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Friedrich K. ist jetzt wer

Größer kam er sich vor, heute. Größer als sonst. In den letzten Jahren hatte sich einiges getan, getan auch für ihn dachte er und suchte nach seiner Kippa und schob sie auf sein rotes Haar, bevor er den Pausenraum vor Arbeitsbeginn betrat. Er setzte sie nur hier auf, hier im Haus, wo er wusste, dass man ihm damit nie widersprechen würde. Wenn sie ihn schon nicht mochten, sollten sie ihn fürchten. So glaubte er. Sie mieden ihn. Sie mieden ihn hier im großen Haus, sie mieden ihn in der Gemeinde. Er war noch nie zur Tora aufgerufen worden oder von anderen zum Schabbat eingeladen worden und das, obwohl er immer darauf bedacht war, alles richtig zu machen. Jeden durch ihn ausgemachten Fehler der Anderen wusste er mit einem abschätzigen „Tsssss“ zu kommentieren.

Seit langem suchte er nach einer neuen Bleibe. Es waren ihm zu viele „Araber“ in seiner Nachbarschaft. Er spukte ins Becken, während er daran dachte und nahm sich einen Kaffee. So, wer also sind heute die Kollegen?  Israelis. Nicht religiös. Was wollten die hier? Goys. Wie man ihm so etwas zumuten konnte. Ihm! Dass er mit diesen Menschen arbeiten musste, die doch nichts wussten und ihm nicht den gebotenen Respekt entgegen brachten – denn schließlich haben ihre Urgroßeltern….er kam nicht weiter. Es waren die selben Gedanken, die er jeden Tag dachte. Sogar „Araber“ lassen sie jetzt hier arbeiten – Araber, so nannte er jeden, bei dem er vermutete Moslem zu sein. „Die Araber sind unser Unglück. Nur sie gefährden uns.“ Neulich wollte er nach dem Kiddusch das Gespräch darauf bringen. Man wandte sich ab und schüttelte den Kopf. Alle keine Ahnung. Sie werden schon sehen, was sie davon haben werden dachte er und setzte sich widerwillig hin, um der Vorbesprechung zu lauschen. Nachher würde er wieder diesen Unwissenden sagen müssen, wo die Toiletten seien. Von wegen. Er hatte sich inzwischen einen Spaß daraus gemacht, sie in die Irre zu leiten. Selbstzufrieden wandte er sich dann ab und ging in die andere Richtung um dann aus einem Versteck dem verwirrten Suchen zuzusehen. Goyim.

Nur manchmal wurde er sanft und beinahe freundlich, wenn er jemanden „wie sich“ ausmachte. Männer mit Kippa, Ebenbürtige! Dann war er freundlich zuvorkommend, unterwürfig. Ein anderer Mensch. Kolleginnen, die ihn beobachteten schüttelten nur den Kopf – und mieden ihn.

Seit ein paar Jahren aber gab es einige Menschen, die ihn schätzten, die ihn verstanden und seinen Reden zuhörten! Menschen, die ebenso wie er das Unglück in den „Arabern“ sahen. Alles Unglück der Welt. Hier durfte er „die jüdische Meinung“ vertreten. Hier war er wer. Hier wusste man, wer er war und wusste auch, ihn zu gebrauchen. Die Goyim hier betrachtete er nicht abschätzig. Sie waren nicht verdorben, wie die Kollegen, verdorben durch diesen Multikultiunsinn, dieses „Liebe statt Hass“. Hier auch wandte sich niemand ab, wie in der Synagoge, wenn er von den „Arabern als unser Unglück“ sprach. Hier wurde ihm applaudiert, hier war er wer.

Heute, als er zum Dienst kam, war er größer. Gerade hatten sich einige mit „klarem Verstand“ in den Reihen der Partei zusammengetan. Auch er würde dabei sein. Einige, die ihr „Die Araber sind unser Unglück“ laut und deutlich in die Welt herausposaunten – und für die Rotblauen als Beweis dienten, dass nur diese Partei „die einzige Rettung der Juden Deutschlands“ war. Denn nur sie setzten sich für sie ein. Denn nur sie missbrauchten sie, um ihren Hass zu begründen. Wer nicht wie sie dachte, konnte kein Jude sein, war durchsetzt von „arabischen Einflüssen“ und nicht bei Verstand. Denn das Deutsche Judentum durfte es nur rein geben, rein in Gedanken, arisch rein und dem blauroten Pfad folgend.


Ob sich die Geschichte so zugetragen hat? Ich weiß es nicht. Sie könnte es. Nach Christen in der AfD und Homosexuellen in der AfD war es nur eine Frage der Zeit, bis sich Juden in der AfD zusammenfanden. Man muss es nicht verstehen. Doch es zeigt wieder eines, Juden sind keine besseren Menschen. Unter ihnen, wie unter allen Menschen gibt es jene, die andere Menschen als Gruppe hassen, sich besser und erhobener fühlen als andere. Friedrich K. ist einer von ihnen.


photo credit: Stefano Montagner – The life around me Burano via photopin (license)

3 Kommentare

  1. Ich kenne so einen Friedrich , auch wenn er anders heißt. Ich treffe ihn ab und an bei einer gemeinsamen Freundin, dann trägt er eine rosa Kippa, betont sein Judentum, das ich ihm nicht glaube, da er die einfachsten Dinge nicht weiß.

    Wer bin ich, zu urteilen, wie ein Mensch glaubt.

    Er bezeichnet sich als schwul, lebt mit einem Mann, zeigt sich anders als sein Mann nie beim CSD.

    Bei der letzten Kommunalwahl, hätte ich ihn wählen können, er stand für Blau-Weiss in meinem Wahlbezirk. Eher hätte ich mir einen Finger abgebissen.

    Ihn sehe ich als einen, der sich nach Anerkennung sehnt, die er in seiner Familie nicht bekommt, das bedeutet nicht , das ich seinen Weg willkommen heiße.

    Wundern sie sich wirklich, dass eine Partei, in der eine der Prominenten Regenbogenfamilie lebt und gegen Homos hetzt auch in anderen „Minderheitenecken“ um Verbündete buhlt und fündig wird?

  2. Eckhard Kremin Eckhard Kremin

    Habe das Gefühl, die Menschen lernen nicht dazu. Egal welcher Religion sie auch angehören, es gibt zu viele, die den Respekt vor anders denkenden verloren haben oder ihn nie hatten. In Zeiten digitaler Globalisierung bündeln sich diese Verirrten und finden zueinander. Mir macht das Angst. Bin froh, dass ich mich schon vor Jahren aus der Kirche verabschiedet habe, als damals Pfarrer Drewermann ausgeschlossen wurde und meine Protestanten ins gleiche Horn bliesen und ihn verdammten.

    Ich respektiere jeden Glauben, der sich der Menschlichkeit verschreibt, und respektiere und achte seine Vertreter. Aber im Namen des Glaubens geschehen immer noch zu viele Ungerechtigkeiten und Greueltaten, als dass ich mich einer dieser Richtungen anschliessen kann.

    Vielen Dank für Ihre Toleranz und den klaren Blick, machen Sie weiter so und bleiben Sie unserem Land erhalten, Sie machen auch mir Mut!

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