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Ein Film zum Jahresende: Verriegelte Zeit von Sibylle Schönemann

Manchmal stolpert man über Dinge. Man stolpert über Bücher im elterlichen Bücherregal, über Geschichten auf einer Familienfeier. Ich stolperte über einen Film: Verriegelte Zeit von Sibylle Schönemann.

Die 90-minütige Dokumentation begleitet die Filmemacherin selbst im Sommer nach dem Mauerfall. Frau Schönemann wurde fünft Jahre zuvor mit ihrem Mann durch die Bundesrepublik aus dem Gefängnis freigekauft. Nun reist sie an die Orte des Geschehens zurück und versucht mit den Menschen zu sprechen, die sie in Haft brachten. „Grund“ der Haft war der gemeinsame Ausreiseantrag ihres Mannes und ihr, da sie sich in ihrer Arbeit in DDR behindert sahen. Sie wurden nach §214 StGB der DDR (Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit) verurteilt.

Dieser sehr ruhige Film ist für mich das Beste, was zum Thema der politischen Häftlinge in der DDR gedreht wurde. Es ist dieser eine Film direkt nach dem Fall der Mauer, in dem es möglich war, an die Orte zu gehen, ins Gefängnis, das Gericht und vor allem, es war dieser Sommer, in dem die vermutlich letzte Chance bestand, mit den Menschen zu reden, die Mitschuld trugen an der Familiengeschichte der Schönemanns. Nicht jeder war dazu bereit, doch es waren mehr als es vermutlich heute möglich wäre. Es ist eindrückliche Bilder. Erinnerungen, die jetzt 30 Jahre danach fast verblasst scheinen. Das Gefängnis in der Potsdamer Innenstadt, über das niemand etwas zu wissen schien, ist heute Gedenkstätte für die Geschichte politischer Verfolgung. Das ehemalige Frauengefängnis Hohenleuben ist heute ganz normale JVA und kaum zugänglich.

Schon 1990 zu spüren wie Täter:innen sich keiner Schuld bewusst sind, sich herausreden und nicht einmal einen Funken Unrechtsbewusstsein zu haben scheinen. Ein Verhalten, mit dem oftmals sehr traumatisierte Überlebende bis heute umgehen müssen. Deshalb ist dieser Film so wichtig: der Versuch, Antworten zu finden und das System zu zeigen, das ohne einen Menschen zu kennen, ihm die Freiheit entzieht, das Leben zerstört. Und er ist noch deshalb wichtig, die Bilder dokumentieren die Orte, die immer mehr verloren gehen, in einem Zustand, der 30 Jahre danach kaum noch vorhanden ist. Es gibt noch einige wenige dieser Orte, doch die zuständigen Behörden scheinen nicht an einer Bewahrung der Geschichte interessiert. Dazu an anderer Stelle mehr.

Ich hoffe, die Familie Schönemann hat irgendwann erfahren können, wer ihre IMs waren. Denn da endet der Film. Mitte 1990 waren die Akten noch nicht zugängig. Auch heute wartet man Jahre auf Einsicht und wird nur unter Schwierigkeiten wirklich erfahren können, wer die Täter waren – es sei denn, man kannte sie. So wie in einer anderen Dokumentation, die ich gern zusätzlich ans Herz legen möchte: Feindberührung von Heike Bachelier. Meine Hochachtung für die Protagonisten Sibylle Schönemann und hier Peter Wulkau, die mit übermenschlicher Ruhe das Gespräch und einfach nur Antworten suchen. Ob sie sie finden? Sehen Sie selbst.


Foto: Filmstill, DEFA-Stiftung, Thomas Plenert

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