Jemand sagte mir neulich, ich sei nicht wütend genug. Seitdem geht dieser Satz in meinem Kopf herum. Damals sagte ich, Sie haben mich nicht auf einer Veranstaltung erlebt. Ich kann wütend werden und ich bin wütend, derzeit vielleicht mehr als je. Und dennoch frage ich mich, wohin Wut führen soll? Wie sich Wut ausdrückt? Und wiederholt, was von mir erwartet wird? Was mehr soll ich tun, über das zu berichtet, was in mir ist, was ich beobachte und erlebe, wie sich die Dinge anfühlen? Und ich habe keine Geduld mehr damit, dass erwartet wird, dass ich oder ich das aushalten. Weil wir es doch immer ausgehalten haben. Natürlich kommt das von Menschen, deren einzige erlebte Diskriminierung vielleicht ein Vordrängeln an der Kasse oder die Lehrkraft war, die sie mal übersah. Bitte verzeihen sie meinen Zynismus. Letzthin ist so viel Zynismus in mir, soviel Ungeduld mit Menschen und da ich auch nicht wütend sein will. Ich versuche lediglich, mein Leben zu leben, so banal und einfach wie möglich. Doch das geht eben nicht. Ich komme nicht raus aus den Schleifen. Und ich weiß nicht, was zu tun.
Ich sehe Nachrichten, ich bin berührt davon und ich trage jeden Tag diese Gefühle in mir. Ich kann das nicht ablegen. Ich kann nicht schwarz-weiß sein. Gestern zum Beispiel war ein guter Tag, ein Tag an dem vier Menschen zu ihren Familien zurückkehren durften. Ein Wunder. Diese Erleichterung wurde dennoch auch erschwert über den Gedanken, an die, die dafür ihr Leben lassen mussten. Nicht weil sie dagegen kämpften, sondern weil ihr Leben keinen Wert zu haben scheint für jene, die doch verantwortlich sein müssten. Die endlich sagen sollen: Wir lassen die Geiseln frei. Doch das tun sie nicht, lieber lassen sie noch mehr Menschen ihr Heim verlieren, ihre Familien, ihr Leben. Und ja, meinetwegen bin ich naiv. Und dennoch sehe ich all den Hass und diese Täter/Opferumkehr und wie sehr all das ausgelassen wird an jene, die nichts tun können. Ich beobachte das Vergessen, von dem, was hier stand am Anfang und immer wieder den Hass und das Bemühen, auf der vermeintlich richtigen Seite zu stehen. Wo ist diese Seite? Kann mir das jemand sagen? Ich glaube noch immer an ein gemeinsames Leben, natürlich, mir bleibt keine Chance. Denn ich sehe den Schmerz und ich sehe das Leid und ich frage nicht, wo. Ich begreife nur so vieles nicht und will es auch nicht begreifen. Ich weiß nur eines, Gewalt gebiert Gewalt.
Und Juna, wo ist den nun Deine Wut? Meine Wut ist im Alltag, der verlangt, dass ich „normal“ ticke. Wie soll das gehen? Wie soll man normal leben in diesen Zeiten? Eine Freundin erzählte von einem Musikfestival, in dem das Personal, Musiker:innen mit Kufija herumliefen, auf verschiedene Weisen dekoriert, vom T-Shirt-Ersatz bis zum Stirnband. Nicht die Gäste, das Personal. Gleichzeitig hatte man ein Awarenessteam eingerichtet, zu dem man gehen könne, wenn man sich nicht wohlfühle. Würden Sie zu jemandem Vertrauen haben können, der zulässt, dass die Beschäftigten mit eindeutigen Botschaften arbeiten? Nicht die Gäste, das ist etwas anderes. Awareness fängt da an, ganz genau da! Oder die Unipräsidentin, die antisemitische Tweets liked (überhaupt, Twitter?) und sich nun gegen Antisemitismus einsetzen will? Ernsthaft? Das ist in etwa so glaubhaft wie das Documenta Team, das Zeichen gegen Antisemitismus setzen solle. Wo soll man noch vertrauen können? Da in der Nachbarschaft auf der Straße, als mir plötzlich stolz lauter Menschen mit roten Dreiecken entgegenkamen – noch bevor das Symbol in seiner Umdeutung durch die Medien ging. Als Gedenkstättenmensch und Mensch, mit Angehörigen, der dieses Dreieck einst tragen musste, ist das noch schwerer zu ertragen. Ich sehe all das und ich sehe weiter, dass niemand fragt, niemand hinsieht. Die Berliner Unis – was soll ich sagen, ich studierte selbst einst an einer. Es hat sich nicht viel geändert. Nicht bei der Ignoranz und dem Wegschauen der Dozent:innen und Professor:innen. Ich weiß, dass Menschen genervt sind, wenn ich immer wieder sage, Ihr müsst lernen, es selbst zu erkennen und nicht erst reagieren, wenn Ihr mit der Nase hineingestoßen werdet. Nur das selbst erkennen, schützt die Minderheiten.
In Zeiten, in denen mehr Sensibilitäten zu erwarten wären, sehe ich Floskeln und Einseitigkeiten. Denn man muss Rücksicht nehmen. Doch offenbar nicht auf die Jüdinnen und Juden in diesem Land. Die halten das schon aus, so scheint mir die einmütige Meinung. Was es hinterlässt oder besser, was es nimmt, fragt niemand. Das Vertrauen ist weg.
Oder wie kürzlich der offene Hass gegen Menschen mit Behinderungen, der offenbar nicht mal eine größere Empörung auslöste. Nicht einmal das? Nicht einmal Floskeln waren möglich? Das funktioniert doch sonst so gut, brav eingeübt. Von den Zielen des Hasses wird erwartet, dass sie alles ertragen. Man hält vielleicht noch mal eine Kamera auf sie, wenn es gerade passt, doch letztlich ist doch alles egal, solange man selbst nicht gemeint ist. Es stört nur das Abendprogramm.
Ich selbst habe keine Kraft für dieses Muskelspiel. Die so schon wenigen jüdischen bloggenden Stimmen werden stiller, selbst Lila, die nach dem 7. Oktober wieder begann. Ich selbst habe mich aus den sozialen Medien zurückgezogen, auch sonst. Die „normalen“ Nachrichten sind alles, was ich brauche, um informiert zu sein. Ich brauche keine selbst ernannten Spezialisten. Ich kann die vorgeschobenen Empörungswellen nicht ertragen. „Sogar in den begüterten Kreisen“. Himmel! Wo lebten Sie? Sie sind gewarnt worden. Immer und immer wieder haben Menschen auf die Gefahren hingewiesen. Auf das Aufweichen des Unsagbaren. Sie haben brav genickt und dennoch weiter machen lassen, bis heute. Ja, es kostet Energie, doch es ist Ihre Verantwortung, die Schwächsten zu schützen und nicht abzuwinken, weil Sie jetzt lieber shoppen gehen oder den Grill anwerfen. Ja, der Zynismus. Ich kann das alles nicht mehr sehen.
Und dann, dann sollen es plötzlich wieder die Gedenkstätten wieder richten. Schon wieder diese dümmlichen Diskussionen über Pflichtbesuche. Es ist nicht die Aufgabe dieser Orte, das geradezubiegen, was die Gesellschaft versäumt hat. Es ist auch nicht Aufgabe von Lehrkräften in Schulen, das geradezubiegen, was Eltern versäumen.
Und gleichzeitig wird auch hier erwartet, dass die Menschen, die an diesen Orten arbeiten, das ohne Folgen tun. Diese Arbeit hat Folgen. Sie dringt in die Leben ein. Und oft genug verändert sie das Leben. Wenn Menschen nicht mehr Pizza bestellen, weil sie nicht wollen, dass man weiß, wo man wohnt, dass ihre Namen nicht auf den Klingeln stehen. Nennen Sie das noch „normale Arbeit“? Nein, das ist es nicht. Es ist kein 9 to 5 Job. Das ist mehr. Für die meisten von uns. Es wird viel erwartet und manch einer mag es abgrenzen können von seinem Leben, diese enorme Distanz wahren könne. Ich kann es nicht und je mehr ich mit Menschen aus diesen Bereichen spreche, um so mehr kommt hervor, dass es auch bei anderes so ist. Wir arbeiten in den dunklen Teilen der Geschichte und wir sehen, dass sich Dinge ähneln, erkennen Muster und vor allem den Hass.
An meiner Bürotür steht: Es ist fünf vor 33. Die Uhr ist, seitdem das Schild dort hängt, weiter gelaufen und niemand schaut hin.
Also Juna, wo ist Deine Wut? Sehe ich auf die Hochrechnungen gerade, ist da keine Wut, nur Entsetzen.
Und weil doch immer wieder gefragt wird, was mit meinen Koffern ist. Eine Anekdote zum Abschluss: Ende des Jahres liefen mein Ausweis und Pass aus. Ich überlegte, dass ich doch derzeit keine Reisen plane und daher den Pass erst mal zurückstellen könne. Ein neuer Pass ist kein Schnäppchen. Doch jemand sehr Kluges sagte mir: Du weißt nicht, wie das hier weiter geht. Du solltest immer einen Pass parat haben, wenn es darauf an kommt. Wie recht er hat.
Fragen Sie nicht mehr nach meiner Wut. Es ist nicht allein meine Aufgabe, wütend zu sein. Es ist genau so Ihre. Denn Sie schauen zu, wie Ausgrenzung Oberhand gewinnt, Menschen diskriminiert werden. Sie haben die Macht. Sie verspielen sie. Dieses Land wird immer weniger zu meinem. Mir macht das Angst, Ihnen nicht? Vielleicht auch bin ich bereits in einer Phase der Trauer, um das Land, um meinen Glauben daran. Ich weiß es nicht.
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