Ich bin in Baden Württemberg. Weit ab, in der am dünnsten besiedelten Gegend, wie ich später lerne. Die Fahrt war lang, den Restweg zum Dorf nehme ich nicht den Bus, ich leiste mir ein Taxi. Müde bin ich. Etwas Luxus darf sein. Dort, wohin ich will, gibt es nur einen Ort, wohin man wollen würde. Der Fahrer fragt, wie er wohl immer fragt, wenn er Leute dorthin fährt, was man dort wohl mache, ob man einen Kurs belegt habe.
„Ich besuche keinen Kurs, ich halte einen Vortrag.“
„Ach, und wozu?“
„Der Kurs geht die Ganze Woche und behandelt jüdisches Leben in der Gegend. Ich erzähle dann etwas zum jüdischen Leben.“
„Jüdisches Leben. Hier gibt’s doch gar kein jüdisches Leben. Also ich wüsste nicht wo. In den großen Städten vielleicht, doch hier? Hier ist nichts.“
Ich soll aus meinem Buch lesen. Der Gegenwartsaspekt zu einem Programm, das sich doch zwangsläufig hauptsächlich mit der Vergangenheit beschäftigt – aber nicht nur. Doch all das sage ich dem Fahrer nicht. Er murmelt weiter vor sich hin und scheint zu überlegen, was man in der Gegend an Jüdischem sehen könne.
„Also wenn Sie mich fragen, reicht es auch. Wir haben genug bezahlt.“
„Was meinen Sie, damit, was haben Sie bezahlt?“
„Naja, es ist doch so, was hab ich denn noch damit zu tun und meine Kinder? Was der Adolf da gemacht hat, hat mit uns doch nichts mehr zu tun und wir müssen immer noch zahlen dafür?“
Ich habe keine Kraft. Ich gehe nicht darauf ein. Ich bin müde. Ich sage noch einmal, mehr zu mir, dass er nichts bezahlt für irgendwen und versuche vom Thema abzulenken. Ich ärgere mich darüber und schäme mich auch, doch manchmal fehlt die Kraft, die Energie und der Glaube, irgendwas bewegen zu können. Wie in diesem Taxi nach langer Zugfahrt. Nein, Juden werden nicht durch den deutschen Staat finanziert. Wir gehen arbeiten, zahlen genau so hohe Steuern wie jeder andere auch, wie bekommen keine Erleichterungen, Renten oder sonst irgendetwas. Wir sind ganz normale Bürger, wie jeder andere auch.
Doch ist dieser Fahrer nicht der Einzige. Immer wieder kommt es auf, immer wieder der Trugschluss, man zahle für irgendwas. Nein, das tun Sie nicht. Wenn Sie staatlich finanzierte Gedenkstätten meinen, dann finanzieren wir diese ebenso mit und das ist richtig so, weil es diese Orte braucht. Heute mehr denn je.
Und es braucht Veranstaltungen wie diese Woche. Es braucht Menschen, die neugierig sind, die lernen wollen und die gibt es. Die Fragen stellen ohne Scheu. Die durchaus kontrovers sind. Aber kontrovers reden, heißt immer noch reden und das ist an diesem Abend noch bis spät passiert. Wir haben geredet, wie haben Perspektiven gewechselt, Sichtweisen erklärt und Reaktionen und sind vielleicht ein kleines Stück näher gekommen. Menschen, wie der Taxifahrer aber werden nicht an solchen Programmen teilnehmen. Sie sind nicht interessiert, sie wollen nicht wissen, leben in ihrer privaten Welt, echauffieren sich über die Ausländer im Hotel in München und über die Preise und überhaupt. Es ist eine Grundeinstellung, an die man – und besonders ich im Taxi – nicht heran kommen wird.
Nachtrag: Der Weg zurück, anderes Unternehmen, anderer Fahrer. Viel gelernt auf kurzem Weg über die Gegend und die Leute. Ich lernte auch, hier dürfen Taxen andere Farben haben, je nach Unternehmen. Heute fuhr ich schwarz, gestern grau und jetzt entlang der Donau.
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