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Buchbetrachtung: Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin

In der Situation dieser Tage liegt begründet, dass viele Menschen mehr auf der Suche nach Lesestoff sind. So entschied ich mich, doch über die Bücher zu schreiben, die ich in den letzten Wochen mochte und die der einen oder dem anderen die Zeit verkürzen, ablenken andernfalls bereichern könnten. Daher wird es hier doch ein paar mehr Beiträge zu Büchern geben, als ich es unter normalen Umständen getan hätte.

Beginnen wir mit einem Buch, auf das ich vermutlich nicht selbst gekommen wäre, ich durfte es für den NDR Kultur rezensieren: Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin von Thomas Meyer. Der Beitrag ist hier zu hören (ab ca. 10:00).

Thomas Meyer wurde besonders für seinen ersten Roman mit Motti Wolkenbruch gescholten. Zu viele Stereotype wurden ihm vorgeworfen. Und ja, er spielt wieder in Teil zwei mit eben jenen jüdischen Klischees. Aber muss das unbedingt schlecht sein? Selbstironie oder sich selbst nicht ganz so ernst zu nehmen, schadet nicht, über sich selbst lachen noch weniger.

Im zweiten Teil des Buches wird Motti, der zuhause rausgeflogen war, weil er sich mit einer Schikse, einer Nichtjüdin einließ, zu den „verlorenen Söhnen Israels“ abgeholt, zu Menschen, die eine ähnliche Geschichte haben und nicht noch nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen werden. Bald stellt sich heraus, dass sich in dem Kibbuz, in dem die „verlorenen Söhne“ (und eine Tochter) leben, obendrein die Zentrale des Weltjudentums befindet – unterbesetzt und offen gesagt nicht sonderlich erfolgreich.

Gleichzeitig überlebten in einem Bunker in Bayern alte Nazis und haben neue Generationen von „Neogermanen“ den Plan des „Endsiegs“ nicht aufgegeben. Um das zu erreichen, erfinden sie Maschinen und setzen ganze Abteilungen ein, diese zu bedienen und Hass unter den Menschen zu streuen.

Nachdem Motti unerwartet zum Leiter des „Weltjudentums“ aufsteigt, wird die Lauschmaschine „Alexa“ kurzerhand umprogrammiert und zu „Schoschana“. Diese empfiehlt erstmal alles jüdische: jüdisches Essen, jüdische Ärzte, jüdische Musik… und der Plan geht auf: Die Menschen gewöhnen sich an „jüdische“ Dinge, die Skepsis oder auch Scheu verfliegt und nicht nur das Internet wird fast wieder wie in den ersten Jahren: ein freundlicher Ort, an dem sich Menschen helfen. Würden die Neogermanen ihrerseits mit der Hassmaschine nicht schon den nächsten Schlag vorbereiten, wäre es fast zu schön – und zu simpel.

Das Buch ist ein Schnellleser, der mich ein paar Mal hat laut auflachen lassen. Es bleibt dabei nicht bei lustigen Banalitäten, die unterhalten würden, sondern schafft es durch die plötzliche Ernsthaftigkeit, wenn es um den Hass geht, sehr nachdenklich zu stimmen. Selbst Menschen, die sich bisher nicht mit dieser Thematik damit beschäftigt haben sollten, erfahren es hier, fast nebenbei und werden nicht durch ihre Dramatik erschlagen. Dennoch bleibt etwas hängen und lässt Tage nach dem Lesen der letzten Seite noch darüber reflektieren.

Es ist ein Buch, das mich überrascht und dadurch begeistert hat.

 

Thomas Meyer
Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin
Als Print, ebook, CD oder Hörbuchdownload
Diogenes 2019 und 2020

 

Am besten kauft man seine Bücher beim Händler um die Ecke. Die meisten dieser wunderbaren Menschen liefern jetzt, da sie ihre Türen nicht öffnen können ins Haus oder es gibt andere Wege. Selbst, wenn sie nicht selbst liefern können, kann man sie z.B. mit einer Bestellung bei Genial Lokal unterstützen, hat man sie als Lieblingsbuchladen markiert. Das ist wichtig, damit wir nach dieser Krise nicht ein großes Stück unserer Kultur ärmer sind.

Passen Sie auf Sich auf und vergessen Sie nicht zu lachen!

 


Disclaimer: Ich habe das Buch vom Verlag für den Radiobeitrag, als Freiexemplar bekommen. Der Beitrag hier war nicht vereinbart und erfolgt ohne jegliche Gegenleistung. Ich bin schlicht sehr angetan von Motti Wolkensteins zweiten Abenteuer und von den Fähigkeiten Thomas Meyers Humor, jüdisches Wissen und tiefe Ernsthaftigkeit zu verbinden. Alle Links sind keine Affiliate Links.

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