Heute vor einer Woche saß ich im Zug nach Bonn. Es war histocamp-Zeit. Das erste Mal. Was irgendwann auf einem anderen Barcamp als Idee entstand war nun dank des Engagements Vieler zu einem Termin geworden: eine Unkonferenz für Historiker und alle, die irgendwie mit Geschichte arbeiten.
Die Vorfreude war groß, die Neugier auch. Endlich also eine Konferenz bei der nicht die ewig gleichen Namen die ewig gleichen Vorträge hielten, umschwärmt von ehrfürchtig Ergebenen, unhinterfragt, undiskutiert. Es sollte neu sein, anders und auch Themen bearbeiten, die offensichtlich bei Historikern noch hinten an stehen: dieses Neuland.
Hier in Bonn war zwar bei weitem nicht jeder derart digital unterwegs, wie man bei einem Barcamp denken würde, aber um so schöner war es bekannte Gesichter wiederzusehen, neue kennenzulernen und auch die Gesichter hinter den Twitteravatars zu enttarnen. Aber wer kommt eigentlich zu so einer Veranstaltung? Eine kleine analoge Befragung kam auf dieses Ergebnis:
Ui, was ein bunter Strauß #histocamp! pic.twitter.com/tucFB2sEOd— Karoline Döring (@karolinedoering) 28. November 2015
Es war also so ziemlich alles dabei, was man sich vorstellen kann und ebenso bunt waren auch die Themen, die angeboten wurden. Ein Himmel für Menschen für ich, die in einem Bereich der Geschichte arbeiten, deren Herz aber an einem ganz anderen hängt.
Und da haben wir den ersten #histocamp-Tag verplant ;-) pic.twitter.com/jLQSFK8VBb— Norman Lippert (@normanlippert) 27. November 2015
Tag zwei war, dank mehr verfügbarer Zeit schon etwas voller.
Spannende Sessions! #histocamp pic.twitter.com/HTeQEycA4M— Sabrina (@trommejenta) 28. November 2015
Klarer Fall, die Entscheidung fiel schwer. Aber es musste Zeit sein, den Kollegen zum Neuaufbau einer Gedenkststätte in Gardelegen zuzuhören, ebenso musste etwas Spaß sein, den Gesa ganz großartig anbot:
Dass ich das noch erleben darf!! Handschriften lesen im großen Saal. #histocamp— Gesa (@textfuss) November 27, 2015
Tag zwei, etwas verschlafen, mit viel Kaffee abgefüllt, war, so muss ich gestehen, mein Favorit, das heißt die Session: Wie kommt die Vormoderne aus der Relevanzfalle? Hier war es mehr oder weniger eine Diskussion unter allen Teilnehmenden, über die Bedeutung der vormodernen Geschichtswissenschaften, die, so erlebt man täglich, immer irgendwie einem Rechtfertigungsdruck unterliegen.
— Mela Eckenfels (@Felicea) 28. November 2015
So werden NS-Historiker eher selten gefragt, warum sie machen, was sie machen, alles ist noch irgendwie relevant. Anders geht es jenen, die sich mit Mittelalter, mit Kirchenbau (auch dazu gab es eine Session) oder gar mit der Antike beschäftigen. Natürlich kann man sich alles schön reden, kann sich in seiner winzigen Blase bewegen oder man kann realistisch sein und sagen:
„Wir sind nicht notwendig. Deswegen sind wir aber nicht überflüssig. Notwendig ist nur Essen und Schlafen.“ #relevanzfalle #histocamp— Mela Eckenfels (@Felicea) 28. November 2015
Wir sind nicht notwendig, aber es ist gut, dass es uns gibt. #relevanzfalle #histocamp— Juna (@IrgendwieJuna) 28. November 2015
Wir sollten es machen wie Künstler, nicht mehr begründen WARUM wir unsere Themen bearbeiten. #relevanzfalle #histocamp— Juna (@IrgendwieJuna) 28. November 2015
Mein Fazit: Resonanz schafft Relevanz #relevanzfalle— Johannes Waldschuetz (@JW_Fr) 28. November 2015
Diese Session hätte gern länger dauern können, war es doch eine spannende Diskussion über alle Zeiten hinweg. Was ist relevant für heute? Muss es das sein? Eines allerdings wurde nicht gesagt: Ich beschäftige mit mit diesem Thema schlicht, weil ich Freude daran habe, weil es mich interessiert und ich mehr wissen will – nicht, weil man es zwangsläufig gesellschaftlich braucht. Ich brauche es, für mich.
Ich lernte außerdem, dass es in anderen Ländern anders laufen kann. So ist es in Island keine Frage, ob man sich mit der Vormoderne beschäftigt, sie ist noch immer Teil des Alltags, der Kultur und in Frankreich macht man es laut Johannes Waldschütz z.B. so:
Geht raus, schreibt Kinderbücher, bringt Eure Themen raus. #histocamp #relevanzfalle— Juna (@IrgendwieJuna) 28. November 2015
Und ich erinnere mich. Wie war das eigentlich bei mir, wie wurde mein Interesse geweckt und was war eher da, meine Kinderbücher oder das Interesse? Wie dem auch sei, ich wuchs in Büchern auf, in Geschichten vom alten Pompeji in den hängenden Gärten der Semiramis, in verschachtelten Gängen der Pyramiden, in der Götterwelt der Griechen und Römer, bei den Minnesängern, Drachensagen, bei Thor und Loki. Ich hatte all das. Ich konnte meinen Wissensdurst stillen auf hohem Niveau. Die Kinderbücher waren bald zuwenig, die Bibliothek leergelesen, die anderen Bücher kamen. Die Themen waren da. Man musste nicht suchen. Sie waren präsent und Teil meines Lebens. Eine Basis die Leidenschaft hervorbrachte, Leidenschaft, die bis heute blieb und weiter gelebt wird.
Zurück zum Histocamp. Die anderthalb Tage gingen zu schnell vorbei. Ein Resümee dieser Premiere: gerne drei Tage, gerne mehr Angebote, gerne mehr Themen. Und was bleibt sonst? Ein Hashtag auf Twitter, der nicht nur während der Tage in Bonn aktiv ist, Freundschaften, Kontakte, neues Wissen und vor allem die Sehnsucht nach Menschen, denen es um ein Miteinander geht, um Augenhöhe, Kooperation. Die anderen etwas beibringen können und gern von anderen lernen, ohne überheblich zu werden und die vor allem und das ist das wichtigste: neugierig sind.
Ein ganz wunderbarer Service der Organisatoren ist übrigens, dass es Protokolle gibt, in denen man die Sessions, die nicht besucht werden konnten, nachlesen kann. Außerdem die Aufzeichnung einiger Sessions auf YouTube. Danke für alles! Mela Eckenfels hat sich die Mühe eines Storifys für Tag 1 und Tag 2 gemacht, wer also die Twitteraktivitäten nachlesen will, ist dort gut aufgehoben und liest auch die Freude am Thema mit, nach der (nicht nur) ich mich jetzt so sehne.
Wer auch denkt, dass Geschichtswissenschaften raus sollen aus ihrem Elfenbeinturm, raus ins Leben und die Realität, dem sei ein Verein gegeben. Der „Open History e.V.“ ist Organisator des Barcamps und das Beste, man kann Mitglied werden und mit ihm neue Wege gehen. Neue Wege auf Augenhöhe und miteinander, statt abgekapselt und gegeneinander.
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