Die Chassidim gehören in NYC zum Stadtbild. Auffällig sind sie mit ihren großen Hüten, die z.T. aus Pelz sind. Auffällig sind sie aber auch, weil ihre Kleidung aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Es scheint nicht nur so, es ist eine bewusste Entscheidung. Eine Entscheidung, die vor allem als Gegenbewegung gefällt wurde. Die heutigen Chassidim sind Nachkommen derer aus Osteuropa, Nachkommen von Überlebenden, Vertriebenen, Ermordeten. Ihre Welt, die oft romantisiert im Stettlbild daherkommt, existiert nicht mehr. Sie haben sich eine neue geschaffen. Die meisten leben mitten in New York, in Brooklyn. Eine Welt, die zwar nach außen unübersehbar ist, nach innen aber geschlossen ist. Wenig dringt nach draußen. Alles von der Schule bis zur Gerichtsbarkeit wird intern geregelt. Eine Parallelwelt.
Ich kenne und kannte einige Menschen, die sich wünschten, in dieser Welt zu leben. Die eine Sehnsucht, nach den strengen Regeln, nach der Isolation von der Außenwelt, dem Weltlichen verspürten. Doch es gibt auch die anderen, jene Menschen, die aus ihr ausbrechen wollen und dabei alles verlieren. Die einzige Hilfe, die diese Menschen bekommen ist durch die Organisation Footsteps, die Aussteigern in Nord-Amerika versucht zu helfen, mit allem, was man für ein Leben in einer unbekannten Welt wissen muss.
Drei dieser Aussteigergeschichten, erzählt der Film „One of US“ von Loki Films, den man auf Netflix sehen kann. Er erzählt die Geschichte von Etty, die Anfang 30 ihren Mann verließ und ihre sieben Kinder mitnahm. Die Ehe war von Beginn ein Martyrium. Vor der Eheschließung hatten sie sich ein Mal für eine halbe Stunde getroffen, sie haben nicht geredet, sie waren nicht allein. Bei Etty hatte man den falschen Mann gewählt. Sie wurde über Jahre geschlagen und vor allem regelmäßig missbraucht – bis sie nicht mehr konnte und alles verlor. Missbraucht wurde auch Ari, der schon als Teenager floh und darin abzurutschen drohte, wovor sie in der weltlichen Welt gewahrt wurden: Drogen. Ari gelingt der Entzug. Er versucht, Fuß zu fassen, die neue Welt zu verstehen und irgendwie Arbeit zu finden. Er hat nie eine normale Schule besucht, seine Muttersprache ist Jiddisch. Er hat keinen Abschluss, kein College, nichts. Und doch, er kämpft und hat das Glück, dass seine Eltern ihn nicht gänzlich verstoßen. Anders sieht es bei Luzer aus, der nach drei Jahren Ehe entflieht und es nach vielen Jahren endlich scheint geschafft zu haben. Es ist ein einfühlsamer Film, der die Wege der drei Protagonisten schildert, der ihren Beweggründen folgt, ihre Zweifel und ihren Schmerz. Er schildert auch eine Welt, die letztlich auch nur eines ist: ein von Menschen geschaffenes Gebilde, in dem nicht jeder leben kann. Ein Gebilde, um etwas zu bewahren, was es lange nicht mehr gibt. Der Untergang ist vielleicht nur heraus gezögert worden, vielleicht aber auch nicht, denn die Gemeinde wächst.
Ein inzwischen prominenter Flüchtling lebt inzwischen in Berlin, Deborah Feldman, bekannt durch ihr Buch unorthodox, in dem sie ihre Geschichte schildert. Ihr ist ihr neues Leben gelungen. Doch schaffen es nur wenige. Schaffen es Etty, Ari und Luzer wirklich und endgültig? Was bleibt von ihrer Jüdischkeit?
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