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Dieses seltsame Gefühl – oder Besuch in den USA

Es ist ein seltsames Gefühl, das mich vor gut einer Woche befiel. Ein Gefühl, mit dem ich nicht rechnete und was mich seit dem verwirrt. Ich durfte, und darüber werde ich an anderer Stelle ausführlicher berichten, mit einer muslimisch-jüdischen Gruppe der KIgA nach Washington D.C. reisen. Es waren anstrengende sehr gefüllte und vor allem sehr bereichernde Tage.

Am Montag begann gleich am Morgen unser ziemlich straffes Programm. Was auch begann im Laufe des Tages war dieses Gefühl, das ich erst nicht einordnen konnte. Vor gut 12 Jahren entschied ich, dass ich wieder in Deutschland leben will, oder überhaupt in Deutschland in Deutschland leben will. Seit dem war ich nicht mehr dort. Davor lagen fünf Jahre Pendeln in die USA – der Liebe wegen. Es gab einige Gründe für meine Entscheidung zurückzukehren und ich zweifelte sie nie an. Sie war richtig. Dennoch, es blieb ein Teil von mir in den USA oder vielleicht erwachte er auch wieder nach 12 Jahren Schlaf? Der Teil, der plötzlich, trotz allem, trotz Trump, trotz ansteigendem gewalttätigem Antisemitismus und Rassismus in den USA, ein Gefühl von Freiheit fühlte. Das Gefühl wieder, nicht anders zu sein, atmen zu können. Vielleicht so lässt es sich am ehesten beschreiben: Atmen.

Und es sind auch wieder hier die kleinen Dinge: dass es einen koscheren Supermarkt um die Ecke gab und auch ein sehr gutes koscheres Restaurant – endlich ohne schlechtes Gewissen reinhauen und gut geschmeckt hat es auch noch. Und sei es auch, dass es im Hotel zwar kein koscheres Angebot gab, man problemlos aber das eigene Essen essen konnte, dass niemand das kommentierte, dass im Gegenteil einem ohne Erklärung auch Plastikgeschirr und -besteck angeboten wurde, wenn man es wünschte (das normale reichte auch), dass beim Abendessen für die observanteren jüdischen Teilnehmer ganz selbstverständlich ohne Tamtam koscheres Essen geordert wurde. All das konnte ich beobachten. All das war selbstverständlich und war da. Vielleicht war dieses seltsame Gefühl, dass ich vom ersten Tag hatte auch einfach nur ein Gefühl der Entspannung. Ein subjektives Gefühl, natürlich, gegen das man reichlich Argumente anführen könnte. Dennoch. Es war da und es stimmt mich nachdenklich. Auch, wenn ich jetzt wieder zuhause in Berlin bin und es gut so ist. Ein Teil ist aber doch da geblieben, irgendwie, dieser Teil, desses Schwinden ich all die Jahre kaum wahrnahm.

Ein wenig oder vielleicht auch sehr viel konnte ich dennoch mitnehmen, vor allem die neuen Freunde und Bündnisse. Das ist mit allem das Wichtigste.


Foto: Lincolm Memorial in Washington D.C., Dezember 2019, Juna Grossmann, Ilford HP5 in Hasselblad 500cm

3 Kommentare

  1. Rosi Rosi

    Das ist das Leben in Metropolen

    • Nun ja, in anderen Metropolen z.B. in Europa habe ich dieses Gefühl nicht.

  2. Martina Heesch Martina Heesch

    Ich habe gerade etwas über Sie im Fernsehen gesehen und sofort Ihre Homepage aufgerufen und gelesen. Was ich immer fühle, ist sofort wieder da, es tut mir so leid, wie schwer es ist in Deutschland zu leben als Mann oder Frau jüdischen Glaubens. Mir ist jeglicher Rassismus zutiefst fremd und zuwider. Liebe Grüße Martina

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