Die Sprache ist eine Waffe, haltet sie scharf
Kurt Tucholsky, 1929
In den letzten Monaten und Jahren sehen aufmerksame Menschen einen Wandel in der Sprache, der schleichend die Änderung in den Geistern den Weg bereitet. Es werden Dinge gesagt, die als unsagbar galten, und doch sind die Stimmen, die dem Einhalt gebieten wollen, wenig zu hören. Zu gering ist die Aufmerksamkeit für Sprache, zu gering die Sensibilität und das Interesse, ihr gegenüber.
Dass das im Judentum anders ist, erfährt man spätestens, wenn man sich den Schriftauslegungen widmet. Die Sorgfältigkeit in der Wortwahl ist essentiell – und doch heute in unseren Muttersprachen nicht immer einfach. Zum Glück gibt es Menschen, die auf problematische sprachliche Formulierungen hinweisen und zum Glück gibt es jene, die alles, was doch bekannt sein sollte wiederholen und kurzweilig prägnant erklären. So wie Ronen Steinke in seiner Streitschrift „Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt“, erschienen beim Duden Verlag.
Es ist ein kleines Buch, ein Heft, ein langer Brief, in dem sich Ronen mit den, ich möchte schon sagen, klassischsten aller verletzenden, herabsetzenden und falschen Wortnutzungen gegenüber Jüdinnen und Juden auseinandersetzt. Dabei meldet er keinen Anspruch an, alles zu wissen und zu bestimmen. Nicht umsonst ist es eine Streitschrift.
Erst vor wenigen Tagen fand man auf Twitter eine Diskussion, in der auf twitterübliche Art „diskutiert“ wurde, ob man Jude sagen dürfe oder nicht.
Ich musste etwas lächeln. Passte es doch perfekt zum Buch. Ganz besonders, wenn man sich die Konversation dahinter ansieht. Nicht nur ich bin irritiert, wenn nichtjüdische Menschen Juden erklären wollen, wie sie sich selbst zu bezeichnen haben bzw. welche Fremdbezeichnungen sie zu akzeptieren und zu dulden haben.
Werfen wir also einen kleinen Blick auf die Kapitel des Buches, bei denen schon die Titel viel versprechen:
- Jude, Jude, Jude! Einleitung
- Schmusen wie meschugge. Gutes Jiddisch
- Mauschelei in der Mischpoke. Ungutes Jiddisch
- Judenmädchen. Der miese Sound bestimmter Wortkombinationen
- Sabbat, ausgesprochen wie „er sabbert“. Eindeutschungen
- Herkunft oder Glaube? Identitäten
- Semitisch, mosaisch, israelitisch. Synonyme zum Davonlaufen
Es geht, das verraten schon die Titel nicht nur um Sprache, es geht auch oder vor allem um deren Nutzung zur Ausgrenzung und Herabsetzung – seit Generationen. Viel mag einem nicht bewusst sein. Viel gar nicht so gemeint sein. Doch genau hier liegt das Problem. Selbst wenn: Hören Sie darauf, wenn Ihnen jemand sagt: Ich möchte nicht so bezeichnet werden. Ich empfinde das als verletzend oder gar lächerlich. Ganz vorneweg natürlich diese seltsame Scheu, nicht das Wort Jude oder Jüdin verwenden zu wollen. Stattdessen lieber merkwürdige Umschreibungen zu wählen, die eines gemeinsam haben: sie können nicht umfassen, was das einfache, so mühsam vermiedene Wörtchen „Jude“ vermag.
Nicht in allem stimme ich überall. Ich z.B. spreche oft von jüdischen Menschen. Das allerdings, um einen neutralen Begriff zu nutzen und nicht immer von Jüdinnen und Juden schreiben zu müssen.
Dennoch habe ich auf diesen 55 Seiten noch dazu gelernt und bin sehr dankbar dafür. So wird auch das ewige „ich kann ja kein Antisemit sein, weil ich selbst Semit bin“ thematisiert. Danke Ronen!
Sehr dankbar bin ich auch für das Kapitel zu den Eindeutschungen, denen ich auch, der Einfachheit halber gelegentlich folgte. Aus dem #Hanukkakitsch wird ab diesem Jahr konsequent #Chanukkakitsch. Wichtig finde ich das Kapitel besonders für Menschen im kirchlichen Umfeld und die Ausbildung im kirchlichen Bereich.
Kurz, prägnant und auch unterhaltsam ist dieses Buch, dass in keinem Bücherschrank fehlen sollte. Es ist eine Waffe, eine Waffe für die Argumentation mit Menschen, die die Bedeutung der Sprache, der gewählten Wörter unterschätzen. Es ist kurz genug, um es schnell zu lesen und leicht genug, es dabei zu haben.
Ronen Steinke
Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt.
Duden Verlag
55 Seiten
ISBN: 978-3-411-74375-9
Disclaimer: Ich habe für diese Buchbetrachtung um ein Rezensionsexemplar gebeten. Sonstige Vergünstigungen habe ich nicht erhalten.
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