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Die Bücher meines Sommers

In der Uni hatten wir ein Seminar: Dokumentarfilme als historische Quellen. Wir lernten, sie zu lesen und zu verstehen, so wie man Bilder lesen und verstehen können muss – und Bücher. Dieser, mein Urlaub, war vor allem jenen Quellen gewidmet, die oft übersehen werden, die vielleicht noch schwerer zu lesen und zu verstehen sind als Dokumente, Fotografien und Film: Bücher. Aber natürlich nicht nur das.

Die Bücher meines SommersErich Loest: Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene

Ein Buch, das mit den sogenannten Beat-Unruhen in Leipzig seinen Anfang nahm. Ein Autor der Jahre in der DDR im Gefängnis sitzen musste, weil er aussprach, was er nicht aussprechen sollte. Vom Buch erzählte mir meine Mutter, sie erzählte, dass Loest mit den Schilderungen nicht ernst genommen wurde, sie selbst war damals in Leipzig, sie selbst erlebte die Polizeieinsätze, in denen mit scharfen Hunden auf friedliche junge Menschen losgegangen wurde – nicht nur während der Beat-Unruhen. Die Auswirkungen, die diese Erlebnisse haben können, schildert Loest für den Protagonisten, der schon als Kind beschließt, sie selbst in der Position sein zu wollen, die solche Entscheidungen treffen werden, die andere Menschen und ihre Zukunft opfern würden. Das heißt, keine Karriere zu wollen, einfach nur irgendwie durchs System schlingern, still sein, nicht auffallen und dann?
Gut lesbar und für eine andere Perspektive sehr empfehlenswert.

 

Die Bücher meines SommersKlaus Schlesinger: Berliner Traum

Fünf kurze Geschichten, schnell zu lesen. Was war eigentlich, wenn man an der ehemaligen Grotewohl Straße in der U-Bahn geblieben wäre? Die Bahn fuhr weiter, in den Westen? Und wie käme man zurück? Kommt man zurück? Ein Albtraum? Nicht nur bei Schlesinger, diese Träume gab es wirklich. Ich selbst fragte mich als Kind nur, wohin denn die Züge nur führen, gab es eine große Schleife dahinter? Wusste ich eigentlich, dass der Zug hätte weiter fahren könne, dass dahinter eine andere Welt lag? Ich weiß es nicht mehr. Ich fieberte mit und lernte zu verstehen, wie das Weiterfahren Angst auslösen kann. Es ist dies, wohl die Hauptgeschichte dieses kleinen Büchleins, das durchaus lesenswert ist.

 

Die Bücher meines SommersErik Neutsch: Spur der Steine

Bücher sind besser als Filme. Der Film war (und ist?) ein Erfolg. Nach 100 Seiten Neutsch fühlte ich mich zu sehr an Pflichtschullektüre erinnert. Das Buch war, im Gegensatz zum Film, nie verboten. Man merkt es. Ich habe kapituliert – trotzdem ich zu Beginn begeistert war. Vielleicht irgendwann ein neuer Versuch.

 

 

Die Bücher meines SommersChrista Wolf: Nachdenken über Christa T.

Ein Buch das Fragen stellen lässt, die erste: warum durfte es zunächst nicht veröffentlicht werden? Erzählt wird die Geschichte Christa T.s, deren schriftliche Hinterlassenschaften Christa Wolf durchgeht und darüber reflektiert, gemischt mit Erinnerungen. Sich selbst finden, in einem Land, in dem es kein selbst geben darf. Sich suchen, sich zurückziehen, bei sich bleiben?

 

 

 

Die Bücher meines SommersBrigitte Reimann: Franziska Linkerhand

Das Buch, an dem ich am längsten las. Es ist kein Schnellleser. Franziska Linkerhand, angehende Architektin bei ihrem renommierten Dozenten eingestellt, an dem Wiederaufbau des Gewandhauses Leipzig beteiligt, entschließt sich nach Neustadt, Synonym für all die Neustädte der DDR, zu gehen und sich dem Bau der neuen Stadt aus Platten zu widmen. Sie schwankt zwischen Idealismus und Resignation, lernt die Realitäten des DDR Bauwesens kennen und hinterfragt immer wieder das Konzept dieser Wohnstädte. Ich habe die Erstausgabe gelesen. Trotz der inzwischen bekannten Zensurkürzungen ist die Kritik doch deutlich lesbar. Auch, wenn z.B. die Frage nach den Selbstmorden in der Siedlung nur kurz angerissen wird und im Original ausgearbeiteter ist, versteht man es, wenn man es lesen kann. Das Buch, an dem Brigitte Reimann viele Jahre arbeitete ist unvollendet, bis auf Zensur ist wenig daran getan worden, da die Autorin nicht mehr daran arbeiten konnte. Das merkt man ihm an. Dennoch ein Buch, das gelesen werden sollte – immernoch.

Die Bücher meines SommersMaxim Biller: Sechs Koffer 

Jüdische Fluchtkontinuitäten, so würde ich dieses Büchlein wohl inhaltlich beschreiben. Sechs Koffer, sechs miteinander verwobene Geschichten und die Suche nach der Antwort auf ein Familiengeheimnis: Verrat oder nicht?

Gut zu lesen, unterhaltsam und im klassischen Biller-Stil. Hier kann man nichts falsch machen.

 

 

 

Die Bücher meines SommersFaye Kellerman: Decker/Lazarus Krimis

Ich habe Faye Kellermans Krimis lange nicht mehr gelesen und im Urlaub wieder damit angefangen. Es sind Bücher zum Entspannen. Rina Lazarus, orthodoxe Jüdin lernt im ersten Teil ihren zukünftigen Mann, Peter Decker, kennen. Er hat die meiste Zeit seines Lebens nicht jüdisch gelebt. Auch das spielt, neben den Kriminalfällen eine Rolle. Es sind Krimis, die in den USA oder auch Israel spielen. Das Entspannenste für mich: das jüdische Umfeld. Ich habe die Krimis ursprünglich im Original gelesen und merkte nun (leider) die teils fragwürdige Übersetzung der jüdischen Anteile. Dennoch empfehlenswert, wenn man quasi nebenher etwas Jüdischkeit mitnehmen will. Ich last die Folgen 8, 9 und 10. Die Reihe begann 1986, man macht also auch eine kleine Zeitreise. Der bis dato letzte Teil erschien 2018, also noch reichlich Stoff zu lesen.

Begonnen: Rummelplatz von Werner Bräunig und Ein Tag im Jahr von Christa Wolf – dann passierte Halle.


Foto von Thorsten Frenzel auf Pixabay

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