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Ein Besuch im Depot des Vorderasiatischen Museums, der doch viel mehr war.

Ein Besuch im Depot des Vorderasiatischen Museums, der doch viel mehr war.
Eigentlich, ganz eigentlich sollte das ein Text zu meinem wunderbaren Besuch im Depot des Vorderasiatischen Museums werden. Doch es wird und muss mehr gesagt werden. Nicht nur über das, was Markus Hilgert uns über sein Haus und die Aufgaben erzählte, sondern auch über die Dinge, derer sich heute Museen verpflichten sollten.

Es ist kein Geheimnis, dass die „Straßen von Babylon“, wie ich sie immer nenne, mir mehr sind als schlichte Artefakte in einem Museum, das Haus mir mehr bedeutet als dem regulären Museumsbesucher, dass es auch zu meiner Geschichte gehört. Schon mehrfach schrieb ich davon, so hier und hier… 
Um so mehr freute ich mich, dass ich die Chance bekam, jetzt auch einmal die andere Seite sehen zu dürfen: die Schatzkammern des Museum und das neue Gebäude, in dem all das nun aufbewahrt wird. 
Ein Besuch im Depot des Vorderasiatischen Museums, der doch viel mehr war.
Aufgaben der Museen – und das, was man „draußen“ oft nicht mitbekommt, aber jeder Museumsmensch herunter beten kann: 

 Sammeln, Bewahren und Forschen

Wie es damit heute aussieht später. Zunächst ein Blick über die Grenzen unserer heilen Welt. Seit nun mehr Jahren müssen wir mit ansehen, wie Menschen unser Erbe aus wahnwitzigem Grund zerstören. Seien es Buddhastatuen, seien es alte römische Städte, Menschenabbildungen Jahrtausende alt. Wir müssen zusehen, wie Archäologen nicht mehr graben und forschen können, weil ihnen der Zugang zu den wichtigsten Stätten verwehrt wird, wir unser alle Menschen Erbe dem Erdboden gleich gemacht wird und wie selbst die Bewahrer für ihr Bewahren getötet werden. Was ist das für eine Welt, in dem Steine als Gefahr gesehen werden und Menschen, die sie verstehen und interpretieren können für ihr Wissen getötet werden, in der Wissen überhaupt getötet wird? 
Mir ist bewusst, dass nur wenige bei den Namen Palmyra, Nimrud, Babylon, Baalbek oder Uruk solch leuchtende Augen und Energie empfinden wie ich. Ich weiß, dass ich belächelt werde, wenn ich bei über 40°C im Schatten durch Jarash renne, und mich kaum einbekommen kann, vor Freude, das zu sehen, was es dort noch zu sehen gibt. Am Originalort, nicht rekonstruiert in einem Museum. Die Zeiten sollten vorbei sein.
Es gehört uns allen, der Menschheit, wir sind verpflichtet unser Erbe und unsere Geschichte zu bewahren, sie zu schützen und ihre Schönheit weiter zu geben und aus ihr lernen.

Doch wie wird das im Museum Berlin gesehen? Diese Führung war nicht nur ein Zeigen ob Depotschränken, wir erfuhren viel mehr. So z.B. dass die Sammlung des 1899 gegründeten Vorderasiatischen Museums 1939 abgeschlossen wurde, dass in der DDR nichts dazu gekauft wurde (anders in West-Berlin) und so der Originalbestand von ’39 gegeben ist. Der Umzug der Sammlung von der Museumsinsel brachte auch eine Überraschung: endlich konnte eine gründliche Inventarisierung (per Hand) durchgeführt werden, man ging von 280.000 Objekten aus, es waren 500.000. Hier im derzeit modernsten Depot wird noch per Hand inventarisiert, beeindruckend große Bände stehen in den Regalen. Im selben Raum das Equipment für die Digitalisierung und diese nicht nur eindimensional. Auch hier wird geforscht, welche Methode am besten geeignet ist, die Objekte so zu scannen, dass man sie 3D-drucken könnte und so die Originale für die Arbeit schonen könnte.

Ein Besuch im Depot des Vorderasiatischen Museums, der doch viel mehr war.

Und sollten Museen nicht, angesichts all der mutwilligen Zerstörung, alles aufkaufen, was zu kaufen ist? 

Nein! So die klare Antwort von Markus Hilgert. Wir sollen Botschafter für die Kulturen im Westen sein und vor allem für das „Capacity Building“ in den Ländern unterstützend wirken. So kommen in das Vorderasiatische Museum regelmäßig Mitarbeiter aus Syrien, Irak und anderen Ländern, um zu lernen, sich fortzubilden und ihr Wissen IM Land weiter zu geben. Denn wem nützen ein zwei Koryphäen, wenn das Wissen nur in ihnen ist. Gleichzeitig gilt es auch, nach Jahren der Indoktrination, ein Bewusstsein für das Erbe zu schaffen, für die Schönheit und Wichtigkeit und so vielleicht irgendwann eine Grundlage für ein neues Einkommen: Tourismus bilden zu können. 


Und gibt es Restitutionsansprüche in Sachen Ischtator?

So ziemlich jeder kennt den Streit um Nophretete. Soll sie wieder nach Ägypten oder nicht? Hilgert berichtet, dass sie im Vorderasiatischen Museum diese Probleme nicht hätten, da die Objekte durch Fundteilungsvereinbarungen gesichtert in Berlin sind. Das heißt, 50% der Funde sind in Berlin, die anderen im Ursprungsland. Möchte jemand also über einen Gesamtfund schreiben, so muss er in Berlin und im Fundland selbst forschen. Und selbstverständlich bleibt die Frage nach dem Ischtator nicht aus. Hilgert zeigt auf eine große Photographie, die in der Restaurierungswerkstatt hängt: „Bitte, das ist das Ischtator.“

Ein Besuch im Depot des Vorderasiatischen Museums, der doch viel mehr war.

Zeigt man die „Rückseite“ des Tores, so erkennt man bald, dass hier maximal 20% Original ist, zusammengesetzt aus diesen winzigen Teilen, all das strahlende Blau wurde in Velten in Brandenburg produziert. Grob gesagt, sind lediglich die Tiere original. In der Restaurierungswerkstatt lag etwas, das mein Herz höher schlagen ließ: eben solch kleine Fragmente aus Babylon.

Ein Besuch im Depot des Vorderasiatischen Museums, der doch viel mehr war.

Und wie sieht es eigentlich mit dem Handel aus? 

Auch hier wird geforscht. Dank eines neuen Kulturgutschutzgesetzes, muss durchweg die Provinienz von Objekten nachgewiesen werden, ebenso die Einfuhrpapiere. Seit Inkrafttreten ist zu beobachten, dass z.B. aus Syrien und Irak seit 6 Monaten nichts mehr angeboten wird. Auch sonst auf den gängigen Messen nichts. Der illegale Handel blüht vermutlich, auch verwenden jene, die durch ihre Zerstörung bekannt wurden, den Handel nun, um sich zu finanzieren. Auftragsgrabungen sind illegal, scheinen aber leider gängige Praxis auf dem illegalen Markt zu sein. Unser Wissen verschwindet dann für immer in den Kammern privater Sammler, unzugänglich für alle.

Und für uns Netzmenschen?

Ich bin ein Verfechter des in jeder Hinsicht barrierefreien Zugangs zu Wissen. Das heißt für mich auch, dass Archiv- und Depotbestände für jeden weltweit zugänglich gemacht werden sollten. Die Staatlichen Museen zu Berlin haben ein paar Sachen online gestellt, natürlich kann man nicht verlangen, dass jede Scherbe verzeichnet werden kann. Einen kleinen Blick in das Vorderasiatische Museum gibt es hier mit 172 Objekten. Es sollen mehr werden und wieder erwähnte Hilgert sein Anliegen des 3D-Drucks. So könnte man sich selbst die Objekte ausdrucken und mit ihnen arbeiten, der über die Technik (und Stromversorgung) verfügt, ohne zunächst lange teure Reisen auf sich nehmen zu müssen, die sich nicht jeder leisten kann. Doch auch hier gilt: die Voraussetzungen in den Ländern müssen geschaffen werden – gemeinsam.

Und der Chef selbst? 

In der Führung sahen und hörten wir nicht nur all das und noch viel mehr, wir erlebten Begeisterung für ein Thema und die Aufgaben des Hauses. Neue Wege und Chancen. Das mag leicht sein, ist man noch relativ jung im Amt, so könnte man sagen. Wer aber Hilgert beobachtet, wie er Keilschriften vorließt und darüber erzählt, glaubt nicht, dass er sich durch den täglichen Trott in Verwaltung und Ämtern bremsen lassen wird. Wir werden sicher noch einiges hören aus diesem Haus. Und der eine oder andere von uns wird sich zwar nicht gleich zum empfohlenen Sprachkurs anmelden, aber mit Sicherheit einen Blick in ein Buch zur Keilschrift werfen. Begeisterung steckt eben an.

Ein Besuch im Depot des Vorderasiatischen Museums, der doch viel mehr war.

So ging dann also diese viel zu kurze Stunde zu Ende, mit vielen Gedanken, Schweben und Freude. Ich möchte mich nochmal herzlich für die Gelegenheit des Besuchs bei Livekritik und dem Team der Langen Nacht der Museen bedanken und natürlich an Markus Hilgert und die Mitarbeiter des Vorderasiatischen Museums, die uns hinter die Kulissen haben schauen lassen.

Persönlicher Blick

Im Oktober wird es an meiner Uni eine Geschichtswoche geben, auf die ich mich wie immer freue. Unter „…extrem und radikal!“ geht es in diesem Jahr (leider) auch um Zerstörungen von Kulturgut in Nimrud und Wege in die Radikalisierung. Ich fürchte, wir werden viel zu diskutieren haben.

Als Museumsfrau möchte an dieser Stelle betonen, dass wir Museen uns nicht auf unsere Sammlungen zurückziehen dürfen. Wir sind zwar die „Bewahrer“, doch nicht nur das. Wir sind verpflichtet, uns auch zu äußern zu den Dingen, die vorgehen. Das betrifft nicht nur die Häuser, die der Neuesten Geschichte gewidmet sind. Wir haben eine Verpflichtung STOP! zu sagen, wenn es gesagt werden muss. Wir sind verpflichtet auch über unsere eigene Geschichte zu sprechen, unsere Bestände auf Raubgut zu untersuchen und auch schmerzhafte Rückgaben zu wagen. Wir sind verpflichtet, uns auch politisch zu äußern und uns nicht in die Studierkemenate zurück zu ziehen.

Ich weiß, dass ich damit meist allein stehe, dass mancher Leiter keine Konflikte will. Doch wer, wenn nicht wir können am Besten daran erinnerten, was Zerstörung bedeutet, was verloren gänge, wenn wir nicht einschreiten würden, was sich in der Geschichte zu wiederholen droht? Warum der Mut, den es gar nicht so sehr dafür braucht, so oft fehlt ist mir unerklärlich.

Wir haben die Schätze nicht nur in den Depots, wir haben auch die Geschichten und unsere Aufgabe ist es, auch sie zu sammeln, zu bewahren und zu erforschen. Unsere Aufgabe ist aber auch, sie heraus zu tragen und mit ihnen zu aktuellem Geschehen Stellung zu beziehen, es muss nicht immer eine neue Ausstellung sein. Manchmal reicht ein deutlich hörbares Statement. Das allerdings kommt viel zu selten.

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