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Eine Geschichte westlicher weißer Arroganz, eine von vielen.

Eine Friedensmission. Afrika. W. ist Teil eines Teams, das seine Erfahrungen zur Verfügung stellen soll. Alle sind freiwillig hier. Ein internationales Team, das für Rat und Tat bereit steht für ein Land, das eines will: Frieden. Ein Land, das aus der Schleife von Korruption, Armut und Stammeskriegen heraus kommen will. Ein Land, am Anfang der Änderung. Ein Land voller Menschen, die wollen, die Ziele und Sehnsüchte haben, deren Probleme nicht heißen, wo geh ich heute Abend essen, sondern, kann ich heute Abend etwas essen. Ein Land gebeutelt von Kriegen. Ein Land voller junger Menschen, die eine Zukunft suchen.

W. ist seit über einem Jahr in diesem Land. Er hat viele in der Mission kommen und gehen sehen. Nur wenige, so fällt ihm bald auf, verlassen jemals den abgeschotteten Bereich der Mission. Manch einer kennt im Land nur den Weg vom Flughafen zum Campus. 3 km. Der Aufwand ist groß, das Gelände zu verlassen. Sicher. Mehrere gepanzerte Autos. Schusssichere Kleidung. Anmeldung. Planung. Soldaten. Es ist aufwändig, aber es ist möglich. Doch kaum einer, so sagt W. schon nach Wochen vor Ort war jemals draußen. In dem Jahr, in dem er dort ist, war er der einzige der Kollegen, der immer wieder raus wollte zu den einheimischen Kollegen und den Menschen, dem Grund, warum er dort war. Kaum jemand spricht ein Wort ihrer Sprache im Campus. Kein „Hallo“, kein „Wie geht’s?“. Man ist irritiert, als er danach fragt. Irritiert sind die Kollegen im Campus: „Wozu willst Du das wissen.“, irritiert auch die Kollegen vor Ort: „Nie hat uns jemand nach unserer Sprache gefragt.“ Schnell wird klar, man legt hier die Maße der westlichen Welt an. Alles muss genau so sein, wie dort, genauso aussehen und genauso teuer sein. Jemand fragt, warum sie dort im Ort eine Polizeistation für Millionen brauchen. Ihre Bedürfnisse sind geringer. Das Geld solle nicht in Häuser, sondern in die Menschen, in Schulen gesteckt werden. Man hört nicht zu. Man hört ihn nicht. Man ist nicht da. Sie schütteln die Köpfe über die Weißen, die scheinbar alles besser wissen. Und sie erzählen W. viel davon. Von Bevormundungen, von Ignoranz, von fehlendem Kontakt. „Die Weißen haben nie Fragen, sie beantworten sie auch nicht.“ Irgendwann habe man sich angewöhnt, sie reden zu lassen. Parallele Welten. „Du bist der erste, der uns gefragt hat, was wir denken.“ wird W. irgendwann gesagt. „Aber wieso, Ihr müsst doch sagen, was Ihr wollt. Ich kann Euch nur sagen, was ich tun würde. Die Spezialisten für Euer Land seid Ihr.“ W. war verwirrt. Am Abend ein Brief an mich. Er verstand es nicht.

Er wollte sich nicht daran gewöhnen. Auch, als es wieder einen Anschlag gab, er besteht darauf, weiter raus zu den Menschen zu fahren, mit ihnen zu sprechen, selbst von ihnen zu lernen. Warum war er da? Immer mehr merkte er, dass die Weißen auf die Mission kamen, weil sie zuhause nicht zurechtkamen, weil sie Karriere wollten und mehr Geld. Kaum einer blieb länger als ein Jahr. Er war glücklich, dass er bleiben durfte. Mit dem jährlichen Wechsel kam nun eine neue Leitung auf die Mission. Seit ein paar Wochen ist er da. Seit ein paar Wochen hat er den Campus nicht verlassen. Er stieg aus dem Flugzeug, war nie zuvor in Afrika. Ließ sich in die Mission fahren. Und ist dort seit dem.

Und jetzt am Samstag sollten die Termine für die kommende Woche festgelegt werden. Kommen Menschen von draußen, ist es nicht weniger Aufwand. Es braucht Zeit. „Ich Dienstag zu viele Termine im Campus. Können wir das Treffen am Mittwoch machen?“ Man starrt ihn an „Mittwoch ist Eid al-Fitr, Ende des Ramadan. Wir können da kein Treffen machen.“ Es war das erste Mal, dass die einheimischen Kollegen wiedersprachen. Das erste Mal, dass sie nicht nur reden ließen. Der Chief, er verstand es nicht. Wollte er doch schließlich am Mittwoch erklären, warum die Menschen dort Stammeskriege hatten. Etwas, was man vor Ort natürlich nicht wusste. Es muss erst ein Weißer eingeflogen werden, der länger als einen Monat vor Ort war und daher alle Antworten hatte. Und keine Fragen. Wie immer.

Die Sache schien erledigt. Eid al-Fitr würde stattfinden, natürlich, wie es seit hunderten von Jahren stattfand. An diesem Morgen, heute, kamen zwei Termine rein. Für Mittwoch. Eid al-Fitr. Zuvor aber sollten die Einheimischen angeben, zu welchen Clans sie gehören, zu welchen ihre Mitarbeiter. Sie weigerten sich. Sie schreiben es nie auf. Sie fragen nicht danach. Der Chief wollte nun aber erklären, warum sie aneinander gerieten. Dass eben das Wissen, um die Clanzugehörigkeit genau eines der Probleme sei. Darauf kam er nicht. Er wollte seine Antworten präsentieren. Dass es für Menschen in der Geschichte tödlich war, wenn ihr Clan oder ihre Religion irgendwo festgehalten wurde, das spielt keine Rolle. Der Chief kommt aus einem Land, das einst Kolonien besaß. Noch immer führt er sich so auf als wäre diese Zeit nicht vorbei.

Doch die Dinge sind anders. Zum Glück. Er wird seine Termine am Mittwoch allein machen müssen. Eid el-Fitr ist wichtiger als weiße Ignoranten, wichtiger als Menschen, die nur Antworten haben. Wichtiger als Menschen ohne Fragen. Und wichtiger als die alten Kolonisatoren. Es ist eine Welt ohne Empathie, ohne Augenhöhe. Ein Welt, in der gerade das an oberster Stelle stehen sollte. An der Mitarbeiter für Friedensmissionen nach ihrem Willen und der Fähigkeit, mit kultureller Diversität umgehen zu können ausgewählt werden sollten, statt nach Karriere und Papier. Es sind Millionen, die dort versenkt werden. Millionen an Gehältern, die nur denen zugutekommen, die sie bekommen. Millionen für Projekte, die keine Prioritäten haben und Millionen für Weiße, die sich an erster Stelle setzen. Können wir hier in Europa es schon nicht hinbekommen, an die Tage zu denken, die anderen wichtig sind, wenn sie nicht in unseren Kalendern stehen, warum können es nicht wenigstens die, die in den Ländern leben, wo sie in den Kalendern stehen? Warum müssen wir unsere Standards überstülpen, wenn sie nicht passen. Warum können wir nicht fragen, warum haben wir nur Antworten? Warum haben wir noch immer diese Arroganz, die schon die Siedler auf ihren Schiffen um die Welt trieben? Die westliche, weiße Arroganz.


Foto: standing still | Juna Grossmann

3 Kommentare

  1. Ah ja, das alte Problem. „Cultural awareness“ steht als Stichwort in einschlägigem Lehrmaterial der Bundeswehr wenn sie in einem „Peacekeeping“-Einsatz ist, weil es sich dabei um eine Maßnahme des Selbstschutzes handelt. Je besser ich die Welt außerhalb des Compounds verstehe, umso leichter kann ich Gefahren (und Bedürfnisse der Zivilbevölkerung) erkennen und entsprechend Vorsorge treffen. Dass sich dies noch immer nicht in der Arbeit mancher NGOs niederschlägt, ist beschämend. Wo ich beide Phänomene beobachtet habe – als Journalist, nicht als Soldat oder Helfer? Bosnien, Kosovo, Afghanistan – you name it. Es ist übrigens den Ostdeutschen nicht anders mit den Westdeutschen gegangen. Die „Wessis“ wussten wi’s lang geht, die Lebenserfahrung der „Ossis“ zählte nichts. Die einen wollten nicht zuhören, die anderen hatten irgendwann keine Lust mehr was zu sagen. Bevormundung waren sie ja von der SED gewohnt. Woher ich das weiß? Für mich als Journalist in Sachsen-Anhalt gehörte Zuhören zur allerwichtigsten Tugend. Die besten Freunde fand ich im Osten durch Zuhören (und manch konstruktiven Streit, am liebsten über den Kapitalismus). Arroganz hingegen scheint die dem Menschen näher liegende Reaktion auf Fremdes zu sein. Wie erbärmlich!

  2. Wir gehen dort hin, nicht um den Menschen unsere selbstlose Hilfe anzubieten. Wir gehen da hin um die Menschen für uns gefügig zu machen. Denn was wir wollen, das gehört ihnen. Es sind die Rohstoffe in der Erde, es sind die Weiden für die Rinder deren Fleisch wir essen wollen, weil wir einfach nicht genug bekommen können. Wir bieten ihnen Hilfe an. Wir bauen Straßen für Autos die diese Menschen nie fahren können. Wir bauen Brunnen, nicht damit die Menschen sauberes Wasser zum Trinken haben, sondern damit europäische und amerikanische Konzerne sich Wasserrechte sichern können. Das Ergebnis ist, das sie irgendwann für ihr eigenes Wasser kein Geld haben. Dann haben wir das was wir wollen. Wie ein Heuschreckenschwarm kommen wir über diesen Kontinent. Der Kolonialismus fängt erst an.
    Wir lehren sie, dass ihre Götter und ihre Schamanen fauler Zauber ist, sie werden an den Gott der Europäer glauben. Sie werden alles verlieren.

  3. Ignatz Ignatz

    Wegen solcher (eigentlich) nicht! :-(

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