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Die Sache mit der Gewalt und dem Verständnis

Es sind einige Tage vergangen, seit das Wort „Kantholz“ eine neue Bedeutung bekam. Am Ende stand es für Lügen, übereifrige Bessermenschelei und eine erstaunlich ungeprüfte mediale Aufmerksamkeit. Es zeigte uns, wie schnell „Informationen“, die schlichte Behauptungen waren, übernommen wurden, nicht hinterfragt wurden und wie wenig man auf die Arbeit der ermittelnden Beamt*innen warten wollte. Die Spekulationen schossen ins Kraut. Die Antworten waren schon vor den Fragen da. Man verurteilte allerorten die Gewalt. Tönte laut und schrieb schon weit vor Ermittlungsende persönliche Briefe. Nicht nur auf Twitter fand man seine Selbstbestätigung in Besserungswünschen und klopfte sich gegenseitig bestätigend auf die Schulter. Schließlich war man vermeintlich besser, als das mutmaßliche Opfer eines politisch motivierten Angriffs per Kantholz und Stiefel, mindestens!

Die Informationsweitergabe, sie war ein schönes Beispiel der Empörungsgesellschaft, in der wir leben. Es war auch ein schönes Beispiel, wie wenig interessiert, was wirklich geschah, wie wenig besonnen man die ein zwei Tage abwartete bevor man Propaganda übernahm. Nun ja, Werbung war es allemal und vielleicht doch für die eine oder den anderen ein Lehrstück in Selbsthinterfragung. Ein interessantes Stück an Beobachtung, was hoffentlich einst in Ausbildung für Medienmenschen genutzt werden kann: Überprüfe und hinterfrage Deine Quellen.

Doch damit nicht getan. Selten habe ich soviel Zuspruch gesehen. Selten wurde Gewalt so sehr verurteilt. Wie schön wäre es, wenn genau so reagiert würde, wenn wieder ein Geflüchteter auf der Straße verprügelt wird und alle weg sehen, wie schön wäre es, wenn diese Welle der Empörung beim nächsten antisemitischen Übergriff statt fände. Wie schön wäre es, wenn all das nicht nur geschähe, um zu zeigen, dass man schließlich auf der „richtigen Seite“ steht und auch jenen das Beste wünscht, die sonst durch Ausgrenzung, Vorverurteilung, Lügen und Propaganda der untersten Ebene auffallen. Wie schön wäre es, und ich wiederhole mich gern immer wieder: Wenn man die Perspektive ändere und nicht Gründe dafür suchte, warum ein Mensch mit anderer Hautfarbe angegriffen wird, Gründe dafür, warum ein Mensch mit Kippa oder Davidstern durch Menschen natürlich als Provokation empfunden werden muss. Ich würde mir so sehr wünschen, dass man aufhörte, Verständnis für Menschen zu haben, die andere Menschen hassen und ihren Hass in die Welt tragen, die mit ihrem Hass missionieren. Ich würde mir wünschen, dass wir die Aufmerksamkeit jenen schenken, die einfach nur in Frieden leben wollen und nicht gelassen werden.

Ich wünsche mir so viel und fühle Müdigkeit bis Resignation. Sagt doch endlich, was geschehen muss, dass man mehr Verständnis aufbringt für Menschen, die unschuldig Gewalt- und Hasserfahrungen machen müssen, als für jene, die Hass sähen. Warum scheint es so viel einfacher, Unverständnis für Gewalt an Menschen zu zeigen, die Ausgrenzung in vielerlei Hinsicht zum Programm machen? Warum hat man hingegen Verständnis und sucht Entschuldigungen für Gewalt an Menschen, die nicht ausgrenzen, die nicht Gewalt üben ob in Sprache oder tun, Menschen die einfach nur ihr Leben leben wollen.


Um einigen „Ja aber….“ vielleicht zuvor zu kommen. Nein, ich heiße Gewalt in keinem Fall gut. Selbst wenn oben beschriebener Vorfall tatsächlich so geschehen werden, wie erlogen, nein. Ich frage mich nur immer wieder die oben beschriebene Frage und finde keine Antworten. Inzwischen gab es mindestens einen Übergriff auf einen Juden in Berlin. Die Resonanz: nicht vorhanden.


photo credit: quinn.anya one question via photopin (license)

2 Kommentare

  1. jim jim

    So gerne würde ich auf die eine oder andere Frage reagieren, etwas dazu in dieses Kommentarfeld schreiben, eine mir mögliche Antwort, irgendwie; allein, eine gewisse Scheu lässt mich immer wieder zaudern, lange nachdenken, überlegen und dann – lieber doch nicht! Warum? Weil meine Sicht auf die Dinge, angesichts der gegenwärtigen sozioökonomischen und damit auch soziokulturellen Veränderungen nicht hoffnungsvoll ist, im Gegenteil.

    Es gibt nur eine Disziplin, so denke ich, die in der Lage ist, hier fundiert Antworten zu geben, und das ist die Psychoanalyse.

    Ein Versuch:

    Schonzeit vorbei, S68: Unsere Gesellschaft trägt an dieser Entwicklung eine Teilschuld. Die Höherstellung vermeintlicher Eliten, die Bewertung eines Menschen durch seine Konsumkapazitäten (Einkommen, Statussymbole) ist ein Weg, der zu viele Menschen ausschließt. Ist dieser Weg noch umkehrbar?

    https://derstandard.at/1369361611395/Wichtig-ist-es-im-Kampf-zu-bleiben

    STANDARD: Sehen Sie darin eine Gefahr für die Demokratie in Europa?

    Gruen: Gefährdet ist nicht nur die Demokratie in Europa. Sie finden diese Erscheinungen ebenso in den Vereinigten Staaten. Denken Sie etwa an die Tea-Party-Bewegung oder die Republikanische Partei, deren Anhänger sich gar nicht für menschliche Bedürfnisse interessieren. Wenn wir nur auf Europa schauen, weil es da diese Nazi-Vergangenheit gibt, verfehlen wir den Ursprung des Problems. Der Ursprung liegt in der Kultur unserer Zivilisation, die Besitz, Profit und Herrschaft zu etwas Göttlichem erhoben hat und die Wahrnehmung von Leiden und Schmerz verpönt. Die Vertreter dieser Kultur sind jene Menschen, die keine wahre Identität haben, weil sie früh dazu gebracht wurden, sich anzupassen an das, was Eltern, Schule oder Kirche von ihnen verlangten.

    Katja Behrens hat für die Pänomenologie des immer wiederkehrenden Hasses eine höchst treffende Metapher geprägt: Das Ausapern des Ötzi. Der Hass auf den Anderen, auf den Fremden ist demnach immer da, nur verdeckt, unter einer Schicht von Eis versteckt, doch das Eis bricht auf, immer wieder, und der Ötzi, der apert aus, langsam aber sicher. Dazu zitiert sie uA auch Hans Mayer:

    http://www.schoah.org/antisemitismus/symbiose.htm

    Ein anderer großer Literaturkritiker, Hans Mayer, äußert sich weniger temperamentvoll, aber noch skeptischer:

    »Empfinde ich mich als Deutscher, nachdem so viel geschehen ist? Geblieben ist die Skepsis gegenüber allen Möglichkeiten der vollständigen Emanzipation von Juden auf deutschem Boden. Es gibt kaum mehr Juden in diesem Lande, und die Generation der glühenden Gefolgsleute ihres Führers stirbt demnächst aus. Dennoch gibt es abermals Nazis unter der jungen Generation. Man schmäht die jüdischen Toten; die deutschen Richter sind bemüht, der Partei neuer Nazis die Legalität zu bestätigen. Noch gibt es ein bisschen Wohlstand. Wie aber, wenn wirklich die Krise eintritt und eine neue Verblendung? Wie es dann zugehen könnte, dafür gibt es viele Beispiele in der jüdischen Geschichte und auch in der deutschen.«

    Das Buch, aus dem hier zitiert wird, ist 2002 erschienen, jetzt haben wir paar Tage lang 2019, es scheint, als würde der Ötzi schneller ausapern, als befürchtet, …

  2. Wolfgang Stauch Wolfgang Stauch

    Mich berürt der Text und ich fühle mich angesprochen, hab keine Antworten. Fragen? Mein Gott, Fragen. Wo kommt das alles her? Sicher nicht solche, bin ich Deutscher oder so. Ich bin hier geboren, 70 Jahre alt/jung. Gewalt ist immer Mittel zum Zweck gewesen und ist es weiterhin und sie wird es auch bleiben. Leider. Berichterstattung über Ereinisse, die uns alle betreffen, über Gewalt, z.B., einseitig bis verlogen. Alles dabei. Über Jahre. Das wirkt.

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