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Darf man eigentlich „Jude“ sagen?

Darf man eigentlich "Jude" sagen?

Ganz klare Antwort: Ja, bitte!

Als der Tatort Anfang Januar lief und ein Szenentext in etwa so lautete:

„…nur weil er Jude, oh, Entschuldigung, Person jüdischer Abstammung…“

platzte mir der Kragen. Ich konnte mich nicht mehr enthalten und hackte in die Tastatur, was mir in den Sinn kam:

Da es seit dem immer wieder in meinen Gedanken kreist, möchte ich es noch einmal ausführen. Sind es nicht Absurditäten, die man sich als Umschreibung von uns Juden einfallen lässt, nur, um uns nicht beim Namen nennen zu müssen? Warum tut man alles, nicht „Jude“ sagen zu müssen? Es ist mir unverständlich. Ich hörte Dinge wie: „Der Zentralrat habe es verboten.“, die Vermutung, dass der Begriff „Jude“ als Beleidigung gilt bis hin zu irgendwelchen linguistischen Begründungen. Begeben wir uns also auf die Spur. Zur Wortbedeutung und Herkunft:

„bezeugt in den mittelhochdeutschen Formen jude, jüde, die ihrerseits den althochdeutschen Formen judeo, judo entstammen; diese wurden aus dem Lateinischen Iudaeus → la entlehnt, welches wiederum aus dem Griechischen Ioudaĩos übernommen wurde; dieses geht auf das hebräische Wort יְהוּדִי‎ (CHA: yehūḏī)‚ Einwohner des Landes Juda‘ zurück.“

Laut Duden sind Juden:

„Angehöriger eines semitischen Volkes, einer religions- und volksmäßig zusammengehörenden, über die ganze Erde verstreuten Gemeinschaft“

Allerdings spannend im Duden ein besonderer Hinweis, der mich stutzig machte:

„Gelegentlich wird die Bezeichnung Jude, Jüdin wegen der Erinnerung an den nationalsozialistischen Sprachgebrauch als diskriminierend empfunden. In diesen Fällen werden dann meist Formulierungen wie jüdische Menschen, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger oder Menschen jüdischen Glaubens gewählt.“

Und ich frage, von WEM wird es als diskriminierend empfunden? Ich habe weder Juden erlebt, die sich  dadurch beleidigt fühlten, noch diskriminiert – denn, wir sind, was wir sind. Umschreibungen ändern nichts daran und lassen eher das Gefühl entstehen, dass wir als seltene Spezies sezierend untersucht würden.
Vielmehr denke ich, dass sich hier noch etwas überträgt, dessen Grundstein vor mehr als siebzig Jahren gelegt wurde. Mit der permanenten nationalsozialistischen Propaganda, dass „der Jude“ an allem Schuld sei, das Unglück der Welt etc., kurz alle Juden waren per se schlecht und der Grund allen Übels. Man hatte also auch hier geschafft, einem vormals eher neutralem Wort, eine negative Bedeutung zu geben. Dem gilt es, sich entgegenzustellen. Dieser offensichtlich noch immer vorhandene negative Beigeschmack macht es erst möglich, dass das Wort (nicht nur) auf Schulhöfen noch immer oder schon wieder ein Schimpfwort ist. Nur, wen oder warum will man damit beleidigen. Was soll daran schlecht sein, Jude zu sein? Zur Beleidigung wird es erst durch den Zusatz weiterer Wörter.

Übrigens ist mir keine andere Sprache bekannt, die sich derartig abmüht, die Juden nicht Juden zu nennen. So also kommt es zu solch schönen Kreationen wie die oben zitierten und z.B.:

  • Menschen jüdischer Abstammung
  • Menschen jüdischen Glaubens
  • Menschen jüdischer Konfession
  • Kind jüdischer Eltern
  • aus jüdischem Elternhaus
  • Person jüdischer Herkunft

Ich frage, macht man solche Unterscheidungen bei Christen auch? Bei Moslems? Buddhisten? Mir scheint, nur bei uns quält man sich und führt alles in noch absurdere Pfade.

Man muss nicht jüdischer Abstammung sein, um Jude zu sein.
Man muss nicht jüdischen Glaubens sein, um Jude zu sein.
Man muss nicht jüdischer Konfession sein, um Jude zu sein.
Man muss nicht Kind jüdischer Eltern sein, um Jude zu sein.
Man muss nicht aus jüdischem Elternhaus sein, um Jude zu sein.
Man muss nicht jüdischer Herkunft sein, um Jude zu sein.

All diese mühsam erdachten Umschreibungen schließen Gruppen von Juden aus. Sie schließen die Konvertiten aus, die Atheisten, die, die nicht jüdisch aufwuchsen, die, die aus multireligiösen Elternhäusern kommen… Das, was uns alle, so unterschiedlich der bunte Haufen von Juden ist, eint ist letztlich eines: Wir sind Juden. Und, damit wir das Gendern nicht vergessen, natürlich Jüdinnen.

Also bitte, traut Euch. Sagt das „böse“ Wort, damit hier endlich etwas Normalität einkehrt, damit wir dem Wort die noch immer bei einigen Menschen vorhandene negative Kraft nehmen. Es ist keine Beleidigung. Sprecht von Juden und Jüdinnen und nicht von „Mitbürgern jüdischen Glaubens“. Es gibt wenig, was mich mehr ausgeschlossen fühlen lässt.

 

5 Kommentare

  1. Noa Noa

    Super, dein Artikel, Juna. Danke

  2. Gottfried von Beutelratte Gottfried von Beutelratte

    Danke! Mir ist das Problem bis jetzt nur indirekt aufgefallen. Jetzt weiß ich endlich, wie die komisch gewundenen Sätze zustandekommen.

  3. judith judith

    Ich weiß, dieser Beitrag ist schon etwas älter, aber trotzdem wollte ich noch einen Kommentar schreiben.
    Also, zum einen, glaube ich, dass sich wirklich viele Menschen damit unwohl fühlen „Jude“ zu sagen, weil – ja warum, eigentlich, weil sie denken, dass sei nicht richtig, dass haben doch die Nazis auch gesagt, irgendetwas daran kann doch nicht richtig sein, denselben Begriff weiter zu verwenden.
    Und dann ist es schon so, dass das Wort Jude wieder als ein Schimpfwort verwendet wird (obwohl ich bezweifele, dass das die Menschen, die Probleme haben das Wort in den Mund zu nehmen überhaupt wissen). Aus Schulhöfen hört man auch „Du Jude“ als Schimpfwort genauso wie „Du Schwuler“ oder „Du Opfer“. Und ich vermute, dass sich die, die es gebrauchen nicht wirklich bewusst sind, was sie da eigentlich sagen – und wahrscheinlich auch nicht die Verknüpfung zur Geschichte ziehen (wenn sie sie denn überhaupt kennen). Ich will damit niemanden in Schutz nehmen und auch nichts verharmlosen, andererseits muss man vielleicht auch nicht gleich die Luft anhalten, weil es eher eine allgemeines Problem des fehlenden Respekts und der fehlenden Empathie ist als ein antisemitischer Hintergrund…

  4. Bernd Bernd

    Hallo,
    sehr interessanter Kommentar. Allerdings dachte ich, man kann nicht einfach ins Judentum konvertieren, sondern wird tatsächlich als Jude oder Jüdin geboren.
    Allenfalls könnte ich mir vorstellen, dass es für das liberale Judentum denkbar wäre.

    • Nun „einfach“ konvertieren zum Judentum kann man auch nicht, ob nun orthodox oder liberal. Es braucht Hartnäckigkeit, viel Lernbereitschaft und oft genug auch einen Umzug – im Prinzip krämpelt man sein gesamtes Leben um. Aber ja, man kann übertreten. Leider gibt es den Blog von Noah nicht mehr, sie hatte dazu geschrieben. Es gäbe noch das Buch von Elijah Havemann „Wie werde ich Jude?“, mal eine Innensicht von dem, was man da so erlebt.

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