Fragt man Berliner, ob sie schon mal in diesem oder jenen Bezirk waren, wird sich dir Kenntnis mehrheitlich auf das Zentrum konzentrieren: Mitte, Prenzlauer Berg, Kreuzberg, Friedrichshain, Schöneberg, Neukölln. Ganz besonders unter Zugezogenen erlebt man das Phänomen, dass sie selten den eigenen Bezirk (und die Bubble) verlassen. Selbst vor dem Umzug werden selten Alternative in Erwägung gezogen. Zum Glück vielleicht?
Ich habe in Berlin an einigen Flecken gewohnt, gesucht und an noch mehr Orten die Schule besucht, gearbeitet, studiert. Wenn ich bis vor ein zwei Jahren sagte, wo ich geboren und aufgewachsen bin, erntete ich mitleidig bedauernde Blicke, heute hat sich das komplett gedreht. Es war auch Grund, warum ich diese Ecke der Stadt vor ein paar Jahren wieder verließ. Ich mag es dort nicht mehr. So wenig, wie ich inzwischen die Stadtzentren mag. Sie unterscheiden sich kaum noch von jenen anderer Städte: hektisch, überfüllt, kalt und tot in der Nacht. Leben findet scheinbar dort statt, doch ist es wirklich Leben, wenn der Gemüsemann an der Ecke fehlt, ich zwar jeden Wohnaccessoire in meiner Straße, mich mit Kinderschuhen eindecken kann, aber für die vergessene Packung Milch eben nicht einfach die Straße runter gehen kann, will ich nicht den drei- bis fünffachen Preis bezahlen? Ist es wirklich Leben, mit Menschen, das Haus, die Straße zu teilen, deren Kommunikationswege aus Anwaltsschreiben bestehen? Ist es wirklich leben, wenn alles dahinhastet?
Vor ein paar Tagen war ich wieder dort, wo ich aufwuchs. Vor Jahren kehrte ich dorthin wieder zurück, weil es mein zuhause war. Jetzt aber, ist die Seele verschwunden. Die Leerstellen aufgefüllt mit protzigen Gebäuden, die Kleingärten niederplaniert für Baugruppen, Menschen über Menschen, alles hetzt und wetzt. Im Sommer werden die Parks mit eigenen Regeln versehen, Rücksicht Fehlanzeige. Ich mag es dort nicht mehr. Es macht mich traurig.
Sage ich, wo ich arbeite, ernte ich ebenso mitleidige Blicke…oder man fragt, wo das überhaupt ist. Nein, es ist nicht schick dort, schön auch nicht. Eigentlich gibt es keinerlei Grund, dorthin zu gehen. Es ist eine dieser Ecken der Stadt, die unansehnlich zwischen S-Bahngleisen und Ein- und Ausfallstraßen liegen. Eine Ecke der Stadt, mit dem man niemanden beeindrucken kann…und auch eine Ecke der Stadt mit dem zweifelhaften Ruf, eine Hochburg der Nazis zu sein. Und ja, ich mag es dort auf eine vielleicht seltsame Weise. Ich mag es, in der Mittagspause noch etwas im Supermarkt zu kaufen und zu sehen, dass sich die Menschen noch kennen. „Frau W., dit is aber schön, Sie zu sehen, wie jeht et denn? Ach ja, ick muss ooch ins Krankenhaus. Hamse dit von der Schmidtschen jehört?…“ Ja, ich mag es. Ich mag, wenn es, wenn es alte Menschen gibt, auch, ich mag es, wenn Mütter normal mit ihren Kindern umgehen, sie nicht als Trophäe präsentieren und ich mag es auch, wenn die Kinder ohne Eltern auf den Spielplatz neben an ziehen, ich mag ihr lachen und ja, ich mag auch ihre Klingelstreiche im Büro. Ich mag die Menschen dort draußen. Menschen, die vorverurteilt werden, weil sie leben wo sie leben. Und ich weiß, wie sehr sich das ändern kann und wird, wenn auch dieser Teil Berlins aufgekauft wurde.
Ich mag die Stadt dort, wo die Berliner sind. Ich mag die Stadt vielleicht noch mehr, wenn darüber die Nase gerümpft wird, denn dort sind die Menschen. Dort sind nicht die Selbstdarsteller, die Präsentieren, Karrieristen, Nebelmenschen, die alle gleichen Schrittes, gleicher Kleidung gehen, sich wichtig finden und doch so wenig sind. Ja, ich mag die Ecken der Stadt, in ich Berlinerisch angemotzt werde und zurückmotzen kann, wo es verstanden wird, denn da wohnt das Herz. Es wohnt nicht im hippen Coffeeshop, in dem das unleidliche Gesicht der Bedienung die Unfähigkeit im Service begleitet, da sie eigentlich zu gut ist für diesen Job. Ich mag die Ecken der Stadt, wo die Menschen wohnen, denn es gibt sie noch. Und ja ich weiß, dass es auch diese kleinen Inseln noch gibt, im Neuen…doch diese Inseln, diese einzelnen Häuser mit den netten Nachbarn, die noch widerstehen, sie sind selten und werden immer seltener und das Haus, es muss auch dann und wann verlassen werden. Das Haus in dem ich wohne ist so eine Insel, eine wunderbare Insel, die Nachbarschaft ändert sich rapide, und ich bin froh, dass ich am Morgen in eine andere Richtung fahren kann als die meisten, die in die Mitte streben. Ich bin froh, dass ich dort arbeite, wo die Menschen wohnen.
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