Als W. und ich uns näher kamen, als es aussah, da würde mehr sein als Kinobesuche und durchredete Nächte, druckste er herum. Er müsse mir etwas sagen. Wie bei allen jungen zerbrechlichen Bindungen verheißt das selten Gutes.
„Was ist los?“ fragte ich ängstlich. Hatte W. jemand anderen? Hatte er es sich anders überlegt.
„Nun, meine Eltern…“ Stotterte er.
„Was ist mit Deinen Eltern?“
„Nun, sie waren Kinder im Krieg…“
„Ja?“
„Sie waren versteckt.“
„Hmm?“
„Sie hatten Angst.“
„Sicher, aber was willst Du mir sagen?“
„…ich bin nicht beschnitten!“ platzte es heraus. Fast entschuldigend, nein, nicht fast, entschuldigte sich W. bei mir dafür. Es habe bereits zu Problemen geführt, wie ich im Gespräch erfuhr. „Aber ich bin jüdisch!“ „Natürlich bist Du das.“ Wir viel an diesem Abend. Wir reden über die Angst, die weitergeben wurde, über die toten Männer, in Hausfluren und auf Straßen, heruntergelassene Hose. Ihre Mörder wollten sicher sein. Wir sprachen über die Angst der Überlebenden, nicht entdeckt werden zu dürfen. Von dem, was sie ihren Kindern mitgaben. Von der Angst, vom Verstecken, Verheimlichen von der Not, nicht erkannt werden zu dürfen. Es wurde eine lange ernste nachdenkliche Nacht.
Aus W. und mir wurde kein Paar. Und dennoch verband uns etwas. Wir blieben das was wir waren: Freunde. Eines Tages begleitete ich W. in ein Krankenhaus. Er war nicht krank. Er wollte das nachholen, was seine Eltern zu seinem Schutz nicht taten: Er ließ sich beschneiden.
Ich hatte die Geschichte vergessen. Heute wurde ich wieder daran erinnert, als ich die ausgezeichnete „Unorthodox“-Podcastfolge zum Thema von hörte.
Ich hörte da den Müttern zu, wie sie ihre Ängste schilderten, die sie haben, die ihnen vor allem von jenen abgesprochen wird, die nie in näherem Kontakt zu diesem Ritual waren. Ich höre Vätern und Müttern zu, die sich ein Mädchen wünschen, um der Frage Beschneidung ja oder nein zu entgehen, Ich ertappte mich, wie ich nach dem Interview mit der Mohel* Dr. Emily Blake (ja, eine Frau) dachte, was wäre wenn? Subjektiv fühlte ich, dass ich mich mit einer Frau wohler fühlen könnte. Die Frage muss ich mir nicht stellen.
Hayim Schneider, Rabbiner und Mohel in Jerusalem hat Safer HaBrit ins Leben gerufen. Er möchte vor Gefahren durch Metzitzah B’peh warnen. Metzitzah B’peh heißt, dass der Mohel das vorhandene Blut aus der Wunde mit dem Mund absaugt. Es gibt inzwischen hygienischere Methoden. Auf der Seite findet man Kontaktdaten von Mohalim, die das nicht praktizieren. Über eine breite öffentliche Auseinandersetzungen dazu in Israel, berichtete die Jüdische Allgemeine 2012.
Auch der Legende, ob die britische königliche Familie tatsächlich ihre männlichen Mitglieder von einem Mohel beschneiden lässt, geht das unorthodox Team nach. Interessant dabei: In der Zeit, in der es laut Legende aufkam, war es ein allgemeines Ritual in der britischen Mittelschicht. Ähnlich vielleicht wie in den USA, wo noch immer der Großteil der geborenen Jungen beschnitten wird – ohne religiöse Hintergründe.
Und wie ist jetzt eigentlich der Unterschied mit und ohne Vorhaut, davon erzählt Chris, der sich aus gesundheitlichen Gründen beschneiden ließ.
Eine empfehlenswerte Folge des Podcasts, die ich jedem an Perspektivwechseln interessierten Menschen ans Herz legen möchte:
*Mohel: Person, die durch mehrjährige Ausbildung befähigt wurde, Beschneidungen durchzuführen.
photo credit: tcees Go West Young Lady via photopin (license)
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