Mit den Augen der Täter

Ein Platz mit ein paar Bäumen und hellem Sandboden. Auf dem Platz stehen große Portraits von alten Menschen.

Irgendwann irgendwo glauben Menschen, dass Fotos die Realität abbilden. Sie glauben es heute vielleicht weniger als früher, heute, da Bildbearbeitungen für alle zugänglich sind. Heute, da wir Personen aus Bilder entfernen können, Bilder neu zusammenstellen, verändern und für die Instagramwelt zurechtmachen können. Doch nur heute? Was sagen Bilder und was sagen wir mit ihnen?

Je länger ich in Museen arbeite und sie vor allem auch besuche, frage ich mich das. Bildbearbeitung ist keine neue Erfindung. Das sehr bekannte Bild des Sammellagers Drancy kursierte noch einige Jahre ohne den französischen Polizisten im Bild. Es passte nicht in den Mythos der Nachkriegsjahre. Es ist dieses eine kleine Beispiel von Bildveränderung und Geschichtsänderung, das mir gerade einfällt. Es gibt mehr, mit Sicherheit.

Doch muss es immer gleich die radikale Bildveränderung sein? Sollten wir nicht viel mehr auch sensibilisierter sein, wenn es um Bildbetrachtungen geht? Sensibilisiert werden, diese zu lesen? Und vor allem auch, die, die wir in der Position sind, auszuwählen, was gezeigt wird, sensibilisiert genug sein, daran zu denken, dass es um Menschen geht, Menschen mit Leben, mit Geschichten, die uns meist verborgen bleiben. Geschichten, die wir nicht rekonstruieren können. Aber eben Menschen, einfach Menschen mit einer Würde, die ihnen genommen wurde. Eine Würde, die wir ihnen vielleicht versuchen können zurückzugeben.

Nun mögen manche auf die Wirkung drastischer Bilder vertrauen. Ausstellungen, Bücher funktionieren nicht anders als Schlagzeilen. Man muss sie treffen. Doch mehr und mehr frage ich mich, muss es tatsächlich das Bild des Internierten sein, mit langezogenem Hals am Strick? Muss man sein Gesicht sehen, erkennen können? Ist es nötig? Irgendwann, noch im Jüdischen Museum, lernte ich von der damaligen Pressesprecherin, dass es gewisse Kodizes gäbe, nach denen Tote nicht abgebildet werden dürfen, um ihre Würde zu wahren. Soviel zur Theorie. Wie will man das Grauen der Genozide ohne diese Bilder zeigen? Es ist ein Dilemma. Ich bin mir dessen bewusst. Und dennoch. Ich vermisse zu oft in Ausstellungen und Bücher die Erläuterung der Herkunft von Bildern. So sind es in der großen Mehrzahl die Bilder der Täter. Ihr Blick auf die Menschen, die sie als minderwertig, nicht lebenswert empfanden. Es ist ihr Blick, mit dem wir heute noch auf die Menschen ohne Geschichten schauen. Es sind diese Bilder, die man erwartet, die sich verkaufen. Die Bilder der Menschen davor, sie sind zu schön. Sie rufen nicht diesen Grusel hervor, so mag mancher denken.

Ich wünschte, wir wären uns dieser Blicke und Blickwinkel bewusster. Das Wissen darum ist nicht selbstverständlich. Man muss es herstellen. Zu selten passiert das. Selten sind sich Menschen dessen bewusst. Dabei ist es fast logisch. Wer durfte Kameras besitzen? Wer fotografieren? Und wie wertvoll war einst ein Bild? Warum sind die Bilder von Zwangsarbeiter:innen oft so schön mit strahlendem Lächeln? War doch alles nicht so schlimm? Sie hatten doch schöne Kleider an, nichts, was sie brandmarkte. Sieht man mehrere Bilder, sieht man oft verschiedene Frauen im selben Kleid, die Männer im selben Sakko. Wir wollen schön sein in der Erinnerung, fröhlich, gut gelaunt für die Familie und uns in der Zukunft, wir wollen nicht die ausgemergelten Menschen sein, ohne Farbe in den Wangen.

Bilder zeigen immer den Blick derer, die die Bilder machten. Wer das war, sollte immer dabei stehen. Warum sieht das Bild aus, wie es aussieht? Und ja, wenn wir die Wahl haben, zwischen Bildern, die Menschen zeigen, Menschen in ihren Leben, dann sollte man diese nehmen und ihnen ein Gesicht geben und versuchen, ihre Geschichten zu erzählen. Wir sollten versuchen, nicht den Blick der Täter:innen zu nutzen, so schwer es auch fällt, diesen immer sehr klar darstellen. An einigen Orten ist es bereits gelungen, an andern ist dieser Täterblick noch immer der selbstverständliche.


Luigi Toscano hat mit seiner Bilderreihe „Gegen das Vergessen“ Überlebenden heute ein Gesicht gegeben.

photo credit: torbakhopper survivors in civic center plaza, scott richard via photopin (license)

5 Antworten

  1. Danke für diese Betrachtungen.

  2. Ich konnte den Satz „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ nie leiden. Weil ein Bild fast immer in einem Zusammenhang steht, und wenn der fehlt, kann man die Aussage des Bildes leicht falsch interpretieren.

  3. Grundundsätzlich bin ich bei Dir . Da ich einen Teil meiner Jugend in der Dunkelkammer verbracht, konnte ich mal SW retuschieren. Einst war das „normales“ Fotografenhandwerk, das auch dazu führte, dass ich auf den Passbildern meiner Jugend keine Pickel habe,
    Wenn ich fotografiere, halte ich meinen Blick fest.
    Ich finde die Frage „Wer hat fotografiert?“ durchaus spannend.
    Was mich an Deinem Text stört, ist die Täter/Opfer-Unterscheidung, die ich für viel schwieriger halte. Beispiel: Die Fotos in der Häftlingskartei von , im Stil von „Verbrecherfotos“. Klarer Täterblick könnte mensch sagen, aber auch „Auftragsarbeit“. Meines Wissens wurden sie von Häftlingen gemacht, die z.T. in ihrem vorherigen Leben professionell fotografiert haben.
    Fotos von Strahlenden Zwangsarbeiterinnen sah ich zuletzt in der Gedenkstätte Neuengamme. Das war auf einer Tafel, eine Zeitungsseite aus den 1940ger Jahren abgebildet und in einen Kontext eingebettet, der anderes zeigte.

    Bei jeden Foto, z.B. das ich in einer Kunstausstellung sehe, das vielleicht eine Szene aus dem Leben der KünstlerIn zeigt, auch noch den Kontext seiner Entstehung zu lesen , würde mich überfordern. Wenn mich was interessiert, kann ich mir Notizen machen und weiterschauen.

    Ich habe mal eine Weile in einem Museum gearbeitet, zu dem auch ein Fotoarchiv gehört. Die zuständige Kollegin
    hatte beim Inventarisieren gar nicht die Zeit für jedes Bild zu recherchieren. (Museumsfinanzierung, das Fass lasse ich jetzt zu.

    Vor ein paar Jahren wurde, die Wohnung einer fast hundertjährigen Nachbarin aufgelöst, Ich hatte Kontakt zu den Enkeln, viel jünger als ich. Anders als ich interessieren sie sich nicht für Geschichte, wussten nur, ihr Opa dem sie anders als ich nie begegnet sind, war Polizist und auch mal in Riga.

    Es hat ein berüchtigtes Lübecker Polizeikommando gegeben, das an der Deportation und Erschießung nicht nur Lübecker Juden beteiligt war, das wusste ich.

    Ich bekam die Fotoalben, fischte Feldpostbriefe aus dem Altpapier, schaute, las, brachte sie ins Stadtarchiv, mit den wenigen Daten, den ich von dem Autor wusste.

    Wo passen Informationen, zur Aufnahmesituation?
    Ich habe keine Antwort.

    In den letzten Jahren standen bei mancher Beerdigung Porträts, der Verstorbenen vorne, zu denen sie zu Lebzeiten gesagt hatten „Das bin ich“. Für mich hätte es nicht gepasst, wenn dran gestanden hätte, wie das Bild entstanden.

    1. Ich glaube, Du misinterpretierst sehr viel in meinem Text. Ich spreche ausschließlich aus Museums- und vielleicht auch mit Gedenkstättenaugen. Das auf allgemeine Künster:innenbeschreibungen auszuweiten oder Privatfotos auf Beisetzungen etc. war nicht mein Gedanke. Ich sehe Besucher:innen, die nicht verstehen und ich sehe auch Historiker:innen, ob nun beruflich oder als hobby, die nicht fragen, woher der Blick kommt. Es ist mein tägliches Geschäft. In einem kleinen Museum arbeitend, weiß ich auch um die personellen, zeitlichen Fragen, natürlich. Dennoch: bei Aufnahme in die Datenbanken hat der Kontext dazuzugehören. Und ja, ich habe auch Probleme mit der Verwendung der „Häftlingsfotos“. Jedes Mal, wenn ich etwas zu einer Person mache, suche ich grundsätzlich Fotos, in denen genau diese Situation nicht genutzt wird. Auch, wenn Fotos von anderen Häftlingen gemacht wurden: es geht um die Situation, um die Entmenschlichung. Ich will die Menschen zeigen, wie sie waren, wie sie nicht sein durften. Ich will ihnen ihre Geschichten und Würde erhalten, mit den winzigen Mitteln, die ich habe. Trotz Marketing und dem Wissen, dass sich Grauen besser verkauft (ja, auch so muss man in Gedenkstätten denken), verwehre ich mich dessen. Ich wäge ab. Und immer wieder: habe ich die Wahl zwischen Abbildungen als Menschen und Abbildungen entmenschlicht, sind es bei mir die Menschen, die zählen. Nicht die Blicke der Täter, mit deren Augen wir gezwungenermaßen Geschichte zum Großteil sehen – und das von sehr vielen Menschen unbewusst, und auch abgestumpft.

  4. Ein Bild zeigt immer nur die Perspektive desjenigen,der es aufgenommen hat.Mit der Verwendung durch Dritte,wird mitunter dem Bild eine neue Botschaft gegeben,durch das Weglassen und/oder das Verändern.Deshalb sollte auch immer die Geschichte dahinter gesehen werden,wenn möglich durch recherche weitere Informationen erlangen,um das Bild in einen“Gesamtkontext“betrachten und bewerten zu können.
    Allen
    hanukkah sameach (23.12.19-30.12.19)

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