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Die Mitläufer

„In Chemnitz liefen ja nicht nur Nazis oder Rechtsradikale mit, sondern auch Menschen aus der Mitte. Was denken Sie von diesen Menschen?“ So oder so ähnlich wurde ich in der vergangenen Woche gefragt. Ich weiß nicht mehr, was ich antwortete, doch die Frage wirkte nach.

Was eigentlich ist schlimmer? Ich bleibe bei dem, was ich schon immer sagte, mir ist es lieber, ich sehe jemanden den Hass auf Juden an, er äußert sich klar und abwehrend als jene, die mit ihrem „Ich hab ja nichts gegen Juden, aber…“ das Land bevölkern. Und diese sogenannte Mitte, die mitlief? Habe ich Verständnis? Verständnis dafür, dass sie etwas zum Ausdruck bringen wollten? Nein, habe ich nicht. Denn diese Mitläufer, im wahrsten Sinne, kommen nicht erst auf die Idee, in einem freien Land zu leben und sich andere Wege zu suchen, als den, mit Nazis unwidersprochen mitzulaufen. Wie viele der Mitläufer haben gesagt, dass sie den Marsch verlassen, als die Hitlergrüße gezeigt wurden? Wie viele, als der Hass laut propagiert wird? Sichtbar waren sie nicht. Widerspruch in den Reihen der Marschierenden?

Es ist das immer gleiche Bild und die Frage: Was ist gefährlicher? Es sind die Menschen, die sich selbst nicht als rechts, als Nationalsozialisten, als irgendwas sehen und dennoch aufschließen in die rechten Reihen. Es sind die Menschen, die nichts sagen, die still sind und den Hass und die Gewalt als kleineres Übel sehen – so, wie es auch in der Politik nicht erst seit gestern als kleineres Übel gesehen wird, wenn Hass die Macht übernimmt. Die Macht übernimmt über Straßen, über Orte und Städte und vor allem über Menschen.

Es sind die Mitläufer, die alles möglich machten und machen. Die den wenigen aktiven das Podium geben, die Bestätigung, den Auftrieb, den Rückhalt. Es sind die Mitläufer, die mit ihren Schritten Zustimmung zeigen und immer noch sagen „Ich bin ja nicht rechts.“ Das mag sein. Doch Sie zeigen es nicht. Sie zeigen, dass Sie zustimmen und wundern und beklagen sich, dass Sie gleichgestellt werden? Sie haben es einzig und allein sich selbst zuzuschreiben. Mitleid können Sie nicht erwarten. Und doch haben Sie Themen, die Sie ansprechen möchten? Dann tun Sie es. Tun Sie es ohne Hass. Gehen Sie auf die Straße für mehr Kindergärten, für bessere Bedingungen in der Pflege, in der Bildung. Gehen Sie auf die Straße, wenn Sie die Ungleichbehandlung von Ost und West in den Gehältern ungerecht finden. Gehen Sie auf die Straße, reden Sie mit Ihren Abgeordneten darüber, was Sie bewegt. Dafür gibt es Bürgersprechstunden. Gehen Sie in Parteien ohne Hass, engagieren Sie sich dort oder in gemeinnützigen Vereinen. Ändern Sie selbst etwas in dem Land, in dem die Änderung eben nicht mehr nur von oben verordnet wird, sondern in dem jeder etwas selbst beitragen kann. Doch tun Sie eines nicht: seien Sie nicht der Boden, auf dem der Hass gedeiht, denn das sind Sie, mit jedem einzelnen Schritt, den Sie tun in den Reihen von Pegida, AfD und Co. Sie sind es, wie es schon immer die Mitläufer waren. Und dann, dann haben Sie das alles wieder nicht gewollt.


photo credit: de.havilland145 N75_0018 via photopin (license) 

9 Kommentare

  1. Cordula Haderlein Cordula Haderlein

    Mich macht die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen das Recht auf freie Meinungsäußerung für sich reklamieren um damit anderen Menschen die elementarsten Grundrechte abzusprechen, einfach immer wieder fassungslos. Stark, dass es Ihnen, wie Sie mit diesem Blog zeigen, nicht die Sprache verschlagen hat.

  2. Susan Susan

    Hej Juna, ich habe gerade den Bericht beim ZDF gesehen und gerade Deinen Artikel gelesen. Ich schäme mich für unsere Landsleute und habe auch Angst das eine schwache Politik den Nationalsozialismus stärkt. Ich habe mich viel mit Geschichte beschäftigt und sehe sehr starke Parallelen zur Entstehung des 3.Reichs.
    Deshalb ist es wichtig, dass es Menschen wie Dich gibt die laut darüber sprechen. Danke! Wünsche Die viel Kraft dem Bösen entgegen zu gehen und laut zu sein.
    Viele Grüße Susan
    #wirsindmehr

  3. Klaus Eckhardt Klaus Eckhardt

    Liebe Frau Grossmann!
    Schon seit vielen Monaten fühle ich mich an die Zeit Anfang der dreißiger Jahre erinnert. Das Appeasement gegenüber den Demokratieverächtern, den Menschenhassern und dumpfen Haudraufs, Schlagetots macht mich fassungslos. Auch in unserer Familie und bei Freunden ist die Idee auszuwandern nicht nur als Sarkasmus entstanden. Bleiben Sie „dran“. Ich wünschen Ihnen weiteren Mut.
    Mit herzlichen Grüßen, Klaus Eckhardt – ein alter weißer Mann.

    • Selda Kurt Selda Kurt

      Danke das Sie schreiben.

      Ich sehe mich nicht als Opfer, aber ich bin traurig über/für unsere ganze Gesselschaft, dass der Hitlergruß gezeigt wird und keiner darüber spricht, sondern Fragen der Migration die letzten Tage wieder thematisiert werden.

      Ich bin Deutsch Türkin. Ich habe kein Land. Hatte noch nie eins.

      Doch wenn wir auswandern, dann überlassen wir Ihnen das Land.
      Nein. Ich will stören.
      Undsoviele Schüler wie möglich von mir, den Mut vermitteln, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.

  4. Ralf Kohlmüller Ralf Kohlmüller

    Hallo Juna,
    auch ich habe den Frontal21-Bericht gesehen, und bin immer wieder, genau wie meine Mutter und auch mein Sohn, total schockiert, dass der Antisemitismus so wieder aufflammt! Für mich ist das alles in keiner Art und Weise nachvollziehbar! Ich verstehe überhaupt nicht, wie man Menschen jeglicher Abstammung, diskriminiert und verurteilt. Dazu sollte ich auch sagen, ich bin nicht jüdisch, aber das darf in diesem Zusammenhang eh keine Rolle spielen! Ich habe mich auch sehr ausführlich mit dem Holocaust beschäftigt, und bin deswegen natürlich erst recht zutiefst bewegt, dass ihr wieder gegen Anfeindungen zu kämpfen habt! Ich hoffe, Du lässt Dich weiter nicht unterkriegen und kämpfst! Ich bin bereit Dich dabei zu unterstützen! Antisemitismus darf es weder hier noch irgendwo geben!!!
    LG aus Nussloch (bei Heidelberg) Ralf Kohlmüller

  5. Thomas Kahlenberg Thomas Kahlenberg

    Hallo Juna !

    Mich entsetzen die Ereignisse in Chemnitz und überall in Deutschland und die unglaubliche Gleichgültigkeit, mit der in der Politik damit umgegangen wird.
    Aus diesem Grund keimte ein kleines bisschen Hoffnung, als die Abiturzeugnisse in Brandenburg mit dem Satz der Ärzte begleitet wurden :

    „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist
    Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt“

    Ich bin Deutscher, geboren in der DDR, habe ein Land verloren, ein neues gefunden, wurde aufgenommen und habe Chancen erhalten. Diese Chancen haben wir alle und bedeutet Fremdenhass, anderen diese Chancen zu nehmen, um die eigenen zu steigern ? Nein.

    Fremdenhass und Antisemitismus scheint ein Erbe zu sein, welches immer noch in alten Betonköpfen fortbesteht und welches noch immer an die Folgegenerationen weitergegeben wird.

    Ich schäme mich für mein Land und seine Menschen, wenn ich lesen und auch hören muss, dass Menschen in Deutschland nur für das Tragen der Kippa angegriffen und verletzt werden. Was bedeutet denn das Tragen der Kippa für die Angreifer ?
    Handelt es sich bei dem Träger um eine Bedrohung unserer Kultur oder unserer Werte ? Nein.

    Es handelt sich um einen Menschen, einen Nachbarn, einen Deutschen, der mit uns lebt, der mit uns bebt, der mit uns arbeitet, mit uns strebt, der mit uns leidet in der Not, wenn uns die Welt mit Terror droht. Um einen Menschen, der bereit ist, für Deutschland in der Welt zu reden, ein Bote unserer Werte, der hilft das uns die Welt, da draußen auch versteht.

    Woran dieser Mensch glaubt, wie die Welt entstanden ist und wie religiös die Fugen dieser Welt zusammengehalten werden ist doch völlig egal.

    Er ist ein Mensch… ein Mitmensch …. ein Freund ….

    Wollen wir mit Freunden wirklich so umgehen lieben MITmenschen ?

  6. Liebe Frau Grossmann, als ich gerade den Bericht in Frontal 21 über Antisemitismus in Deutschland sah war ich einfach nur entsetzt. Getroffen hat mich, dass sie über diesen Antisemitismus an ihrer Identität als Deutsche zweifeln. Geben sie nicht dieser kleinen Minderheit die Genugtuung und wenden sich von UNSEREM Deutschland ab. Sie sind Deutsche jüdischen Glaubens, so wie es Deutsche christlichen Glaubens oder Deutsche muslimischen Glaubens gibt. Wir brauchen Menschen wie sie in unserem Land die sich für ihre Belange in ihrer Art einsetzen. Davon lebt eine Demokratie und eine demokratische Gesellschaft.
    Ich wünsche ihnen alles Gute und viel Kraft für ihre Arbeit!
    Mit herzlichen Grüßen aus Wiehl
    Rainer Orfgen

  7. Es gibt keinen Grund das Problem des Mitläufers zu unterschätzen oder zu verharmlosen! Immer noch aktuell ist der Aufsatz von Peter Brückner:Zur Psychologie des Mitläufers aus dem Jahr 1969, veröffentlichte u.a. in Brückner – Ungehorsam als Tugend, Wagenbach 2018,

  8. Christina Delbrück Christina Delbrück

    Einen schönen Sonntagmorgen junge Frau…!

    Ich habe eben Ihre Unterhaltung zufällig auf Sat1 gesehen…
    und wollte Ihnen Mut zusprechen…
    kämpfen Sie weiterhin für Ihr Recht auf „Freiheit“…
    und bleiben Sie hier in Deutschland…
    in Ihrer Heimat…!!!
    Seien Sie stolz auf das was Sie sind…
    ein „Unikat“…
    ein (Lebe)Wesen mit Herz & Verstand…
    und mit Mut & Hoffnung…!!!

    (auch wenn ich nicht jüdischer Abstammung bin…
    so trage ich trotzallem…
    einen goldenen „Judenstern“ (Hexagramma^^)…
    ummeinen Hals…
    und ich bin stolz auf meinen Talisman…
    auch wenn ich böse Blicke auf mich ziehe)

    Zu dem obigen Thema des „Mitläufers“…
    werde ich mich einfach mal enthalten…
    da ich damals (vor ca 20J.)…
    ebenfalls ein naiver „Mitläufer“ war…
    aber man wird ja irgendwann auch mal erwachsen…
    und bildet sich seine „eigene Meinung“…!!!
    Bleibt nur zu hoffen…
    das die heutige Generation…
    von naiven Mitläufern…
    auch irgendwann erwachsen werden…!!!

    Liebe Grüße
    aus Hamburg
    Christina Delbrück
    ;-)

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