiten noch in seinem beschriebenen Leben eine Rolle zu spielen scheint. Warum also, wurde das angegeben? Persönlich habe ich selten die Geschichte der Menschen nachgelesen, ich habe einzig ihre Kunst auf mich wirken lassen. Es macht für mich keinen Unterschied, ob jemand ein Downsyndrom hat, ob sie mit manischer Depression diagnostiziert wurde oder warum auch immer eingesperrt war. Ihr Ausdruck interessiert mich, mehr nicht. Und ist es nicht so, dass alle Künstler:innen, die sich als solche selbst betrachten, in einer Art besessen oder manisch sind, nämlich im Schaffen? Haben wir das vergessen oder wollen wir nur ausschließen, wenn jemand nicht „ins System“ passt?

Bemerkenswert ist, und das sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Künstlerinnen und Künstler der Sammlung, hier als „Authors“ bezeichnet ihren eigenen Raum auf der Website des Hauses haben. Das sollte Schule machen.

Besucherservice

Wer meine Museumsbesuche kennt, weiß, dass ich stets ein Auge auf den Besucher- oder Gästeservice habe, der für mich essentiell wichtig für einen gelungenen Museumsbesuch ist. In der Collection de l’Art Brut ist er unterdurchschnittlich bis unfreundlich. Es ist einzig der reinen Freude an der Ausstellung zu verdanken, dass mir der Besuch nicht vollends vergällt wurde.
Zum Hintergrund: Selbstverständlich trugen wir aufgrund der gewohnten Hygienevorschriften eine (FFP2-)Maske. Auch in der Schweiz wurden am Wochenende vor unserem Besuch strengere Vorgaben eingeführt. So wurden unsere Impfnachweise selbstverständlich und problemlos bereits in der Unterkunft kontrolliert, was auch uns ein sichereres Gefühl gab. Am Ticketschalter wurde es schwierig. Die Person sprach ausschließlich Französisch und meine wenigen Jahre Französisch bei der furchtbaren Frau O. stießen nun an ihre Grenzen. Der Impfnachweis wurde kontrolliert, doch dann begann die Person „Le papier qu’ils ont avec la vaccination“ sehen zu wollen. Ich verstand daraus, dass ihr der digitale Nachweis nicht reichen würde und sie den Impfpass oder das Papier sehen wollte, dass wir mit der letzten Impfung für den digitalen Nachweis mitbekamen. Ich äußerte mich etwas irritiert und sagte, dass wir nichts weiter hätten als die digitalen Nachweise. Sie fragte wieder „Le papier qu’ils ont avec la vaccination“…so ging das eine ganze Weile. Das Frustlevel stieg enorm und wir sahen uns schon des Museums verwiesen. Angemerkt sei, dass beim Besucher vor uns in der Schlange lediglich das Handy vorgezeigt wurde, keine weiteren Papiere. Die illustrierten Hygienevorgaben sprachen nur von Maske, Abstand und Handdesinfektion. Wir waren am Ende mit unserem Latein. R. fragte irgendwann „ID?“, ein irgendwie ja doch internationales Wort. Es wurde nicht verstanden. Nach längerer Zeit schritt dann eine Mitarbeiterin des Hauses, die die ganze Zeit daneben stand ein und erklärte in eher abfälliger Betonung in akzentfreiem Hochdeutsch „Bei uns in der Schweiz müssen Sie einen Ausweis vorzeigen mit ihrem Impfnachweis“. Sie stand von Beginn an am Eingang neben dem Ticketschalter, sie hat alles mitbekommen und befand es nicht für nötig früher einzuschreiten. Natürlich hatten wir einen Ausweis, den man auch einfach als „ID“ oder „Passeport“ hätte nachfragen können, um sich verständlich zu machen. Wir zeigten die Ausweise und die Sache war mit erheblichem Frust erledigt. Wir durften eintreten. Die Gruppe nach uns wurde gar nicht mehr kontrolliert.

Hygienemaßnahmen

Die erwähnten bebilderten Vorschriften zum Schutz vor Covid-19 waren im Schluss nicht mehr als Illustration. Das Museum war gut besucht, wir waren die einzigen Menschen mit Maske, obwohl dies vorgeschrieben war. Es fand eine Führung statt, es wurde viel geredet, eine maschinelle Lüftung war nicht zu erkennen auch sonst gab es keine Frischluftzufuhr. Als jemand, der sich täglich damit und dem Schutz der Gäste in Ausstellungen und Veranstaltungen beschäftigt, war dies sehr irritierend. Zwar wusste ich, dass man das alles in der Schweiz eher locker nahm, doch wurde dies ja wie gesagt am vorangegangenen Wochenende geändert und die Vorgaben am Eingang des Museums vermittelten einen anderen Eindruck. Auch dies machte den Besuch nicht vollends unbeschwert. Ich würde das Haus mit diesem Wissen nicht mehr besuchen.

Kosten

Laut Website 6 Franken, was bei derzeitigen Kurs sehr überschaubar ist. ICOM-Karten werden akzeptiert.

Fazit

Aufgrund des laxen Umgangs mit Pademievorschriften würde ich derzeit von einem Besuch abraten. Abgesehen davon, ist das Museum ein Besuchsmuss. Auch, wenn ich denke, dass man über einiges in Beschreibung und dem Blick auf die Kunst in diesem Haus tun muss, bin ich mir sicher, dass dies mit dem Beginn der Provinienzforschung zu den unzugeschriebenen Arbeiten in der Sammlung beginnt. Und vielleicht tut es so manchem Menschen gut, der Ausstellungen um der Namen willen besucht, z.B. hier einen Ort zu haben, bei dem nicht der Sammelpreis entscheidend ist. In einer Welt, in der das immer mehr zum Faktor des Qualitätsmaßstabs wird, ist zuviel gute Kunst ungesehen. Es ist allein den ausgestellen Künstlerinnen und Künstlern zu verdanken, dass der doppelte Frust beim Besuch des Hauses nicht der überwiegende Faktor war. Die Gedanken an ihre Werke sind in meiner Erinnerung, das, was mich am meisten beschäftigt oder nennen wir es schlicht Begeisterung.

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