„Das jüdische Konstanz“ – Eigentlich kein Buch, auf das ich, so weit weg gestoßen wäre. Und vielleicht auch keines, das hoch oben auf meiner Leseliste gestanden hätte, da Konstanz eben weit weg ist von Berlin – nicht nur räumlich. Heute nun bin ich dankbar, dass ich darauf gestoßen wurde und kann sagen: Es wäre schön, wenn es noch mehr dieser Bücher gäbe.
Inhalt und Gedanken dazu
Das Buch beschreibt das jüdische Konstanz von seinen (späten) Anfängen um 1840 bis heute. Es ist der Begleitband zu einer
Ausstellung, die noch bis zum 30. Dezember in Konstanz im
Rosgartenmuseum zu sehen ist. Ich bin mir unschlüssig, ob man das Buch Katalog nennen sollte, denn das ist es nicht. Es kann als eigenständiges Werk gesehen und gelesen werden.
Gestalterisch erinnert es mich sehr an den Begleitband zur Dauerausstellung des jüdischen Museums Berlin – frappierend sogar. Allerdings ist es deutlich handlicher.
Tobias Engelsing gelingt mit diesem Buch etwas, an dem sich so mancher ein Beispiel nehmen sollten: er romantisiert die (jüdische) Vergangenheit der Stadt nicht. Und gerade damit fesselte er mich. Er beschreibt offen, wie die ersten
Juden nach Konstanz kamen, welche Hürden zu überwinden waren, wer es schaffte, wer scheiterte. Es ist keine
Geschichte des gänzlich glücklichen Zusammenlebens von Juden und Nichtjuden in der
Region, bis dann irgendwann Nazis nach Konstanz kamen und dem
Glück ein Ende bereiteten. Wir wissen alle, dass es nie so war. Dass das Leben auch immer ein Aneinanderreiben war, ein Bereichern aber auch ein Einschränken, zurückstecken und weiterkommen.
Und gleichzeitig gelingt es Engelsing die Geschichte der Stadt zu beschreiben, die Straßen, die Plätze, dass man das Gefühl hat, dort zu sein, ohne jemals da gewesen zu sein. Man erlebt den Aufschwung, begleitet die Stadt durch Friedenszeiten und durch Kriege und damit alle Bewohner.
Unterbrochen werden die einzelnen Kapitel durch Biographien Konstanzer Bürger, die eben das auch waren: Das jüdische Konstanz. Sie beschreiben ihr Leben, Auswanderungen, Deportationen und manchmal auch „Heimkehr“.Engelsing beschreibt auch die verzweifelten Versuche, in der Schweiz Rettung zu finden. Auch hier wird weder beschönigt, noch verteufelt, eine Darstellung der Tatsachen und gerade in den jetzigen Zeiten ein Wiedererkennen von Formulierungen. Er beschreibt die Deportationen der Konstanzer nach Gurs und die Versuche, Visa irgendwohin zu bekommen.
Und auch das jüdische Konstanz heute wird gezeigt, wie ging es weiter oder wie begann es wieder. Wann gab es die erste Gedenkstätte, wann wurde sie wieder vergessen? Wie sieht das jüdische Konstanz heute aus? Fast schon, so denke ich, während ich das hier schreibe, scheint es unmöglich, all das in das Buch gefasst zu haben. Doch es gelingt – und das ausgezeichnet.
Kritik
Bei aller Begeisterung habe ich doch auch noch die eine oder andere Kritik anzubringen, die sich allerdings ausdrücklich nicht auf inhaltliche Fragen bezieht. Mich hat zunächst die doch wieder einigermaßen typische Farbgestaltung abgeschreckt. Sehr wahrscheinlich bin ich da zu empfindsam. Aber muss es immer Gelb sein? Dieses Gelb der Markierung, der Ausgrenzung? Mir ist klar, warum es gewählt wurde, aber vielleicht sollte man einmal andere Farbwege gehen?
Schön finde ich die gelegentlich eingestreuten Zitate, Unterlagen und Fotos, die z.T. noch nicht zugänglich waren, wie z.B. ein Blick durch den ausgebrannten Dachstuhl der Konstanzer Synagoge nach dem Pogrom. Allerdings habe ich ein (großes) Problem damit, Objekte aus dem Museum zur Illustration zu nutzen, die antisemitische Stereotype bedienen, und diese nicht als solche zu kennzeichnen. Das sollte bei der Neuauflage berücksichtigt werden. Weiterhin wird eine Auswahl an Büchern als Lehrbücher deklariert, die allerdings Gebetbücher sind. Um das zu erkennen bedarf es in diesem Fall keiner Hebräischkenntnisse, es steht auf Deutsch auf den Büchern.
Allerdings, das möchte ich nochmal betonen, sind das nur Randerscheinungen, die die inhaltliche Qualität nicht beeinflussen.
Fazit
Eindeutig sehr empfehlenswert – nicht nur für Konstanzer! Ich würde mich freuen, wenn sich mehr Städte an der Arbeit Engelsings ein Beispiel nehmen würden. Ohne Pathos, ohne Beschönigung und ohne Verteuflung.
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