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Du weißt, dass Du immer kommen kannst

Du weißt, dass Du immer kommen kannst

Seit dem 11. September 2001 mussten wir alle uns irgendwie daran gewöhnen, dass es Situationen gibt, bei denen sich die Lieben um einen sorgen. Die Anrufe, ob alles in Ordnung ist, ob man nicht lieber zuhause bleiben sollte. Dass man besonders auf sich aufpassen soll – und vielleicht auch das Land verlassen. 

Letzteres ist sehr wahrscheinlich für den Durchschnittsdeutschen nicht gewohnt. Der Durchschnittsdeutschjude allerdings wird es kennen, immer wieder und es wird, so zumindest bei mir immer präsenter. Die Frage, die Heimat zu verlassen, zu fliehen, wie es so viele Menschen derzeit auf diesem Planeten tun müssen, sie ist für uns Juden Alltag.

Sich das vorzustellen, wie es sich so lebt, scheint schwer zu sein. Stets in Gedanken, wann sollte man? Wie war es damals? Ab welchem Punkt ist es zu spät? Was sollte man vorbereiten, im Falle dessen? Diese Gedanken versuche ich zu verdrängen, sie sind da, sie gehen nicht. 
Und so kann ich nicht mehr so einfach, wie noch vor drei vier Jahren sagen, dass man sich keine Sorgen machen solle, wir sind sicher, uns passiert nichts. Heute antworte ich nur noch, dass mich große Menschenmengen so oder so abschrecken und ich sie meide, dass ich Fahrrad fahre und die Öffentlichen ebenso meide – aus anderen Gründen. Ich versuche zu beruhigen und bin doch mitunter nicht ruhig. Doch weshalb würde ich eigentlich wirklich mein zuhause zurück lassen? 
Ich habe keine gepackten Koffer. Ich bin nicht auf dem Sprung. Doch ich weiß und habe die Gewissheit, dass es einen Platz gibt auf dieser Erde, zu dem ich könnte, zu dem ich so nicht wollte, wo es aber Bürgen gäbe für ein Visum, einen Status, um irgendwie weiter zu leben. Ich hoffe, nie werde ich gebrauch machen müssen davon. Ich habe Glück.
Und weiter beruhige ich die Freunde. Paris ist weit weg. Hannover ist näher. Berlin. Warten wir es ab. Ich passe auf mich auf. Ich habe das „Sicherheitsverhalten“ noch in mir aus meiner Zeit in den USA. Es ist aktiv. Und ich wünschte mir nach meiner Rückkehr nach Hause, dass ich es nie wieder brauchen würde. Wir leben in unsicheren Zeiten. Ein jeder von uns.
Habe ich Angst? Angst macht das Leben kaputt. Das ist geblieben aus New York. Ich will leben, unbeschwert sein können. Genießen. Und deshalb bleibe ich hier, in meiner Stadt, in meinem Land. Damit sie mit den Bomben nicht gewinnen. 
Und fürchte mich viel mehr vor jenen, die meinen demokratisch zu sein, in rot-blau, ihre Hetzreden halten, vor jenen, die mit falschen Worten ihren Hass auf die Straße tragen. Die Häuser anzünden, die Zuflucht sein sollen. Sie wären der Grund weg zu gehen. Nur sie.
Und ja, ich weiß, dass ich immer kommen kann. Danke dafür.

photo credit: Old leather case via photopin (license)

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