Ich bin wütend. Unglaublich wütend. Wütend als Mensch und als Profi. Ich schlief darüber. Die Wut ist noch immer da, die Wut muss in Worte gefasst werden, die Wut über den Twitteraccount des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Wobei seit gestern das „Deutsch“ eine gewandelte Konnotation erfuhr.
Was geschah? Der Südwestrundfunk verwies auf Twitter auf ein Gespräch mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm. Er verteidigte hier die Einladung von Vertretern der „Christen in der AfD“ zum evangelischen Kirchentag.
Beim @Katholikentag durften Politiker @AfD_Bund nicht auftreten, beim Evangelischen @kirchentag_de schon. Darum: https://t.co/UER7IXRYqH pic.twitter.com/7UWdQAu6ZU
— SWR Aktuell (@SWRAktuell) 24. Mai 2017
Soweit so gut oder auch nicht. Die Betreiber des Twitteraccounts @kirchentag_de fühlten sich nun gehalten, Kritik an dieser Einladung zu kommentieren:
@DanielC_Schmidt @SWRAktuell @kirchentag_de Sollten wir der Vertreterin der AfD nicht erstmal zuhören und dann urteilen?
— Dt. Ev. Kirchentag (@kirchentag_de) 24. Mai 2017
Eine klassische Antwort von „lasst uns reden, dann wird alles gut“. Lägen nicht längst Wochen und Monate hinter uns, in denen die AfD reichlich Podien bekam, reichlich Presse, reichlich Gelegenheit, ihre – nennen wir es – Ansichten, unters Volk zu bringen. Die Betreiber des Kirchentagsaccounts haben diese Zeit, fern von Medien auf der Insel der Glückseligkeit verbracht.Gefühlt und wohl auch real mehr als jede andere Kleingruppierung. Schlagzeilen bringen Publikum – vielleicht dachten auch die Organisatoren so.
Wir beobachten ein Worst-Case-Szenario fehlgeleiteter Social-Media-Kommunikation. So sprachen sie Widersprechenden demokratisches Selbstbewusstsein ab (gern in Copy und Paste, wie es scheint inklusive Rechtschreibfehler).
@badeninderspree @kirchentag_de Etwa mehr denokratisches Selbstbewusstsein wäre gut. Boykotte machen die AfD eher stärker.
— Dt. Ev. Kirchentag (@kirchentag_de) 24. Mai 2017
@kunterbunt8780 @kirchentag_de @mescalito_h Etwa mehr denokratisches Selbstbewusstsein wäre gut. Boykotte machen die AfD eher stärker.
— Dt. Ev. Kirchentag (@kirchentag_de) 24. Mai 2017
Man wisse noch nicht, was die Christen in der AfD wollen.
@ca_fink Die eine Position der Afd gibt es nicht. Was Anette Schultner zu sagen hat, wissen wir morgen.
— Dt. Ev. Kirchentag (@kirchentag_de) 24. Mai 2017
Nein, weiß man nicht. Nicht nach der erst kürzlich ausgestrahlten Dokumentation der ARD „Herr Direktor und Herr Pfarrer: Zwei Kandidaten für die AfD“. Ah, ich vergaß: Lügenpresse.
Es wird absurd, als man schlussfolgert:
@mescalito_h Wir werden nicht der AfD zuhören, sondern einer Vertreterin von „Christen in der AfD.“ Das ist ein wichtiger Unterschied.
— Dt. Ev. Kirchentag (@kirchentag_de) 24. Mai 2017
Vielleicht las ich einst das Neue Testament anders. Vielleicht las ich die Geschichte des Juden Jesus als Jüdin. Als Geschichte eines Mannes, der widersprochen hat. Der Aufstand gegen Ungerechtigkeit. Die Geschichte eines Radikalen. Und ich wundere mich, wie diese Figur, die zwar die Kirchen ziert so vergessen wird. Er sprach nicht mit den Schacherern im Tempel, wenn ich mich recht entsinne.
Nun ja, in diesem Jahr gibt es in für die Deutschten Protestanten einen anderen eigenen Messias, der selbst kein Jude war, sie lieber hasste. Und nein, ich frage nicht, was Jesus tun und denken würde. Das wäre dumm. Ich schaue zu, was heute dort in der evangelischen Kirche öffentlich geschieht und sehe innerhalb keinen Widerspruch. Und ich erwarte nicht, dass man von Leitungsseite Stellung bezieht zu dem, was gestern geschah. Warum auch? Das wäre neu.
Zwischen all dem offiziellen Heididei und Wirhabenunsdochallelieb bleibt eines: das Vertrauen darauf, dass die Kirche in Deutschland nicht gelernt hat. Dass man sich darauf verlassen kann, dass es wieder Dinge wie die „Deutschen Christen“ geben kann, geben darf, bereits wieder gibt?All das unter der dem Mantel der doch immer liebenden Kirche. Sie wird nicht widersprechen. Vielleicht ist ja auch KKK ein trotz allem gern gesehenes Lebensmodel?
Die stumme Kirche. Wir kennen sie. Auch die Kirche der Mitläufer. Der Versteher. Die der „wir müssen ja nur reden, dann wird alles gut“. Wir hatten sie zwischen 1932 und 1945. Heute vergisst man gern und beruft sich lieber auf Bonhoeffer, Niemöller. In der DDR gab es ebenso diese Kirche von „wir müssen nur reden“ – und unsere Posten und Privilegien erhalten. Zum Glück existierte die widerständige Kirche. Die Kirche von unten, nach der so gern gerufen wird. Die Kirche, die stärker war, als ihre oberen Vertreter. Die Kirche, die „am Menschen war“. Zum Glück gab es sie – auch für die Kirche. So beruft man sich auch gern auf sie in der heutigen Zeit.
Dennoch: Mit ihrem zur Schau getragenen „Wir haben uns alle lieb und damit kann man jeden vom falschen Weg abbringen“ braucht sich eine standpunktlose Kirche nicht zu wundern, wenn ihnen die Mitglieder weglaufen, wenn Menschen dort nicht finden, was sie suchen. Und vielleicht hätte man in Sachen Twitteraccount jemand fragen sollen, der sich damit auskennt.
Zum Glück aber gibt es die Pfarrerinnen und Pfarrer, die anders sind, anders denken, anders reden und anders handeln. Allein sie, als Einzelpersonen und, dass @kirchentag_de sich dort nicht zuständig fühlt, sind der Grund, warum ich nach gestern doch nach Magdeburg fahren werde, um zu reden, um zu zeigen, dass es anders geht und anders gehen muss.
Nachtrag. Der Account blockiert wohl nun jene, die doch diskutieren wollten…
@f_Ritze @inkorrupt @IrgendwieJuna @kirchentag_de @IrgendwieJuna soviel zur diskussionsbereitschaft bei gegenwind pic.twitter.com/hBAPmcQwZX
— hamburger_lachmöwe (@kunterbunt8780) 25. Mai 2017
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