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Die Hachschara in Brandenburg – Geschichte und Ausstellung

Vor einigen Jahren stieg ich aus dem Bus. Der kleine Platz, an dem sich die Haltestelle befindet, hatte ein paar Büsche weniger, dafür ein paar Tafeln mehr. Das heißt überhaupt Tafeln. Seit meinem letzten Besuch hatte man den Platz umbenannt: Nach Selma und Paul Latte. Ich flog über die Beschriftung, hatte ich es doch eilig. Ein Wort stach mir ins Auge: Hachschara. Auch in Pankow? Ich wurde neugierig. Las, machte Fotos und wollte doch schon längst darüber geschrieben haben.

Ich hatte das Privileg mit Menschen sprechen zu dürfen, die in Hachscharot auf ihre Auswanderung nach Palästina vorbereiteten. Ich sprach mit jenen, die noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten diesen Weg wählten und jenen, deren letzter Ausweg es war, um ihr Leben zu retten. Ich sprach mit Menschen, die eigentlich Juristen werden sollten, um dann als Spezialisten in der Viehzucht ihr Leben zu verbringen oder Bewässerungssysteme bauten. Ich sprach mit ihnen über Hoffnungen, Träume, Enttäuschungen, harte Arbeit und Verzweiflung. All diese Gespräche kamen mir wieder in den Sinn, als ich die Tafeln in Pankow sah.

Für eine Auswanderung in das britische Mandatsgebiet Palästina mussten Menschen nachweisen, dass sie eine handwerkliche, hauswirtschaftliche oder landwirtschaftliche Ausbildung erhalten haben. Diese konnte man in den Hachscharot erwerben, von denen es in den 30er Jahren wohl um 80 Orte in Europa gab. Ab 1933 blieben um die 30 Stätten, die anfangs noch durch die Nationalsozialisten geduldet waren. Das Gut Ahrensdorf in Brandenburg ist wohl das bekannteste Landwerk in der hiesigen Gegend.

Von ein paar dieser Orte erzählt die Wanderaustellung „Chawerim – Jüdische Selbstorganisation, Widerständigkeit und die Hachschara-Bewegung“ des Instituts für neue Soziale Plastik, die auch begleitende Workshops zur Ausstellung anbieten. Die Ausstellung ist noch bis 5. September in Eberswalde zu sehen. Weitere Ausstellungsorte werden gesucht – wer sagt schon, dass sie nur in Brandenburg sein müssen?

Interessant ist im Übrigen auch der Verein selbst, der mit Chasak! ein Projekt gegen Antisemitismus im ländlichen Raum anbietet.

Und was war mit Selma und Paul Latte? Die Familie hatte ab 1934 Teile ihres Firmengeländes in der Buchholzer Straße in Pankow an die „Reichsvertretung der deutschen Juden“ verpachtet, die dort das die Pankower Hachschara betrieb. 1938 mussten die Lattes ihre Grundstücke unter Wert verkaufen, ab 1939 wurde die Flaschenproduktion eingestellt, die Firma ein Jahr später aus den Registern gestrichen.

Die Hachschara in Brandenburg - Geschichte und Ausstellung
Telefonbucheintrag 1938
Die Hachschara in Brandenburg - Geschichte und Ausstellung
Telefonbucheintrag 1939, kaum noch ein Latte ist in berliner Telefonbuch geblieben.

Heute erinnern die Tafeln neben ihrer ehemaligen Firma und Zuhause an sie und ihr Engagement. Etwas befremdlich: In Berlin-Hermsdorf liegen heute zwei Stolpersteine für das Paar in der ehemaligen Albrechtstraße 10, heute Falkentaler Steig 16. Das Haus war ein sogenanntes „Judenhaus“, in dem jüdische Menschen bis zu ihrer Deportation leben mussten. Also wohl kaum ein frei gewählter Wohnort. Die Lattes wurden, wie andere Bewohner:innen des Hauses, 1943 nach Theresienstadt deportiert, wo sie starben.


Die Tafeln zur Geschichte der Pankower Hachschara befinden sich auf dem Selma-und-Paul-Latte-Platz, die Bushaltestelle (Bus 250) heißt inzwischen ebenso. Nach Eberswalde kommt man mit der Regionalbahn oder auch sehr schon per Rad, immer den Finowkanal entlang. Und natürlich kann man sich die Ausstellung auch in den eigenen Ort holen. Sie besteht aus 14 RollUps. Dafür ist doch in der kleinsten Hütte, resp. Nachbarschaftshaus/ Kirche/ Lokalmuseum/ etc. Platz.

Auch die Hachscharot sind brandenburger und deutsche Geschichte, eine Geschichte, die nicht vergessen werden sollte.

Die Hachschara in Brandenburg - Geschichte und Ausstellung

Foto: Vorbereitung auf Alija im Gehringshof/Kibbuz Buchenwald, vermutlich
Frühjahr 1946. Herbert Growald ist der fünfte von links.; Kibbuz Netzer Sereni, Archiv. Aus der Ausstellung Chawerim.

3 Kommentare

  1. Vielen Dank, dass du uns diesen interessanten Eintrag über die Hachschara mitgeteilt hast. Es ist lesenswert, ich finde es sehr spannend.

  2. Paula Paula

    Heute lese ich das erste Mal von der Hachschara und dies trotz meines fortgeschrittenen Alters. Ist es meine Ignoranz? Oder wird dieser Teil der Geschichte für nicht erwähnenswert gehalten?

    Vielen Dank für deinen Beitrag!

    • Manchmal habe ich den Eindruck, es existieren parallele Geschichtsschreibungen, die doch eigentlich zusammengehören. Und ich lerne aufgrund der Rückmeldungen, dass ich doch etwas mehr zu solchen Dingen schreiben sollte. Vielen Dank daher von mir, ich freue mich, dass ich etwas Interessantes erzählen konnte.

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