An meinen ersten Tagen in New York fielen mir die augenscheinlich orthodoxen jungen Männer auf, die auf der Straße andere Männer ansprachen. Ich beobachtete die Szene. Noch war dieses offene Jüdischsein für mich neu. Was taten sie dort? Und warum sprechen sie nur Männer an? Ich verstand nach einer Weile des Beobachtens, dass sie ihnen Tefillin anzulegen halfen, Gebetsriemen. Traditionell tragen diese nur Männer. Die Szene war fröhlich. Es wurde viel geredet und gelacht. Ein schönes Bild.
Was eigentlich sind Tefillin? Kleine Kästchen, in denen Toraabschnitte untergebracht sind. An ihnen sind Lederbänder befestigt, mit deren Hilfe man sie sich nach einer bestimmten vorgegebenen Weise an den Arm und an den Kopf bindet. Sie werden zum Morgengebet an den Wochentagen getragen. Man erinnert damit an an einen Abschnitt aus dem Schma Israel:
Und du sollst sie als Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen als Merkzeichen zwischen deinen Augen sein…
In New York hätten die jungen Männer es vermutlich sehr höflich freundlich abgelehnt, mir selbst beim Anlegen zu helfen. Im liberalen Judentum werden Tefillin aber auch auch von Frauen getragen.
Jetzt gibt es einen Videokanal mit Anleitungen zum Tefillinanlegen. In der Tat muss das Anlegen erst einmal geübt werden. Man wickelt sich die Lederbänder schließlich nicht irgendwie um den Arm, sondern folgt einer bestimmten Symbolik. So wie die Männer in New York halfen und hofften, jüdische Männer wieder für die Tradition und Gebet zu interessieren, bieten so nun vielleicht die All Genders Wrap diesen Service online an und das für alle Menschen, ungeachtet des Geschlechts. Auch wenn ich selbst keine Tefillin besitze, kurz überlegte ich doch…wer weiß, vielleicht doch irgendwann.
Die Anleitungen gibt es nach sephardischem, nach aschkenasischem Ritus auch für Links- und Rechtshänder*innen. Eingebettet habe ich hier die aschkenasische Variante für Rechtshänder*innen.
Zum Thema noch ein Hinweis auf eine Podcastfolge von Unorthodox. Die Moderator*innen haben den Selbstversuch gewagt und sind in New York mit eben solchen jungen Männern, wie oben erwähnt, auf die Straße gegangen und haben die Menschen gefragt: „Hey are you Jewish?“. Reinhören lohnt sich.
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