Frankfurt am Main gilt noch immer als das Zentrum des deutschen Judentums nach dem Krieg. Auch, wenn heute wesentlich mehr Juden in Berlin leben mögen, so ist die Stadt für mich irgendwie das Zentrum. Zeit also, ihr einen Besuch abzustatten und auf Spurensuche zu gehen.
Es ist warm an diesem Freitag mittag, sehr warm. Auf Einladung des Jüdischen Museums Frankfurts dürfen wir sie erkunden, diese Spuren. Zwar ist das Museum am Untermainkai derzeit wegen Um- und Anbaumaßnahmen geschlossen, doch gibt es genug zu entdecken.
Das alte jüdische Frankfurt
An der Battonstraße, einer Hauptstraße, liegt hinter einer Mauer der zweitälteste jüdische Friedhof Europas nördlich der Alpen. Er ist, trotz mehrerer Pogrome, erstaunlich gut erhalten und heute für die Öffentlichkeit zugänglich. Das Museum Judengasse liegt gleich nebenan, der Eingang ist dem Friedhof zugewandt. Hier bekommt man begleitende Audioguides – auch als App für Android und iOS – , die auch auf den Friedhof mehr erzählen. Oder man nimmt (und das ist in der Tat mein persönlicher Tipp) an einer Führung teil. Denn dieser Friedhof birgt einige Merkwürdigkeiten, über die man vielleicht gern mehr wissen möchte.
Aus rotem Stein, dicht bei dicht drängen sich die noch verbliebenen Steine. Sie alle haben eines gemein: Merkwürdige Zeichen über den Inschriften. Die für Frankfurt typischen Hauszeichen.
In der Datenbank des Museums Judengasse kann man die Hauszeichen und die Geschichte der Häuser näher erkunden. Ich hatte oben übrigens keinen Hummer, sondern das Haus zum Roten Krebs erwischt – was trotzdem nicht koscher wäre. Das fröhliche Hauszeichenraten, inklusive Frankfurter Dialekt ist einmalig beim Besuch jüdischer Friedhöfe. Nicht nur den Dialekt gibt es nur hier.
Hier findet man nichts vom späteren Prunk der Friedhöfe. Dieser Ort ist auch, so hinter der Mauer eine Oase in der Stadt, eine Oase, die Geschichten erzählt, die wiederbelebt wird. Die alten Steine sind zum Teil zerstört, zerschlagen mit schwerem Gerät und dennoch vorhanden. Sie liegen aufgereiht und gestapelt auf dem Friedhof und warten auf jene, die das Geld geben, sie wieder zusammenzusetzen. Wie das aussehen kann, sieht man an einer Seite des Friedhofs. Hier findet man auch prunkvoll errichtete Steine für sehr verehrte Rabbiner. Heute mit Wunschzettelchen versehen – und im Streite vereint. Ganz am Rand, fast unscheinbar der Stein des wohl berühmtesten Frankfurter Judens: Mayer Amschel Rothschild. In welchem Haus in der Frankfurter Judengasse geboren wurde, erschließt sich aus dem Namen.
Wir verlassen die grüne Oase und gehen zum eher unscheinbaren Eingang des erst im März letzten Jahres wiedereröffneten Museums Judengasse. Seine Entstehung ist auch die Geschichte bürgerschaftlichen Engagements.
1987 plante man auf dem Gelände der ehemaligen Judengasse, einen Bau für die Stadtwerke. Vom ehemals so bedeutenden Judenviertel ist lang nichts mehr zu sehen. Ein Parkplatz ziert es unter anderem. Bei den Bauarbeiten fand man die Fundamente der Häuser, die Geschichte erzählten. Die Synagogen am Börneplatz war durch die Nationalsozialisten im Novemberpogrom zerstört worden, der alte Friedhof wurde als Trümmerlagerplatz genutzt, die verbliebenen Bauten der Judengasse letztlich durch Luftangriffe zerstört. Es schien, als wäre die jüdische Geschichte der Stadt ausgelöscht, verbrannt, überbaut vergessen.
Dass die Frankfurter das anders sahen, nachdem ihre Geschichte wieder ausgegraben wurde, davon zeugen die Protestplakate und Fotografien zu Beginn der Ausstellung, die mehr über die Judengasse, das Leben in der Stadt bis zur frühen Neuzeit erzählt.
Man nimmt den Besucher mit auf eine Reise in die alte Judengasse, ein Einführungsvideo erzählt mehr über die Entstehung und Entwicklung der Gasse, von beengten Wohnverhältnissen, von Armut und der Befreiung aus den Mauern.
Wir gehen weiter zu den verbliebenen Ruinen, über denen das Museum eingerichtet ist. die Objekte sind angeordnet in runden Vitrinen. Keine großen Texttafeln lenken vom Eigentlichen ab. Elegant verstecken sie sich in Bildschirmen am Vitrinenboden zum Blättern und mehr lesen, wenn man das denn will. Sparsam ist es eingerichtet, kein Überfrachten mit Objekten, die es mit Sicherheit zuhauf gäbe. Angenehm ruhig, unaufgeregt ist es hier – auch in der Gestaltung.
Von einer Art Brücke können wir die Reste der Keller sehen.
Hier finden inzwischen die Veranstaltungen des Museums statt. Ein Konzert in den Ruinen. Es muss wirklich ein einmaliges Erlebnis sein. Unten dann im Keller bekommt man einen kleinen Eindruck über die Enge der Häuser am Ende ihrer Bewohnung. Nichts trennt hier vom Stein, von der Geschichte. Man kann sich bewegen, erkunden und lernen…und sollte es nicht verpassen, noch weiter zu gehen. Hier ganz hinten, fast versteckt findet man einen Raum ganz ohne Objekte, ohne Ruinen und dennoch ein weiteres Herz dieses Zentrums: Musik und Literatur. Hier Platz nehmen, der Musik lauschen – vielleicht auch eine Idee bekommen, wie hier einst Jiddisch gesprochen und gesungen wurde, mit Frankfurter Worteigentümlichkeiten vermischt. Ein schöner Ort, um den Besuch ausklingen zu lassen.
12.000 Namen – das Erinnern heute
Verlassen wir das Museum, stehen wir wieder an der Mauer des alten Friedhofs. Hier, fast unscheinbar befindet sich ein Gedenkort an die Frankfurter Juden. Auf kleinen Steinen sind die Namen der Frankfurter eingelassen, die durch die Nationalsozialisten wegen ihrer Religion verfolgt wurden – unter ihnen natürlich auch Anne Frank und ihre Familie.
Die Gedenkstätte Neuer Börneplatz, wohl zu wenig beachtet, aber in seiner Schlichtheit nicht weniger bewegend befindet sich gleich neben dem Friedhof.
Wir steigen in dei Straßenbahn und fahren ein paar Stationen. Hier in und um die alte Frankfurter Großmarkthalle steht heute die Europäische Zentralbank. Fast nichts scheint an die Geschichte dieses Ortes mehr zu erinnern. Man muss hinsehen, vielleicht auch das Glück haben, hier an einer Führung teilzunehmen, die dorthin führen, wo die Dinge geschahen: in die Keller der Halle. Hier wurden ab 1941 die Frankfurter Juden gesammelt, um sie in die Lager zu deportieren. Hier unten in den Kellern, die heute leer und still sind findet man jetzt nur einzelne Zitate der wenigen Überlebenden. Die Keller sind Teil der neuen Gedenkstätte Frankfurter Großmarkthalle – allerdings ausschließlich mit Anmeldung, Führung und hohem Sicherheitsaufwand zu betreten. Man sollte dennoch versuchen, die Chance zu bekommen.
Wir sind froh, die Keller, die Kälte im mehrfachen Sinn ausstrahlen, wieder zu verlassen. Wir gehen die Rampe hinauf, die einst Tod bedeutete.
Hier neben dem Großmarkt langten einst die Züge an. Auch draußen, auf dem parkähnlichen Gelände ist die Gedenkstätte, die die Geschichte, die vor aller Augen geschah, die Deportation der Frankfurter Juden in die Gegenwart, in das Alltägliche integriert. Zitate begleiten auch hier. Sparsam, fast unsichtbar und plötzlich den Weg kreuzend.
Es ist auch hier draußen, außerhalb de EZB Geländes, dass die Gleise, die in Deutschland nicht nur Freiheit, sondern auch Tod bedeuten zu sehen sind. Sie sind heute integrierter Teil der Gedenkstätte.
Diese Gedenkstätte, wie auch jene am Börneplatz gehören für mich zu den gelungensten Wegen, derer zu Gedenken, deren Vertreibung und Ermordung bis heute kaum in Worte, noch in Stein zu fassen ist. Es ist diese Gedenkstätte Frankfurter Großmarkthalle, die ohne Pomp, ohne spektakulären Bau, integriert in den heutigen Stadtraum, zeigt was war. Fast nebenher und doch um so eindrücklicher.
Frankfurt mit seinen historisch jüdischen Orten wird mich weiter begleiten. Es ist nicht mein letzter Besuch und einer, den ich jedem gern und unbedingt ans Herz legen möchte. Es lohnt, sich einen Tag ausschließlich der Frankfurter Jüdischen Geschichte zu widmen.
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